Von Barbara Scheer
Mit ihrer ehemaligen Arbeitskollegin Chen Hanli zu Hause in Deutschland (1986)
Es ist nun fast dreißig Jahre her, dass ich Radio Peking (heute: CRI) und sein düsteres Gebäude in sogenannten Zuckerbäckerstil kennenlernte. Es war Ende1981, dass ich nach Peking kam. Damals, so schien es mir, erwachte China langsam aus einem schweren Traum.
In der chinesischen Maschine, mit der ich in Beijing landete, war ich die einzige Europäerin. Ich war also leicht zu erkennen für meine neuen Kollegen, die hinter der Zollabfertigung auf mich warteten. Es waren der Leiter des Expertenbüros, Herr Lin, die stellvertretende Hauptabteilungsleiterin, Frau Gao Suzhen, und meine persönliche Betreuerin Yang Peiying. Eine kleine Wohnung im Youyi Binguan war für mich gemietet worden. Dort erklärten mir meine neuen chinesischen Kollegen, wo ich vor der Tür ständen, dass ein Wagen für den Transport zum Rundfunk und zurück sorgen würde, dass ich mich aber erst einmal ausruhen sollte nach der langen Reise, dass… mir schwirrte der Kopf von all dem Neuen. Ich war in einer anderen Welt angekommen, in China – und hatte nun zwei Jahre lang Zeit und Gelegenheit, diese neue Welt zu erkunden, verstehen zu lernen und mit chinesischen Kollegen zusammenzuarbeiten.
Mein erster Arbeitstag im neuen Jahr begann mit der Besichtigung der Verbotenen Stadt. In der Nacht hatte es etwas geschneit, nun war der Himmel tiefblau. Eingehüllt in eine leichte Schneedecke vor dem blauen Himmel war die Verbotene Stadt atemberaubend schön. Dieses Bild hat einen unvergesslichen Eindruck auf mich gemacht.
Und dann fing der Ernst der Arbeit an in einem geräumigen Zimmer, dass ich mit der liebenswerten und immer hilfsbereiten Kollegin Chen Hanli teilte. Das Zimmer hatte große Fenster, die nach Süden gerichtet waren, so dass die winterliche Sonne uns wärmen konnte. Dennoch war es kalt in diesem Zimmer wie auch im gesamten Gebäude. Ich fror erbärmlich in meiner deutschen Winterkleidung. Die chinesischen Kollegen rieten mir, eine dicke wattierte Jacke zu kaufen, und das half wirklich wunderbar. So lernte ich den kalten chinesischen Winter kennen.
Meine Aufgabe war es, das Deutsch der aus dem Chinesischen übersetzten Manuskripte zu polieren. Diese Manuskripte wurden von der Zentralredaktion verantwortet. Nun, ich war Redakteurin bei der Deutschen Welle und gewohnt, in Eigenverantwortung zu schreiben und zu produzieren. Ich versuchte also recht bald in Peking, mir einen kleinen Freiraum zu schaffen und selbst Manuskripte zu schreiben. Sie sollten von dem alltäglichen Leben in Peking und China handeln und auch meine Erlebnisse beinhalten. Ich sprach mit meinen Vorgesetzten, machte den Entwurf für eine Magazinsendung und bekam schließlich grünes Licht für mein Projekt.
Anfang Januar 1983 wurde Frau Ding Yilan zur Intendantin von Radio Peking gewählt. Kurz danach, am 27. Januar, hatte die von mir verehrte Intendantin vor Kollegen und Kolleginnen den Wunsch geäußert, sie möchten ein Lebendigeres Programm gestalten. Die Redaktionen sollten mehr Interviews machen und eigene Beiträge für die Zielgebiete schreiben. Wir von der Deutschen Redaktion freuten uns über die Unterstützung von höchster Stelle. Machten wir doch häufig Interviews mit Persönlichkeiten aus Deutschland, die China besuchten oder mit Chinesen, die aus Deutschland zurückkamen. Wir machten aber auch Interviews mit Malern oder Schriftstellern in Peking usw., usw.
Im Laufe der zwei Jahre lernte ich die Chinesischen immer besser verstehen: Ich hatte Chinesischunterricht, und ich lernte für einige Zeit auch chinesische Malerei. Dennoch hatte ich immer wieder Schwierigkeiten mit der unterschiedlichen Mentalität. Doch mit allen Fragen und Problemen konnte ich zu meinen Kollegen gehen. Man half und erklärte mir geduldig und verständnisvoll. Besonders die einfühlsame stellvertretende Hauptabteilungsleiterin Frau Gao Suzhen half mir bei vielen Schwierigkeiten. Sie mahnte mich immer wieder zur Geduld. Noch heute höre ich in Gedanken ihre Worte: „Abwarten, abwarten!"
