An der Verleihung des Freundschaftspreises im Jahr 2005
Es war ziemlich kalt an jenem frühen Morgen des 22. Januar 1995. Ich hatte nicht geschlafen auf dem langen Flug nach Beijing, denn ich war aufgeregt: Für ein Jahr sollte ich bei Radio China International im Deutschen Programm arbeiten. Ich hatte einen Arbeitsvertrag und ich hatte eine Telefonnummer, doch Sonntags früh um sechs würde niemend im Büro sitzen und auf meinen Anruf warten. Und chinesisches Kleingeld fürs Telefon hatte ich ohnehin nicht. Also schob ich meinen Trolley mit den Koffern durch den ziemlich leeren Flughafern und schaute vor die Tür: Strahlend blauer Himmel, eisige Luft, ein paar Autos auf dem Parkplatz, und in der Ferne zeichneten sich Berge ab. Das war also Beijing. Langsam füllten sich Parkplatz und Flughafenhalle, und ein Auto brachte schliesslich Herrn Fang. Der Chef des Deutschen Dienstes höchstselbst holte mich ab, und es ging zum Freundschaftshotel.
Das war der Anfang, und aus dem einen Jahr wurden viereinhalb. Es gab damals ein Austauschprogramm zwischen der Deutschen Welle und Radio China International, so kam ich nach Beijing, im Gegenzug arbeiten zwei Kollegen aus Beijing in Köln. Der chinesische Auslandsrundfunk hatte damals sein Domizil in einem großen Gebäude aus den frühen fünfziger Jahren, in bester zentraler Lage am Rande der Innenstadt. Das Funkhaus war in jedem besseren Reiseführer abgebildet, und so hatte ich ein Aha-Erlebnis, als ich am Montag meinen Dienst antrat. Gut, das Gebäude war alt und hatte etwas Patina, ansonsten aber war für mich einfach alles neu: Die Stadt, die relativ langen Wege, die vielen Fahrräder. Zum Glück war Herr Shao, einer der Kollegen des Deutschen Dienstes, dazu abgestellt, mir die ersten Schritte in der neuen Umgebung zu erleichtern.
Langsam wurde mein Leben normal: Ich kaufte in Fahrrad und begann die Stadt zu erkunden. Etwas später hatte ich dann ein Auto, was damals noch etwas sehr exotisches war, mir das Leben aber sehr erleichterte. Ich war angekommen in Beijing. Langsam veränderte sich auch die Arbeit: Neben der stilistischen Überarbeitung der Sendemanuskripte - damals noch mit Kugelschreiber auf Papier - entwickelte sich partnerschaftliche Kooperation. Das Programm wurde bunter, vielfältiger und interesanter. Interessanter wurde auch mein Leben im Gastland China: Exkursionen mit Radio China International in die nähere und weitere Umgebung, in andere Provinzen. Aus Kollegen wurden Freunde.
Als ich nach viereinhalb Jahren im Sommer 1999 nach Deutschland zurückkehrte, wusste ich, dass ich bald so etwas wie Heimweh haben würde. Nach der in atemberaubendem Tempo wachsenden Stadt und nach meinen Freunden und nach den legendären Grillparties im Garten des Freundschaftshotels oder bei Exkursionen in die bergige Beijinger Umgebung. Tatsächlich bot sich dann nach zweieinhalb Jahren erneut die Möglichkeit, im Rahmen der Kooperation beider Sendeanstalten noch einmal bei Radio China International zu arbeiten. Ich griff sofort zu. Ich wusste, was mich erwartet, ich kannte die Kollegen. Und doch war im Herbst 2001 fast alles neu: Das Funkhaus war neu und am Stadtrand, jedenfalls damals, denn inzwischen ist Beijing gewachsen: Aus den Vororten mit kleinen Bauernhäusern und schmalen Strassen sind moderne Stadtviertel geworden, mit Hochhäusern, breiten Straßen, und mittlerweile fährt man besser mit der U-Bahn unter den alltäglichen Staus auf den Straßen hindurch. Auch die Arbeit im Deutschen Programm war anders geworden: Es gab Computer, digitale Studios und ein mehrstündiges deutsches UKW-Programm für Beijing. Hinzu kamen Ausstrahlungen der Sendungen in Europa, und der Internetauftritt wurde zügig ausgebaut. Aus dem behäbigen Kurzwellenprogramm Mitte der neunziger Jahre war ein modernes multimediales Angebot geworden. Und das Team wurde ausgebaut: Junge Germanistik-Absolventen chinesischer Unis begannen ihren Weg in der für sie neuen Medienwelt, und ich bekam Verstärkung durch deutsche Muttersprachler. Anders wären die immens gewachsenen Aufgaben nicht mehr zu bewältigen gewesen.
