Yao Wen (姚文) ist Gründer und Leiter einer Schauspielgruppe, deren Mitglieder ausschließlich Bauern aus der Umgebung des Dorfes Shanxu sind. Es war im Jahr 1994, als Yao Wen zum Vorsteher des Kulturzentrums des kleinen Dorfes ernannt wurde. Bei einer der Kunstvorführungen in Shanxu wurde er dann zum ersten Mal Zeuge einer Vorführungen der Zhuang-Nationalität. So lernte er die Lobgesänge Chang Chun Niu und die Oper Cai Cha Hua kennen und war sofort von ihrer Schönheit und Anmut gefesselt. Bereits in diesem Moment trug sich Yao Wen mit dem Gedanken, auf welchem Wege er das Kulturzentrum und die regionale Kultur noch enger zusammenführen könnte.
„Damals betrieben wir Kulturforschungen vor Ort. Bei einer künstlerischen Darbietung erschien mir die Musik besonders schön. Ich habe mich dann erkundigt, was für Musik das genau sei. Man sagte mir, dass es sich um eine lokale Oper mit dem Namen Cai Cha Hua handelte. Die Lobgesänge auf Rinder fand ich auch sehr interessant. Ich wunderte mich sehr darüber, dass es in diesem einzigen Dorf so viele alte und traditionsreiche Kunstformen gab. Später begann ich dann, sie zu sammeln und zu erforschen."
Die Einwohner Shanxus verehren ihre Rinder schon seit langem, denn in ihren Augen sind die Rinder die Mutter der Menschen. So kommt es, dass die Bauern jedes Jahr nach der Herbsternte Lobgesänge auf ihre Rinder halten. Bei diesem Chang Chun Niu-Gesang kostümiert sich einer der Dorfbewohner als Kuh, während die übrigen Bauern verschiedene Lieder singen und die Verdienste ihrer Haustiere rühmen. Die lebensnahe Gestaltung, die interessanten Dialoge und nicht zuletzt die abwechslungsreichen Inhalte verleihen diesen Lobgesängen eine fast magische Anziehungskraft.
Im Vergleich zum Chang Chun Niu ist die Oper Cai Cha Hua um einiges komplexer. Wie die Peking-Oper verfügt sie über eigene Melodien, Tonformen und bewegende Arien. Ihr Hauptthema ist das Lob der Moral und die Kritik an unmoralischen Verhaltensweisen. Darüber hinaus hält sie die Menschen dazu an, ein pietätvolles, gutherziges und aufrichtiges Leben zu führen. Es muss also nicht weiter verwundern, dass die Oper Cai Cha Hua zu einem der wichtigsten Kulturerben der Stadt Fusui zählt. Yao Wen berichtet weiter:
„Der Gesang und die Oper werden zur Feier der reichen Ernte vorgeführt. Dabei unterhält man sich selbst. Sie ähneln der Yue-Oper. Die Schauspieler singen verschiedene kleine Melodien und schildern dabei eine Geschichte und den Charakter ihrer Figuren."
Anhand historischer Dokumente lassen sich die Rindergesänge und Cai Cha Hua-Opern bis in die Anfänge der Qing-Dynastie zurückverfolgen.
Damals verdienten sich viele Familien mit den Vorführungen ihren Lebensunterhalt. Mit dem Tod der alten Künstler zerfielen die Ensembles allerdings, und so schritten die Gesangs- und Operntraditionen der Region langsam ihrem Ende entgegen. Aus diesem Grund ist Yao Wen der Ansicht, dass es keinen Aufschub für die Rettung dieser wertvollen lokalen Kunstformen geben darf.
Und so begann Yao Wen im Jahre 2002 damit, in den verschiedenen Dörfern der Umgebung alte Volkskünstler zu suchen und zu befragen. Die Kosten hierfür trug er ausnahmslos selbst. Nur mit einem Fahrrad ausgestattet, war er von früh bis spät auf der Suche nach möglichen Interviewpartnern.
Doch der Einsatz hat sich gelohnt: Innerhalb von zwei Jahren konnte Yao Wen insgesamt 53 Melodien sammeln und so vor dem Vergessen bewahren. Zudem gelang es ihm, auf der Basis der Interviews 34 komplette Opern im alten Stil sowie drei völlig neue Opern im modernen Stil zu schaffen.
Sozusagen als erfreuliches Nebenprodukt seiner Arbeit konnte Yao Wen außerdem zahlreiche traditionelle Tänze, Sketche und Berglieder zusammentragen.
Doch mit der Zeit musste er feststellen, dass seine eigene Kraft kaum ausreichen würde, um jede einzelne Form der traditionellen Volkskunst zu bewahren. Was er benötigte, war eine ganze Gruppe von Menschen, die sich für den Erhalt dieser Künste engagieren würden.
Wieder begab sich Yao Wen in die Dörfer und bewegte die Bauern dazu, sich an einer Schauspielgruppe zu beteiligen. Mit der Hilfe einiger alter und erfahrener Künstler war die Gruppe schnell bereit für ihren ersten Auftritt. Um die Vorführungen etwas attraktiver zu machen, investierte Yao Wen seine privaten Ersparnisse in Requisiten, Lautsprecher, Instrumente und vieles mehr.
Die Gruppe begab sich schon relativ früh in die Dörfer der Umgebung und spielte vor den hiesigen Anwohnern. Damit die Stücke besseren Anklang fanden, versuchten die Schauspieler, das Alltagsleben der Menschen und die alten Opern miteinander zu verbinden. Schnell stellte sich heraus, dass sich die dabei neu geschaffenen Lobgesänge und Opern großer Beliebtheit erfreuten.
„Ein Drittel unserer Vorführungen ist unentgeltlich, denn Geld ist ja nicht unser Hauptziel. Wir wollen nur, dass mehr Menschen um die Existenz von Chang Chun Niu und Cai Cha Hua-Oper wissen. In den Dörfern, in denen die Menschen unsere Vorführung besonders gerne mochten, spielen wir freiwillige Zugaben. "
Die Vorführungen der Schauspielgruppe sind beliebt und bringen Leben in die Dörfer, die Sitzplätze sind jedes Mal restlos besetzt. Damit noch mehr Menschen diese zwei alten Kunstformen kennenlernen, bemüht sich die Gruppe zurzeit um Auftritte in den Städten und Schulen der Region.
Infolge ihrer zunehmenden Bekanntheit erhält die Schauspielgruppe inzwischen immer mehr Einladungen. Pro Jahr kommt die Gruppe auf durchschnittlich 80 Vorführungen, aber in diesem Jahr wurde mit 160 Auftritten ein neuer Rekord aufgestellt.
Doch der Erfolg bedeutet dabei nicht, dass sich die Gruppe mit dem Erreichten zufriedengeben würde. Denn Yao Wen plant schon sein nächstes Projekt: In Zukunft will er auch Jugendliche für die Überlieferung traditioneller Kunstformen heranziehen.
Übersetzt von Hu Hao
Gesprochen von Lu Shan