Sie hörten gerade ein Musikstück, das speziell für die älteste und größte Sammlung von Gedichten aus dem Altertum, also das „Buch der Lieder", komponiert wurde. In den vergangenen 2000 Jahren fing die Ausbildung fast aller Chinesen mit dem Vortragen dieses Liedes beziehungsweise Gedichtes an: das „Shi Jing". Heute kamen diese Klänge aus der ehemaligen Kaiserlichen Akademie „Guozijian" in Beijing.
Die Kaiserliche Akademie „Guozijian" befindet sich im Stadtgebiet Andingmennei in Beijing. Sie gilt als älteste und höchste Universität Chinas. Zugleich fungierte sie zur Kaiserzeit als höchstes Verwaltungsamt für Erziehung. Direkt im Osten liegt der Konfuziustempel „Kong Miao", wo die Kaiser mit ihren Ministern und Beamten Opferzeremonien für Konfuzius veranstalteten. Die Gebäudekomplexe von „Guozijian" und „Kong Miao" verkörpern in ihrer Architektur und Gestaltung die Tradition und Ideen der chinesischen Intellektuellen und den Glauben an die Lehren des Konfuzius. Yu Jiuchen ist Mitarbeiter im „Guozijian"-Museum. Täglich stellt er zahlreichen in- und ausländischen Touristen die Geschichte der alten Gebäude vor:
„Das ‚Guozijian' in Beijing wurde in der Yuan-Zeit ungefähr im 14. Jahrhundert gegründet. Es war bis 1912 die höchste Hochschule der Yuan-, Ming- und Qing-Dynastie und zugleich Verwaltungsamt für Erziehung. Eigentlich kann die Geschichte des ‚Guozijian' auf die Han-Dynastie zurückgeführt werden. Im Jahr 124 v. Chr., während der Herrschaft von Kaiser Wudi, wurde die ‚Tai Xue' für die Ausbildung der Staatsbeamten eingerichtet. Im Jahr 607, in der Sui-Zeit, wurde die Institution offiziell zum ‚Guozijian' umbenannt und so heißt sie bis heute."
Mit dem letzten Kaiser von China ist auch die alte Akademie „Guozijian" untergegangen. Heute sind die alten Mauern renoviert und zu einem Museum umfunktioniert worden. Ihre besondere Geschichte und der traditionelle Baustil faszinieren immer mehr Touristen aus aller Welt. Historiker Yan Chongnian ist Ehrenleiter des „Guozijian" und des „Kong Miao", er meint:
„Die Straße Guozijian gehört wegen des berühmten ‚Guozijian'-Museums zu einer der zehn bekanntesten historischen Straßen in Beijing. Dank der Benennung der Straße ist das ‚Guozijian' weltweit bekannt. Die alte Lehranstalt trägt viel zur Verbreitung der chinesischen Kultur bei."
Spaziert man heute durch die „Guozijian"-Anlage, kann man viele alte Sehenswürdigkeiten sehen. Die alte Sonnenuhr zeigt immer noch die Zeit an, wie sie das schon vor Jahrhunderten tat. Der „Drachensitz" für die Kaiser steht auch noch in der Mitte der Piyong-Halle. Es gibt auch noch den Gedenkstein mit den Namen der Studenten, die in den vergangenen 600 Jahren die höchste Staatsprüfung bestanden haben. Die neue Konfuzius-Statue blickt still auf die Veränderungen.
Egal ob Feiertag oder nicht – an Besuchern mangelt es hier nicht. Manche davon sind Eltern, die um gute Leistungen ihrer Kinder bitten. Andere sind Jugendliche, die hier die alte traditionelle chinesische Kultur erleben. Maria, eine erfahrene Architektin aus Portugal, ist vor allem von dem Baustil fasziniert:
„Das ‚Guozijian' ist ein phantastischer Ort und ich kann seine Einzigartigkeit fühlen. Hier herrscht überall akademische Atmosphäre und ich kann mir vorstellen, wie man damals hier an der Prüfung teilnahm. Durch die vielen ausgestellten Bilder über die damalige Zeit kann ich die umfassende chinesische Kultur kennen lernen. Ich interessiere mich selber auch sehr für Konfuzius und die Konfuzius-Kultur. Ich habe den Ort ganz leicht gefunden. Schon in Portugal hab ich vom ‚Guozijian' gehört."
In den Augen vieler junger Chinesen ist das „Guozijian" eine Quelle der Inspiration. Ding Hao, ein Student aus Hubei, sagt:
„Ich hab gerade den Konfuziustempel besichtigt. Dort hab ich die Gedenksteine mit Inschriften gesehen. Darin waren die Namen der Studenten eingraviert, die die schwere Staatsprüfung vor hundert Jahren bestanden haben. Das war keine leichte Angelegenheit. Für mich als Student sind sie ein großer Antrieb."
Wenn Sie zufällig mal in die „Guozijian"-Straße kommen, gehen Sie bitte langsam und versuchen Sie den Geruch des Altertums wahrzunehmen. Der Charme der alten wie auch der modernen Kultur Chinas wird Ihnen sicher gefallen.
Verfasst von: He Yu
Übersetzt von: Liu Xinyue
Gesprochen von: Li Yanping