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Yujiacun - Wo Chinas Feuersteins zuhause sind
  2011-09-30 09:55:23  cri
Yujiacun sieht auf den ersten Blick aus wie ein ganz gewöhnliches Dorf irgendwo in der tiefsten Provinz. Bei genauerem Hinsehen wird aber rasch klar, dass seine Bewohner eine ganz besondere Vorliebe haben: Steine.

Einen Turm mit einer Sichtweite bis ins einige hundert Kilometer entfernte Beijing wollte er bauen. Nach 25 Jahren mühseliger Einzelarbeit – der Legende nach ausschließlich in der Nacht – verletzte sich Yu Xichun jedoch so schwer an der Hand, dass er sein wahnwitziges Unterfangen bereits nach zwei Stockwerken aufgeben musste. Aus Respekt vor seinem schier unbändigen Willen fügten die Dorfbewohner seinem Turm im Jahr 1581 noch ein drittes Stockwerk mit einem Holzdach hinzu.

Obwohl der „Qingliang Ge" wider den Regeln architektonischer Vernunft ohne eigentliches Fundament und ohne Mörtel aus Steinen unterschiedlichster Größe gebaut wurde – einige wiegen Tonnen, andere sind nur faustgroß – steht er auch fast ein halbes Jahrtausend später noch am Ostende von Yujiacun im Herzen der Provinz Hebei.

Das bauliche Wahrzeichen von Yujiacun ist so kurios wie das 1.600-Seelendorf selbst. Es ist das Sinnbild für ein Dorf, dessen eigenwillige Bewohner aus der Not eine Tugend gemacht und fehlendes Baumaterial aus Holz durch Stein ersetzt haben. Entstanden ist im Laufe der Zeit ein Ort, der schnell einmal Assoziationen mit der Stadt „Felsental" aus der amerikanischen Zeichentrickserie „Die Familie Feuerstein" weckt.

Die rund 300 Wohnhöfe in Yujiacun bestehen allesamt fast ausschließlich aus Stein. Die engen Gassen, die das Dorf rasterförmig in West-Ost- und Nord-Süd-Richtung durchziehen, sind alle kopfsteingepflastert. Selbst die Terrassen der umliegenden Maisfelder wurden aus Steinen errichtet.

 

Selbstverständlich mussten im selbsternannten „Steindorf" Spechte nie als Plattenspieler herhalten, und Mammuts nie als Wasserhahnen wie im Hause Feuerstein. Dennoch dominierten bis zum Einzug der Moderne viele steinzeitlich anmutende Geräte den Alltag der Dorfbewohner. Mühlsteine sowie aus Stein gefertigte Tische, Stühle, Sitzbänke und Brunnen im Dorfkern zeugen noch heute von dieser Zeit. Im kleinen Dorfmuseum kann man gar aus Stein geschnitzte Becher und Krüge bewundern. Obwohl nur 80 Kilometer vom pulsierenden Shijiazhuang entfernt, wähnt man sich in Yujiacun in einer anderen Welt. Die Zeit scheint hier irgendwann während der Qing-Dynastie sprichwörtlich stehen geblieben zu sein.

Warteschlangen muss man vor dem Ticketschalter des schmucken Museums übrigens keine befürchten. In den Ausstellungsräumen, die passenderweise in einem alten Steinbau untergebracht sind, ist es so ruhig und menschenleer wie im restlichen Dorf. Yujiacun wirkt teilweise fast wie ausgestorben.

Nervende Touristengruppen gibt es im „Steindorf" glücklicherweise noch genauso wenig wie aufdringliche Souvenirhändler. Wer im Dorfkern entgegen aller Wahrscheinlichkeit dennoch einem dieser mühsamen Zeitgenossen über den Weg laufen sollte, muss leider davon ausgehen, dass es sich weder um einen Feuerstein noch um einen Geröllheimer handelt. 95 Prozent aller Einwohner von Yujiacun hören nämlich auf den Familiennamen Yu.

