Tsampa, ein fester Brei aus gerösteter Gerste ist das bekannteste tibetische Grundnahrungsmittel. Meist wird er aus Qingke-Gerste hergestellt, einem Getreide, das in Tibet seit vielen Jahrhunderten angebaut wird. Außerhalb der Region ist es jedoch so gut wie unbekannt. Nachdem Wissenschaftler in den letzen Jahren viel über die wohltuende Wirkung der Qingke-Gerste herausgefunden haben, soll sich das nun ändern.
Die Tibet-Reise von Herrn Zhang, einem Touristen aus der Provinz Shaanxi, geht dem Ende zu. Einen Tag vor seiner Abreise macht er sich noch schnell auf den Weg in einen Supermarkt, um tibetische Spezialitäten zu kaufen. Bei den vielen verschiedenen Produkten, wie Gerstengebäck, Gerstennudeln oder Röstgerste, fällt ihm die Wahl schwer.
„Qingke-Gerste zählt zu den tibetischen Spezialitäten. Da ich Tibet bald verlasse, möchte ich einige Gerstenprodukte für meine Familie kaufen. Aber hier ist die Auswahl so groß, so dass ich nicht weiß, was ich nehmen soll. Jetzt gebe ich einfach auf und nehme von jedem eins."
Wenn von Tibet die Rede ist, kommen einem sofort drei Dinge in den Sinn: der Potala-Palast, Yaks und die Qingke-Gerste.
Qingke-Gerste ist das Grundnahrungsmittel der Tibeter, und wurde in über tausend Jahren kaum exportiert. Bis Ende des letzten Jahrhunderts verarbeitete man sie nur zu Tsampa oder Gerstenwein. Daher waren die Absatzmöglichkeiten sehr eingeschränkt. Heute jedoch bemüht man sich, auch unter dem Einfluss des Tourismus-Booms in Tibet, verstärkt um weitere Verarbeitungsmöglichkeiten. Bis 2004 wurden neben Gerstenbier auch Gerstenmüsli, Gerstennudeln oder Gerstendampfbrot entwickelt und auf den Markt gebracht.
An heißen Sommertagen stauen sich vor der Gerstenbier-Brauerei die LKW. Die Fahrzeuge werden mit mehreren Tonnen Gerstenbier beladen, die sie zum Bahnhof in der Vorstadt bringen. Vor dort aus wird das Bier mit der Qinghai-Tibet-Eisenbahn nach Beijing, Shanghai und Guangdong transportiert und schließlich teilweise exportiert.
Norbu Tsering, der bei der Tiandi-Gesellschaft in Tibet für Bio-Getränke zuständig ist, berichtet über den Erfolg des Bieres:
„In der ersten Jahrhälfte 2011 haben wir 38.000 Tonnen Gerstenbier hergestellt und damit einen enormen Umsatz von 250 Millionen Yuan gemacht."
Dieser Erfolg hat nicht nur für großes Interesse gesorgt, sondern auch mehr und mehr Unternehmen und Investoren dazu angeregt, sich verstärkt Gedanken über eine effektive Erschließung und Nutzung des Getreides zu machen.
Qiang Xiaolin ist Vizedirektor des Forschungsinstituts für Landwirtschaft an der Akademie für Landwirtschaft und Viehzucht im Autonomen Gebiet Tibet. Momentan arbeitet er mit seinen Kollegen intensiv an der Erforschung und Entwicklung der Qingke-Gerste:
„Ende der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts haben amerikanische Wissenschaftler die medizinische Wirkung der Qingke-Gerste erforscht. Ihren Ergebnissen zufolge kann sie bei der Senkung des Cholesterinspiegels und der Prävention von Herzgefäßerkrankungen helfen. Inzwischen ist auch ihr Nutzen für der Verdauung, die Senkung des Cholesterinspiegels und des Blutzuckers sowie die Erhöhung der Immunabwehr medizinisch nachgewiesen."
Seit den neuen Erkenntnissen der Wissenschaftler läuft die Verarbeitung der Qingke-Gerste auf Hochtouren. Experten gehen davon aus, dass die bislang eher wenig bekannte Gerstenart zum weltweit beliebtesten Getreide werden kann.
Dawa, der in der Gemeinde Caina in Lhasa lebt, jätet gerade Unkraut auf seinem Acker. Blickt er auf seine gut gedeihende Gerste, steht ihm die reine Freude ins Gesicht geschrieben. Das Jahreseinkommen seiner Familie hängt stark von den Erträgen seines Feldes ab.
"Der Anbau von Gerste ist jetzt ganz anders, als in der Vergangenheit, denn der Absatzmarkt für Qingke-Gerste ist gewachsen. Obwohl es im vergangenen Jahr wenig geregnet hatte, als in diesem Jahr, habe ich mehrere tausend Yuan verdient. Dank der reichlichen Niederschläge in diesem Jahr steht die Gerste im guten Wuchs. Deshalb rechne ich mit einer guten Ernte."
Tibet ist weltweit das einzige große Anbaugebiet für Qingke-Gerste. Sie wird auf 60 Prozent der gesamten Getreideanbaufläche kultiviert. Laut Berechnungen der Behörde für Landschaft und Viehzucht im Autonomen Gebiet Tibet schwanken die Jahreserträge zwischen 500.000 und 600.000 Tonnen. Rund 120.000 Tonnen lassen sich weiterverarbeiten. Mit der anhaltenden Entwicklung sieht das traditionelle tibetische Getreide einer neuen industriellen Revolution entgegen.