Als die Deutsche Welle im Sommer 2003 die Kooperation mit Radio China China International beendete, konnte ich einen knapp einjährigen Arbeitsurlaub nehmen und zunächst in Beijiing bleiben. Bekanntlich hat aber jeder Urlaub mal ein Ende - auch ein Arbeitsurlaub - und so kehrte ich im Herbst 2004 nach Deutschland zurück. Meine Frau blieb in Beijing, und die nächsten drei Jahre war ich "Pendler": Alle zwei Monate kam ich für ein paar Tage nach China, um meine Frau zu besuchen und bei Radio China International vorbei zu schauen.
Vor einer dieser Reisen rief mich Sun Jingli an, der im Spätsommer 2005 das deutsche Programm leitete: Ob ich nicht Ende September kommen könnte, ich sollte ausgezeichnet werden. Ach ja, und ich sollte doch bitte eine kleine Rede vorbereiten. Kurz vor dem chinesischen Nationalfeiertag 2005 fand dann die feierliche Zeremonie statt: Die damalige Vizeministerpräsidentin Wu Yi überreichte mir den Freundschaftspreis. Die goldene Medaille ist die höchste Auszeichnung für ausländische Experten in China, und entsprechend feierlich lief die Preisverleihung ab. Ich hielt meine Rede, und Ministerpräsident Wen Jiabao empfing die Preisträger in der Großen Halle des Volkes.
Ach ja, und heute? Ich muss zugeben, dass ich als alter Radiomacher kein allzu eifriger Radiohörer bin. Aber ich halte Kontakt mit meinen Kollegen und Freunden bei Radio China International, nicht nur per Telefon und e-Mail. Denn ich bin wieder "Pendler" und besuche regelmässig meine Frau, die nach ein paar Jahren in Deutschland wieder im französischen Dienst des Zentralen Chinesischen Fernsehens CCTV arbeitet. Dass ich dabei immer auch meine Freunde Sun Jingli, Dou Xiaowen, Chen Wei, Tan Lei, Xu Wei, Lu Ming und all die anderen besuche, die ich hier nicht namentlich nenne (pardn!!!!!) versteht sich ja von selbst. Es versteht sich sicher auch, dass die Ankünfte in Beijiing inzwischen weit weniger spektakulär sind, als damals im Januar 1995. Sicher, inwischen ist der Flughafen an sich schon spektakulär, aber andererseits habe ich dann immer auch das Gefühl, fast zu Hause zu sein. Und das konnte ich nun wirklich nicht ahnen, damals im Januar 1995...
In diesem Sinne die besten Wünsche zum 50. Jubiläum des Deutschen Programms - und bis demnächst mal wieder in Beijing!
(Über Autor: Deutsche Staatsangehörigkeit.Hartmut Lüning war von 1995 bis 1999 sowie von 2001 bis 2003 Redakteur in der Deutschen Redaktion von Radio China International. 2005 wurde ihm vom Amt für Angelegenheiten ausländischer Experten der „Freundschaftspreis" verliehen. Er lebt nun in Bonn, Deutschland.)