Der martialisch anmutende Begriff „Suche nach Menschenfleisch", Renrou Sousuo, kursiert bereits seit einiger Zeit im chinesischen Internet. Doch was soll man sich darunter vorstellen? Frau Liu Yan arbeitet im Rechtshilfezentrum des Beijinger Stadtbezirks Haidian und stellt uns in einem Interview ihre Ansichten zur öffentlichen Online-Fahndung vor:
„Von einem positiven Blickwinkel aus betrachtet, kann dieses Phänomen bei der Vermittlung von Informationen helfen. Da im Internet viele Menschen mit sehr unterschiedlichen Kenntnissen zusammenkommen, machen es die öffentlichen Online-Fahndungen viel einfacher, gezielt an konkrete Informationen zu kommen."
Als erfolgreiches Beispiel könne man etwa die Suche nach Vermissten nach dem schweren Erdbeben in der südwestchinesischen Stadt Wenchuan im Jahre 2008 anführen, so Frau Liu weiter. Hier hätten die Online-Fahndungen einen bedeutenden Beitrag geleistet. Direkt nach dem Erdbeben waren die Verkehrswege in und um Wenchuan größtenteils zerstört, die Kommunikationsverbindungen zur Außenwelt waren abgeschnitten. Viele Menschen sahen sich außer Stande, in Kontakt mit ihren vor Ort lebenden Verwandten und Freunden zu treten. Bald darauf stellte Google einen speziellen Dienst bereit, der nach den Mechanismen einer typischen öffentlichen Online-Fahndung funktionierte. Innerhalb kürzester Zeit konnten zahlreiche Informationen gesammelt werden, die die Suche nach Überlebenden und Vermissten sehr vereinfachten. Nichtsdestotrotz dürfe man aber auch die negativen Aspekte der Menschenjagden nicht außer Acht lassen, wie Frau Liu erklärt:
„Die öffentlichen Online-Fahndungen bedeuten für die Betroffenen häufig große psychische und emotionale Belastungen. Ihre Privatsphäre wird verletzt und sie stehen einer sehr negativen Beurteilung durch die Öffentlichkeit gegenüber. Wird dies nicht unterbunden, so entwickeln sich öffentliche Online-Fahndungen leicht zur massenhaften Gewaltanwendung gegen wehrlose Einzelpersonen."
Auch hierzu fällt Frau Liu ein passendes Beispiel ein. 2008 wurde in den Nachrichten eines chinesischen Fernsehsenders die damals 13-jährige Zhang Shufan aus Beijing zu Webseiten mit pornografischen und gewalttätigen Inhalten interviewt. Ihre etwas eigenwillige Antwort zog schnell die Aufmerksamkeit unzähliger Internetnutzer auf sich, und es dauerte nicht lange, bis sämtliche Angaben zu ihrem Privatleben im Internet veröffentlicht waren: Der Name ihrer Schule, Notenspiegel, Geburtsdatum, Wohnort, ja sogar das Krankenhaus, in dem sie geboren wurde, all dies wurde zusammengetragen. Wie man sich vorstellen kann, begann für die Betroffene damit eine lange Phase des Leidens.
Im Zeitalter des Internets könne jeder leicht zum Opfer derartiger Menschenjagden werden, wie Frau Liu betont. Zum Schutz der eigenen Rechte und Person erteilt sie folgende Ratschläge.
„Sollten private Informationen im Internet veröffentlicht werden, so kann man in Kontakt mit dem Betreiber der Webseite treten und ihn dazu auffordern, die entsprechenden Inhalte zu löschen. Darüber hinaus kann man Rechtsmittel ergreifen und offizielle Entschuldigungen oder Entschädigungszahlungen einklagen. Falls es notwendig werden sollte, kann man gemäß der Strafprozessordnung eine Klage einreichen."
Um eine angemessene und rationale Nutzung der öffentlichen Online-Fahndung sicherstellen zu können, müssten zuerst rahmengebende Gesetze erarbeitet und entsprechende Maßnahmen ergriffen werden. Nur so ließe sich das Recht der Internetnutzer auf eine unverletzte Privatsphäre schützen. Zudem sei die moralische Bildung der Internetnutzer entscheidend, wie Frau Liu erklärt. Die Jagd nach Menschenfleisch, das Renrou Sousuo, ist ein zweischneidiges Schwert. Ob es großen Nutzen bringt oder Schaden anrichtet, das liegt letztendlich bei uns und unserer Vorgehensweise.
Text von Hu Hao
Gesprochen von Xiao Lan