Die Menschen in diesem ungewöhnlichen Dorf rühmen sich, die Nachfahren von Yu Qian (1398–1457) zu sein, einem Verteidigungsminister aus der Ming-Dynastie, der China einst vor den Mongolen gerettet haben soll. Zehn Jahre nach seinem Tod legte sein Enkel Yu Youdao der Überlieferung zufolge im steinigen Ödland unweit des Cangyanshan den Grundstein für den Bau von Yujiacun.

Seither sind 24 Generationen vergangen. Einen Turm, von dem aus man sogar die gelben Dächer der Verbotenen Stadt sieht, gibts in Yujiacun zwar noch immer nicht. Dafür aber haben die Yus in den vergangenen 500 Jahren mit erstaunlicher Beharrlichkeit ein Steindorf aus dem Boden gestampft, an dem selbst der als Dauernörgler bekannte Fred Feuerstein nichts auszusetzen hätte.

 

Falls auch Sie sich in die Fußstapfen von Fred Feuerstein begeben möchten, sollten Sie folgendes beachten:

Einen Abstecher ins Steindorf Yujiacun (于家村) kombinieren Sie am besten mit einer Wanderung auf den Cangyanshan (苍岩山). Für die Besichtigung des Steinmuseums (20 RMB) und einen ausgiebigen Rundgang durchs Dorf genügen drei Stunden allemal.

Extra von Beijing nach Yujiacun zu reisen, lohnt sich kaum. Außer Sie sind Geologe oder auf der Suche nach Ruhe und Abgeschiedenheit. Die Hügel um Yujiacun laden zum Wandern oder zur Selbstfindung ein.

Die Fahrt vom Cangyanshan nach Yujiacun dauert etwa zwei Stunden. In Jingxing (井陉) müssen Sie umsteigen. Eine direkte Busverbindung vom Cangyanshan ins Steindorf gibt es nicht.

Einige Einheimische in Yujiacun bieten Unterkünfte an. Wer über Nacht bleiben will, meldet sich einfach am Ticketschalter des Steinmuseums gegenüber dem Hauptplatz. Man wird Ihnen dann eine Bleibe organisieren.

Die Übernachtung in einem einfachen Zimmer ohne fliessendes Wasser, aber inklusive Abendessen und Frühstück gibts bereits für 60 RMB pro Person. Wem es nichts ausmacht, tagsüber seine Notdurft auf einem Plumpsklo ohne Tür zu verrichten (in der Nacht über einem Holzeimer), der ist in Yujiacun goldrichtig. Wer hingegen nicht ohne seinen gewohnten Komfort und westliches Essen auskommt, sollte Yujiacun wieder vor Einbruch der Dunkelheit verlassen.

Stellen Sie unbedingt sicher, dass Sie genügend Bargeld bei sich haben. Yujiacun ist zwar kein teures Pflaster, einen Bankomaten werden Sie aber nur schwer finden.

Die Nachfahren von Yu Qian sind sehr gastfreundlich, sprechen jedoch überhaupt kein Englisch. Wer nicht Chinesisch spricht, muss mit versteinerten Mienen rechnen...

Viel Spaß bei den chinesischen Feuersteins!

Text und Fotos: Simon Gisler

Forum Meinungen
• mengyingbo schrieb "Leben in Changshu"
seit etwas über einer Woche ist nun Changshu 常熟 in der Provinz Jiangsu 江苏 meine neue Heimat - zumindest erstmal für rund 2 Jahre.Changshu (übersetzt etwa: Stadt der langen Ernte) liegt ungefähr 100 km westlich von Shanghai und hat rund 2 Millionen Einwohner, ist also nur eine mittelgroße Stadt.Es gibt hier einen ca. 200m hohen Berg, den Yushan 虞山 und einen See, den Shanghu 尚湖...
• Ralf63 schrieb "Korea"
Eine schöne Analyse ist das, die Volker20 uns hier vorgestellt hat. Irgendwie habe ich nicht genügend Kenntnisse der Details, um da noch mehr zum Thema beitragen zu können. Hier aber noch einige Punkte, welche mir wichtig erscheinen:Ein riesiges Problem ist die Stationierung von Soldaten der USA-Armee in Südkorea...
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