Für die Bewohnerin der neuen Kreisstadt Beichuan der Provinz Sichuan, Zhang Xiaoqiong, ist der Sonnenaufgang der schönste und fröhlichste Moment des Tages. Denn bei Sonnenaufgang geht sie sehr gern mit dem Kinderwagen spazieren. Obwohl ihr knapp zweijähriges Kind Liu Peng die Straßen seines Wohnbezirks bereits mehrfach gesehen hat, ist es bei jedem Spaziergang immer noch sehr neugierig auf die Umgebung und bringt mit undeutlichem Gebrabbel seinen Frohmut zum Ausdruck.
„Ma ma, ma ma."
Während er brabbelt will die Mutter Liu Peng immerzu zärtlich streicheln. Sieht man das, denkt man nicht mehr an die unvergessliche Tragödie der 38-jährigen Frau Zhang in der Vergangenheit.
Drei Jahre zuvor hatte Frau Zhang noch eine vollständige und glückliche Familie. Ihr Mann Liu Jinjun lebte vom Rikscha fahren und Frau Zhang betrieb eine Schneiderei. Die Familie war nicht reich, führte jedoch ein glückliches Leben. Ihre vierjährige Tochter war äußerst süß und gescheit und brachte der Familie viel Freude. Aber das plötzliche Erdbeben der Stärke 8,0 auf der Richter-Skala am 12. Mai 2008 in Sichuan zerstörte das Leben der Familie gänzlich. Die Kreisstadt Beichuan wurde dabei völlig zerstört. Viele Gebäude stürzten ein und tausende Menschen wurden von Schutt und Schlamm begraben. Auch Frau Zhangs Tochter und die Großmutter, die ihre Enkelin zum Kindergarten brachte, hatten kein Glück. Beide kamen bei dem Erdbeben ums Leben. Obwohl bereits drei Jahre vergangen sind, schießen die Tränen noch immer in Frau Zhangs Augen, wenn sie sich an die damaligen Szenen erinnert.
„Damals dachte ich vor allem an mein Kind. Nachdem ich aus dem Schutt und Schlamm geklettert war, dachte ich, was ist mit meiner Tochter. Ich dachte, dass nur unser Gebäude anstelle der ganzen Stadt eingestürzt war. Meine Beine waren schwer. Ich wollte nur mein Kind retten, aber ich konnte es nicht, ich konnte nicht zum Kindergarten gelangen."
Nach mehrtägiger Suche kam das Ehepaar zu dem Ergebnis, dass ihre Tochter unter all dem Schutt und Schlamm nicht mehr leben konnte. Sie brachen in Tränen aus. Für eine Mutter ist nichts schlimmer als der Verlust ihres Kindes. Damals träumte Frau Zhang jede Nacht von ihrer Tochter und wachte voller Tränen und Hoffnungslosigkeit aus ihren Träumen auf.
„In dem Traum steht meine Tochter genau vor mir. Sie trägt nur eine kurze Hose und friert. Sie schreit, „Mama!" Ich antworte, „Mama hat Bonbons und Brötchen für dich!" „Aber wo ist deine Oma?" frage ich. Sie sagt, „Oma ist dort!" Wenn ich davon träume, bin ich immer sehr traurig und wache nachts tränenüberströmt auf."
Nach dem Erdbeben zogen Frau Zhang und ihr Mann im August 2008 gemeinsam mit anderen vom Erdbeben betroffenen Bewohnern des Kreises Beichuan in provisorische Unterkünfte. Dort hat das Ehepaar viele Opfer des Erdbebens kennen gelernt. Sie trösteten und unterstützten einander. Dabei versuchte Frau Zhang allmählich die katastrophalen Erlebnisse zu vergessen. Ihr Mann Liu Jinjun begann sich zudem an der Rettungsarbeit nach dem Erdbeben in Sichuan zu beteiligen. Die Zeit verging, und Frau Zhang führte mit ihrem Mann inzwischen ein stabiles Leben. Es fehlte dem Ehepaar jedoch ein Kind.
So bemühten sich die beiden später um ein weiteres Kind. Am 18. August 2009 gebar Frau Zhang ihren Sohn Liu Peng. Zhangs Haus war nun voll von Spielzeug und einem Kinderwagen. Der Sohn bedeutete für Frau Zhang alles. Sie betonte, dass sie jetzt wieder voller Hoffnung ist, nachdem sie den Sohn geboren hat.
„Er mag die Spielzeugautos und sieht sehr gerne Ultraman und Cartoons."
Gute Nachrichten folgten dann Schlag auf Schlag. Am 25. September 2010 wurde die neue Kreisstadt Beichuan fertig gebaut. Zhangs Familie zählte zu den glücklichen ersten Einwohnern des neuen Kreises. Ihr Wohnviertel im Stil der Qiang- Nationalität wurde nicht nur sehr hübsch und ordentlich, sondern auch umweltfreundlich mit Blumen und Bäumen bepflanzt. Das schönste für Frau Zhang ist ein nahe gelegener Kindergarten im Erma-Wohnviertel. Dort gibt es viele Kinder im Alter von Liu Peng, mit denen er gemeinsam spielen kann.
„Viele Kinder spielen im Erma-Wohnviertel. Auch der Kindergarten befindet sich dort. Es gibt nun die Beichuan- Grundschule, die Mittelschule sowie die Fachschule. Alle Schulen sind fertig gebaut und schön dekoriert. Einige Schulen wurden bereits in Betrieb genommen."
Zhang Xiaoqiong hat nun wieder Hoffung in ihrem Leben. Vor dem Erdbeben betrieb sie eine Schneiderei, nun ist sie Inhaberin eines Gardinenladens. Sie hofft, dass sich ihr Geschäft mit der Zunahme der Bevölkerung im neuen Beichuan verbessern wird. Dadurch könne sie mehr Geld verdienen, um die Lebensbedingungen ihrer Familie zu verbessern. Der kleine Liu Peng ist jedoch ihre größte Hoffnung. Sie wünscht sich, dass er später einmal Arzt wird.
„Als Arzt kann er nicht nur Patienten heilen, sondern auch viele andere gute Dinge tun. Zum Beispiel benötigt man dringend Ärzte nach einem Erdbeben."
Obwohl Frau Zhang nun einen Sohn hat, erinnert sie sich noch manchmal an ihre Tochter. Sie träumt sogar beim Spaziergang auf der Straße davon, dass ihre Tochter an einer Ecke auftaucht und ihr entgegen gelaufen kommt. Der Verlust des Kindes ist für eine Mutter niemals zu ersetzen.
Übersetzt und gesprochen von Zheng An