Das "rote Schiff" von Jiaxing war der letzte historische Teil unserer Reise. Zur Erinnerung: Auf ihm ging der erste Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas zu Ende. Es ist viel Zeit verflossen seit jenen Tagen im Juli 1921. Das China von heute ist ein anderes Land. Und die Kommunistische Partei ist von einem kleinen Zirkel von Intellektuellen zu der größten Partei der Welt mit mehr als 70 Millionen Mitglieder angewachsen. Um zu sehen, wer die Mitglieder von heute sind, hat sich unsere Delegation mit drei ihrer Vertreter getroffen, die drei unterschiedlichen Generationen angehören.
Ich muss zugeben, als wir mit unseren Kollegen ausgemacht haben, wer wen von ihnen interviewen darf, war ich zunächst etwas traurig, dass ich nicht mit dem Rentnern Li Zhenming sprechen darf. Man hätte zu gerne Geschichten aus dem bewegten Leben des ehemaligen Soldaten gelauscht. Doch waren meine Zweifel wie im Nu verflogen, als Zhu Kefeng aufgetaucht ist. Der eloquente Mittvieziger wechselt problemlos aus dem Chinesischen ins Englische und hat trotz seines relativ jungen Alters einiges erlebt. Aufgewachsen in einem ländlichen Gebiet in Jiangxi schaffte er die Aufnahmeprüfung an die Hochschule. Danach war er Lehrer, Journalist, arbeitete in der Metallverarbeitungsindustrie und betreibt jetzt eine Kunstwerkstatt.
Herr Zhu ist bereits seit 1987 aktives Mitglied der Partei. Für ihn ist es der richtige Ort, um mehr für sein Land und seine Mitmenschen tun zu können. Die Erfolge bei der Entwicklung seiner Heimat und die Verbesserung des Lebensstandards in den letzten Jahrzehnten seien mit bloßem Auge zu erkennen. Aber auch Herr Zhu sieht die Herausforderungen, mit denen man heutztage konfrontiert ist. Es gibt unehrliche Beamte und Kader und Preise für Wohnungen und Lebensmittel steigen immer weiter. Doch könnten all diese Probleme gelöst werden, wenn man nur hartnäckig weiter arbeitet und das Ziel nicht aus den Augen verliert. Herr Zhu ist überzeugt, dass die Kommunistische Partei auch in der Zukunft die Rolle der „Lokomotive" spielen und in Politik, Wirtschaft und Kultur die Geschicke des Landes bestimmen wird.
Auch in seiner Arbeit scheint das Engagement von Zhu Kefeng durch. Nach dem Mittagessen haben wir ihn auf seinem Arbeitsplatz in der Werkstatt der „Tie Gemenr" besucht. Der umgangsprachliche Begriff steht im Chinesischen für „unzertrennliche Freunde". Wobei „Tie" allein Eisen heißt und der Name somit auch als „Eisenkumpels" übersetzt werden kann. Das zwanzigköpfige Team verwandelt in ihrer Werkstatt Altmetall in Kunstobjekte. Ausrangierte BMWs werden hier als futuristische Transformer-Figuren wiedergeboren. Und rostiges Blech wird zu riesigen Plastiken aus der chinesischen Mythologie. Doch steht die Kunst nicht einfach für sich selbst, sondern verfolgt auch einen pädagogischen Zweck: So soll der Metallhase auf der Vorderscheibe eines zerfallenen Kleinbusses vor allem Kindern die Regeln der Verkehrssicherheit nahebringen. Und in einem Pavillion in den Ausstellungsräumen wird das Thema der Ressourcenknappheit und Umweltverschmutzung zur Sprache gebracht. In der Zukunft soll bei den „Tie Gemenr" so etwas ähnliches wie die berühmte Kunstzone 798 in Beijing entstehen, in der aber über den kommerziellen Aspekt hinaus auch noch positive Werte vermittelt werden.
Wenn man sich von Zhu Kefeng verabschiedet, wird einem bewusst, welchen Weg die KP Chinas seit den zwanzigern Jahren gegangen ist. Damals waren ihre Mitglieder idealistische junge Leute, die unter größten Gefahren ihre Vision eines neuen Chinas verwirklichen wollten. Heute lächelt einem ein selbstbewusster Macher entgegen, der sich den Problemen der jetzigen Zeit bewusst ist und ihnen mit Zuversicht entgegenblickt.
Am Nachmittag verlassen wir Jiaxing und fahren nach Hangzhou, die Hauptstadt von Zhejiang. Hier soll nicht mehr die rote Vergangenheit im Vordergrund stehen, sondern die wirtschaftliche Entwicklung einer der dynamischsten Provinzen Chinas.