Eine Milliarde Jahre ist es her, seit aus Sedimentgestein mit den Bestandteilen Kalzit und Quarz sowie Mineralien wie Barium, Phosphor und Erzen Kalkstein geformt wurde – vorwiegend durch enormen Druck und sehr großer Hitze. Das Ergebnis dieses Prozesses wird heute in China „Schatz unter den Steinen" und „Die hellste Perle der Krone" genannt – oder einfach auch Songhua-Stein. Benannt ist diese geologische Besonderheit nach dem Fluß, in dessen Tal sich dieses Gestein abgelagert hat, und verwendet wird es als Reibstein zum Mischen von Tinte. Dazu braucht man etwas Stangentusche, Wasser und eben einen Stein, auf dem man alles vermischen kann. Am besten eignet sich dazu Songhua-Stein, weil die Tusche darauf problemlos gelöst werden kann und durch den schonenden Vorgang die Haare des Schreibpinsel später nicht beschädigt werden. Auch verfügt Songhua-Stein über eine besondere Zusammensetzung, welche den Stein lange kühl hält, die Tinte wird somit nicht so schnell trocken. All dies sind Eigenschaften, die ein wahrer Kalligraph zu schätzen weiß, haben sie schließlich direkten Einfluß auf die Arbeit und Qualität seines Werkes. Das wusste man auch schon am Kaiserhof zu schätzen: Kaiser Kangxi, zweiter Herrscher der Qing-Dynstie und bekannt für seine vielen Verdienste um China und natürlich durch das nach ihm benannte Kangxi-Wörterbuch, war ein begeisterter Freund von Reibsteinen aus Songhua-Stein, ebenso wie sein Enkel, Kaiser Qianlong. In der Qing-Dynastie war daher der Besitz und die Nutzung eines Songhua-Steins nur dem Kaiser und seinen engsten Vertrauten erlaubt.
Heute kann sich jeder so einen Stein kaufen, etwa im Geologischen Ausstellungshaus in Jiangyuan, unweit von Baishan. Dort wird zudem über die Entstehung des Gesteins und die Geschichte seiner Verwendung informiert, und handgeschnitzte Exemplare von der Größe eines Medallions bis hin zu einer Tischplatte können auch von Normalsterblichen erworben werden.
Weiter ging es in Richtung Changbaishan, wo wir in einem Hotel am Fuße des Gebirges Quartier für die Nacht aufschlagen sollten. Eines aber muss an dieser Stelle gesagt werden: China mag in vielen Fällen führend oder in der Weltspitze sein, im Straßenbau sind es die Chinesen jedoch noch nicht. Und nein, das gilt nicht nur für das Land, auch in der Hauptstadt gibt es Straßen, die in zweifelhaftem Zustand sind. Ganz zu schweigen von dem Abschnitt, auf dem wir heute Nachmittag unterwegs waren: zwar war die „Straße" gerade, aber von eben keine Spur. Kein Meter Fahrtstrecke, der ohne Durchschütteln zurückgelegt werden konnte, und die Löcher in der Straße waren oft groß genug, um Versteck zu spielen. Also, Straßenbaumeister des Landes, vereinigt Euch – zum Nachsitzen!
Wir hatten also medizinische Unterstützung nötig, und passenderweise stand der Besuch eines Ginseng-Museums als nächstes an. Ginseng hilft zwar nicht gegen schlechte Straßen, aber bei Stress, er fördert die Konzentration und macht fit. Die Menschen in der Region erzählen sich zudem eine interessante Legende um diese Heilpflanze: vor einiger Zeit wurde einmal eine mehrere Hundert Jahre alte Ginseng-Wurzel in eine Ortschaft hier gebracht. Die Leute legten sie über Nacht in einen Lagerraum, um sie zu schützen. Mitten in der Nacht hörte der Wächter jedoch Geräusche in dem Raum. Er schlich sich also zur Tür, öffnete diese leise und traute seinen Augen nicht: um den alten Ginseng herum standen all die Mäuse aus dem alten Lager - und beteten die Wurzel an! So ist es jedenfalls überliefert, und an jeder Geschichte ist bekanntlich etwas Wahres dran. Und auch wenn die Geschichte nur zur Hälfte stimmt, so verdeutlicht sie doch den hohen Stellenwert, den Ginseng in China als Heilpflanze hat.
Christoph Limbrunner