Es ist wahrscheinlich nur logisch, dass eines der ersten ausgereiften Fahrrad-Verleihsysteme Chinas ausgerechnet in Hangzhou entstanden ist. Ob eine geruhsame Spazierfahrt entlang des Ufers des Westsees oder ein Ausflug in die grünen Hügel der Stadt – ein Fahrrad-Fan hat hier die Qual der Wahl.
Doch fordert die schonungslose Modernisierung auch von Hangzhou ihren Tribut. Genauso wie in den anderen Großstädten Chinas sind Autos das Verkehrsmittel der Wahl. Mit allzu bekannten Folgen: Verstopfte Straßen, kilometerlange Staus, Schwierigkeiten bei der Parkplatzsuche, Umweltverschmutzung und sich immer weiter verschlechternde Luftqualität. Um dagegen vorzugehen, beschloss man in Hangzhou, das „grüne Fortbewegungsmittel" Fahrrad zu fördern.
Der Sprecher des Unternehmens, das für das Fahrrad-Verleihsystem in Hangzhou zuständig ist, erklärt:
„Bei der Entwicklung der Stadt tauchen sogenannte ‚Stadtkrankheiten' auf, vor allem sind es Probleme mit dem Verkehr. Und wenn man diese Probleme anpacken will, dann bietet ein Fahrradverleih-System viele Möglichkeiten. Soweit es uns bekannt ist, gibt es anderswo in China derzeit kein derartiges System. In Hangzhou hingegen bilden die städtischen Fahrräder das Bindungsglied des öffentlichen Verkehrsnetzes. Sie verbinden die einzelnen Buslinien und bald auch die U-Bahn. Oder sie werden auf Kurzstrecken eingesetzt. Es handelt sich dabei um ein neues Konzept des öffentlichen Nahverkehrs."
Ein gut ausgebautes öffentliches Verkehrsnetz gilt als die wichtigste Voraussetzung dafür, dass mehr Menschen das eigene Auto zu Hause lassen oder es sich gar nicht erst anschaffen. Deswegen wird in Hangzhou gerade auch ein U-Bahn-Netz vollendet, das im nächsten Jahr in den Betrieb gehen soll. Doch auch bei einem sehr gut ausgebauten Verkehrsnetz hat ein eigener PKW unbestreitbare Vorteile. Die Betreiber in Hangzhou sprechen vom „letzten Kilometer". Der stellvertretende Leiter des städtischen Ordnungsamts, Yu Jianzhong, erklärt:
„Früher musste man zwischen dem eigenen Wohnort und der Haltestelle des öffentlichen Verkehrs auf jeden Fall eine Strecke zurücklegen. Da konnte man nichts machen, außer man kaufte sich ein eigenes Auto oder fuhr mit dem eigenen Fahrrad. Jetzt kann man aber mit dem städtischen Fahrrad bis zur Haltestelle fahren und dort das Fahrrad abstellen und dann in den Bus einsteigen. So kann man das Problem des ‚letzten Kilometers' lösen und mehr Menschen dazu bewegen, den öffentlichen Verkehr zu nutzen."
Um dies zu gewährleisten, braucht es aber ein gut ausgebautes System mit genügend Ausleihstationen und Fahrrädern sowie bezahlbaren Preisen. Und das muss natürlich irgendwie finanziert werden. In Hangzhou ist man den Weg einer öffentlich-privaten Partnerschaft gegangen:
„Um die Verkehrsprobleme in den Griff zu bekommen, hat die Stadtregierung unsere Verkehrsgesellschaft damit beauftragt. Danach haben wir das Fahrrad-Unternehmen gegründet. Im Mai 2008 hat man mit dem Probelauf begonnen und im September wurde der reguläre Betrieb aufgenommen. Damals haben wir mit 2.800 Fahrrädern und 61 Verleihstationen angefangen. Und heute haben wir 2.411 Stationen mit über 60 Tausend Fahrrädern."
Die Stadt leistete die Anfangsfinanzierung, doch auf mittlere Sicht soll das Unternehmen selbsttragend werden. Die Gelder sollen über die Werbung an den Ausleihstationen und an den Fahrrädern selbst und durch die Gebühren reinkommen. Denn auch wenn nur zehn Prozent der Kunden für das Fahrrad schlussendlich bezahlen – bei 200.000 Nutzern täglich lässt sich der Gesamtbetrag schon sehen.
Um die Zweiräder zu benutzen, muss man eine Karte beantragen und 200 Yuan Kaution hinterlassen. Die erste Stunde ist kostenlos und für jede weitere wird ein Yuan berechnet. Wobei sogar der vermieden werden kann, wenn der Kunde rechtzeitig das Fahrrad wechselt. Und die Karte können nicht nur Einheimische, sondern auch Besucher der Stadt, beantragen.
Das System hat sich als so erfolgreich erwiesen, dass es zu Hauptverkehrszeiten schwierig ist, ein Fahrrad zu finden beziehungsweise wieder abzustellen. Wegen der robusten Bauweise und des niedrigen Grundpreises der rotlackierten Drahtesel gibt es auch praktisch keine Probleme mit Diebstählen und mutwilliger Beschädigung, so zumindest die Eigenangabe des Unternehmens.
Vor allem ist man aber auf den Beitrag zum Umweltschutz stolz:
„Die durchschnittliche Nutzungsdauer unserer Fahrräder beträgt etwas mehr als eine halbe Stunde. Bei einer konservativen Schätzung legt das Rad in der Zeit zwei Kilometer zurück. Über das ganze Jahr 2010 gesehen wurden alle Räder 70 Millionen Mal benutzt. Es handelt sich also um 140 Millionen Kilometer, die ansonsten mit dem Auto zurückgelegt worden wären."
Wenn man das hochrechnet, dann werden dank dem Programm in Hangzhou jedes Jahr 30.000 Tonnen Karbondioxid weniger in die Luft gestoßen.
Das erfolgreiche Hangzhouer Modell wurde bereits in mehreren kleinen und mittelgroßen Städten im Süden und Osten von China kopiert. Doch auch die Verkehrsplaner von Beijing oder Shanghai könnten von der Hauptstadt von Zhejiang lernen, dass große Prestigeprojekte nicht die einzigen Mittel sind, um den Problemen der Gegenwart zu begegnen.
Text und Interview von Jörg Pensin und Wu Shiyun
Gesprochen von Huang Gang