Im Jahr 2010 hat ein brasilianisches Werk auf dem chinesischen Literaturmarkt großes Aufsehen erregt. Während der 11. Lesewoche im November 2010 in Shenzhen und auf dem vierten Forum für jugendliche Leser in Zhengzhou wurde es als wertvolle Kinderliteratur in China empfohlen. Zugleich wurde das entsprechende Buch noch als einer der zehn besten Lesestoffe für Kinder 2010 in China gewählt. Die Rede ist von „Mein Kleiner Orangenbaum", ein Roman eines brasilianischen Schriftstellers, welches inzwischen auch in China erschienen ist. Im folgenden Beitrag wollen wir kurz vorstellen, wie chinesische Leser auf den Roman reagieren.
„Mein kleiner Orangenbaum" ist ein autobiografischer Roman des Autoren José Mauro de Vasconcelos, der 1920 in Rio de Janeiro in Brasilien geboren wurde. Nach einer künstlerischen Bedenkzeit von immerhin 42 Jahren schrieb er als 48-jähriger „Mein kleiner Orangenbaum" in nur zwölf Tagen. Darin wird durch einen fünfjährigen Jungen eine Geschichte über das Heranwachsen erzählt.
Bisher hatte die brasilianische Literatur keinen großen Einfluss auf dem chinesischen Buchmarkt, doch dieses Werk ist eine Ausnahme. Wang Yonghong, ein Redakteur des Tiantian-Verlages, der die chinesische Ausgabe des Romans vertreibt, sagte, dass ihn in den vergangenen Jahren nur sehr wenige literarische Werke zu Tränen gerührt hätten. Aber dieses Buch habe ihn tief bewegt.
„Der Erfolg eines Buches hängt davon ab, ob eine beeindruckende Figur geschaffen wird oder nicht. Im Vergleich zu vielen anderen Kinderbüchern wird hier die Welt vollständig durch die Augen eines Kindes präsentiert."
Die Geschichte des fünfjährigen Zezé lässt Leser verschiedenen Alters den Roman sehr unterschiedlich begreifen. Xiao Keyang besucht an der Grundschule Binjiang in Yiwu, Provinz Zhejiang, die dritte Klasse. Die Hauptfigur Zezé hat ihn sehr bewegt. Besonders in Erinnerung ist ihm eine Stelle geblieben, an der Zezé ein Geschenk für seinen Vater kauft.
„Zezé ist ein sehr gutherziges und einfaches Kind. Er hat eine gute Seele, obwohl die anderen meinen, dass er ein schlechtes Kind ist. Einmal ärgert er seinen Vater sehr schlimm. Deshalb geht er später Schuhe putzen, um ihm von dem verdienten Geld eine Schachtel Zigaretten zu kaufen. Er ist wirklich sehr gutherzig. Ich könnte noch viel von ihm lernen."
Viele chinesische Eltern sehen durch die Augen Zezés auch ihre eigenen Kinder. Besonders die Figur des „Portuga", der mit seiner zärtlichen Art Zezé von seinem Hass durch all die Gewalt in seiner Familie befreit, bringt viele chinesische Eltern zum Nachdenken.
„Manchmal haben wir als Eltern keine gute Laune. Wenn dann unser Kind mit uns spricht, reagieren wir vielleicht sehr ungeduldig mit „Lass mich in Ruhe, ich bin gereizt!". Nachdem ich das Buch gelesen habe, kann ich mein Kind etwas besser verstehen. Kinder brauchen Liebe und zärtliche Kommunikation. Nur so können sie später als Erwachsene offen und glücklich werden."
Neben „Portuga" spielt auch Zezés Lehrerin Frau Cecilia eine sehr wichtige Rolle. Nachdem Zezé in den anderen Klassenzimmern Vasen mit schönen Blumen gesehen hat, stiehlt er jeden Tag auf seinem Schulweg Blumen aus fremden Gärten. Mit ihnen dekoriert er die leere Vase seiner Lehrerin. Nachdem seine Lehrerin dies herausfindet, kritisiert sie ihn aber nicht wegen seiner kleinen Diebstähle. Stattdessen lobt Frau Cecilia ihren Schüler, dass er ein „Herz aus Gold" besitze. Redakteur Wang Yonghong sagt dazu:
„Für Diebstähle würden Kinder in China von ihren Lehrern und Eltern normalerweise sehr scharf kritisiert werden. Zezés Lehrerin macht das aber nicht. Sie zögert sogar und fragt sich, ob sie darüber überhaupt mit Zezé sprechen sollte oder nicht. Wonach sie dann zuerst fragt, ist der Grund für sein Handeln, und nicht das direkte Resultat. Stets glaubt sie an das Gute in diesem Kind."
Neben einigen schönen Sachen erfüllen aber auch Grausamkeiten die Kindheit von Zezé. Nachdem „Portuga" plötzlich stirbt, bricht die kleine fiktive Welt des Zezé mit einem Mal zusammen. Obwohl er noch so klein ist, muss er nun über Nacht erwachsen werden. Seine träumerische Welt hinterlässt er seinem jüngeren Bruder. So will er sicherstellen, dass wenigstens dessen Kindheit von Liebe erfüllt ist. Wang Quangen, Kritiker für Kinderliteratur, sagt:
„Kinder haben unendlich viele Träume. Obwohl es zwischen Traum und Wirklichkeit einen großen Unterschied gibt, haben alle Träume trotzdem ihren Sinn. Sie sind wichtige Triebkräfte im Leben der Menschen."
Der chinesische Ministerpräsident Wen Jiabao hat einmal gesagt, ohne Liebe kann nicht von Erziehung geredet werden; ohne Moral hingegen hätte gar nichts mehr Sinn. Der brasilianische Junge Zezé hat in sich selbst Liebe gefühlt und übernimmt die Aufgabe, sie auch anderen zu bringen. Nun hat seine Liebe auch China erreicht.