In China gibt es vier berühmte Gebirge, die eine große Rolle im Buddhismus spielen. Dabei handelt es sich um die Gebirge Wutai, Emei, Putuo und Jiuhua. Den Überlieferungen zufolge sind diese vier Gebirge Orte, an denen vier buddhistische Bodhisattvas meditierten, nämlich Wenshu, Puxian, Guanyin und Dizang. Aus diesem Grund sind diese Berge Hochburgen des Buddhismus und zugleich begehrte Reiseziele.
Das Wutai-Gebirge befindet sich in der nordchinesischen Provinz Shanxi und besteht aus insgesamt fünf Bergen. Ihre Gipfel sind alle flach und eben, sodass sie einer Plattform ähneln. Daher nennt man sie auch Plattformen des Ostens, des Westens, des Südens, des Nordens sowie der Mitte. Übrigens ist das Wutai-Gebirge auch der geographisch höchste Punkt in ganz Nordchina.
Laut einer Legende hieß das Gebirge einst Wufengshan, also „das Fünfgipfel-Gebirge". Hier herrschte ein extremes Klima. Im Winter war es eisig kalt, im Frühling wehten starke Stürme, und im Sommer litten die Menschen unter einer unerträglichen Hitze. Die Bauern konnten ihre Felder schlichtweg nicht beackern. Einst begab sich der Bodhisattva Wenshu zufällig auf eine Missionsreise in das Wufeng-Gebirge. Dort sah er, dass die Menschen sehr unter dem unerträglichen Klima litten, und so beschloss er, ihnen zu helfen.
Der Bodhisattva hatte zuvor erfahren, dass der Drachenkönig des Ostchinesischen Meers einen riesigen Stein mit dem Namen „Xielong" besaß. Dieser Stein hatte die Kraft, trockenes in feuchtes Klima zu verwandeln. Und so verwandelte sich der Bodhisattva in einen Mönch und begab sich nach Osten, um den Drachenkönig zu besuchen und sich den Stein von ihm zu leihen.
Schließlich erreichte Wenshu den Palast des Drachenkönigs am Ostchinesischen Meer. Dabei fiel ihm ein riesiger Fels auf, der vor dem Eingang lag und der eine starke Kälte ausstrahlte. Bald wurde er zu einer Audienz eingeladen, bei der Wenshu um den Stein bat. Doch der Drachenkönig erwiderte: „Alles könnt Ihr von mir leihen, doch nicht diesen Stein. Ich habe Hunderte von Jahren damit verbracht, ihn aus den Tiefen des Meeres herauf zu tragen. Denn dieser Stein ist kühl und wirkt erfrischend. Jeden Tag erholen sich meine Kinder nach ihrer mühsamen Arbeit auf dem Stein. Sollte ich den Stein weggeben, dann hätten meine Kinder keinen Ort mehr, an dem sie sich ausruhen könnten."
Voller Geduld und Aufrichtigkeit erläuterte Bodhisattva Wenshu dem Drachenkönig noch einmal, dass der Stein den Menschen großes Glück bringen könnte.
Nun wollte der Drachenkönig den Stein zwar nicht weggeben, doch fiel ihm keine überzeugende Ausrede ein. Also dachte er bei sich, dass der Mönch den Stein ohne Hilfe kaum wegtragen konnte, und so sprach er: „Ihr sollt den Stein haben, wenn Ihr ihn alleine fortschleppen könnt."
Wenshu bedankte sich höflich und trat vor den Stein. Dort flüsterte er einige Worte, und mit einem Mal verwandelte sich der gewaltige Felsen in eine kleine Kugel, die Wenshu ohne große Mühe in seiner Tasche verstaute. Als der Drachenkönig dies sah, erstaunte er sehr und bereute sein Angebot.
Als der Bodhisattva wieder im Wufeng-Gebirge angelangt war, musste er feststellen, dass der Boden vor Hitze bereits aufgerissen war. Die Menschen litten furchtbar unter dem Klima. Doch als Wenshu den magischen Stein in der Mitte des Tales aufstellte, geschah ein Wunder. Das ganze Wufeng-Gebirge verwandelte sich plötzlich in einen kühlen Weidegrund. Daraufhin taufte man es „Qingliang-Tal", was „Tal der frischen Kühle" bedeutet. Anlässlich dieses Wunders errichtete man außerdem einen Tempel, der ebenfalls Qingliang-Tempel genannt wurde. Seither heißt das Gebiet im Volksmund bis heute Qingliang-Gebirge.
Das Gebirge Wutai ist als Sehenswürdigkeit im ganzen Land bekannt. Neben der Landschaft locken auch zahlreiche buddhistische Tempel und Klöster Besucher in die Region. Unter den insgesamt 42 Tempelanlagen befinden sich auch die Klöster Nanchan und Foguang, die während der Tang-Dynastie erbaut wurden. Die beiden Klöster sind die ältesten noch existierenden Tempel mit einer Holzkonstruktion in ganz China und können auf eine Geschichte von immerhin 1.200 Jahren zurückblicken. Besucher können daher nicht nur religiöse und künstlerische Aspekte genießen, sondern erhalten auch eine Vorstellung von der alten chinesischen Architektur.
Da auf dem Gipfel das ganze Jahr über Schnee liegt, ist es selbst im Hochsommer angenehm kühl. Aus diesem Grund bezeichnet man das Wutai-Gebirge auch als idealen Ausflugsort für den Sommer.
Übersetzt von Zhong Xi