Bald konnte ich mich ohne Hilfe der Kollegen in Peking recht gut allein bewegen. Ich hatte zwei kleine Wellensittiche übernommen, die ich Yin und Yang taufte und denen ich einen neuen Käfig kaufen wollte. Also fuhr ich in der Mittagspause von Radio Peking mit dem immer überfüllten Linienbus Nr. 1 zum Freundschaftsladen und kaufte dort einen hübschen Bambuskäfig für 50 Juan. Das war für die Chinesen fast ein Monatsgehalt, und wahrscheinlich war es ein Wucherpreis! Mit dem Käfig wieder in der Linie Nr. 1 wurde ich sofort nach dem Preis des Käfigs gefragt. 50 Yuan, 50 Yuan ging es wie ein Lauffeuer von Mund zu Mund, und ich schämte mich etwas, so viel Geld ausgegeben zu haben.
Wie verbringt ein Europäer seinen Urlaub in China? Im Gegensatz zu meinen chinesischen Kollegen hatte ich vier Wochen Urlaub. Im zweiten Jahr meines Aufenthalts in China fühlte ich mich in der chinesischen Sprache sicher genug, um mit meinem Mann allein nach Kunming zu fliegen und mit der Bahn im Lauf von drei Wochen nach Peking zurückzubummeln. Im „warmen" Süden, in Kunming, war es kalt. Ich trug nur Sommerkleidung, da es am Morgen unseres Abflugs von Peking schon über 30° waren. Mein erster Weg, nachdem wir unser Hotel gefunden hatten, führte uns also in ein Kaufhaus, um mir eine warme Jacke zu kaufen. „Ausländer, Ausländer", hörte ich es rufen, und viele Menschen kamen herhei, um meinen Kauf mit Kommentaren zu begleiten. Es war ein lustiger Einkauf für beide Seiten. Von Kunming aus hatten wir dem regnerischen Wetter gerechnet. Der Bus, mit dem wir zu einem Tempel fahren wollten, fiel aus, also machten wir uns zu Fuß auf den Weg. Hungrig und durstig kamen wir beim Tempel an. Dort gab es keine Restauration – anders als uns im Hotel versprochen. Ein chinesisches Ehepaar, das wir dort trafen, teilte mit uns ihr Essen und Trinken – eine wunderbare Geste der Freundschaft. Auf dem Weg zurück nach Kunming hörte ich auf der Straße auf einmal hinter uns ein Fahrzeug. Ich winkte und drehte mich um, der Wagen hielt an. Es war ein Fahrzeug der Armee. Ich fragte, ob man uns mitnehmen könnte. Lachend räumten die jungen Soldaten zwei Sitze frei, halfen uns beim Einsteigen und brachten uns schnell nach Kunming zurück. Für beide Seiten war es ein Erlebnis.
Auf dem Rückweg nach Peking waren wir uns einig: Dies war die schönste und erlebnisreichste Reise, die wir je gemacht hatten!
Am Montag wieder in der Redaktion schaute man mich ungläubig an. Die Kollegen hatten nicht erwartet, dass ich pünktlich aufrauchen würde: Während der drei Wochen unserer Reise hatte ich nicht ein einziges Mal geschrieben. Das hatte ich – überwältigt von all den Eindrücken – total vergessen!
Mein Chinesischlehrer war in der Unterrichtsstunde nach dem Urlaub überraschst, dass ich jetzt recht flüssig sprechen und von all unseren Erlebnissen berichten konnte. Wie gut für meine Sprachkenntnisse, dass wir drei Wochen lang auf uns allein gestellt waren!
Die Fürsorge Radio Pekings endete nicht, als ich Ende 1983 nach Deutschland zurückkehrte: Mit einer Touristengruppe waren wir einige Jahre später nach Tibet gereist. Von unseren Reiseplänen hatte ich von Deutschland aus meine ehemaligen Kollegen und Freunde unterrichtet und auch erwähnt, dass ich sie gern wiedersehen würde. Unsere Reisegruppe flog von Lanzhou nach Peking: In Peking wurden mein Mann und ich mit einem Wagen von Radio Peking zu unseren alten chinesischen Freunden gebracht, bei denen wir noch einige Tage blieben. Die Reisegruppe aber musste noch stundenlang am Flughafen auf ihren Bus warten.
Nicht nur auf Durchreisen bin ich noch mehrmals in Peking, meiner zweiten Heimat, gewesen. Ich hatte von Deutschland aus Koproduktionen zwischen Radio Peking und der Deutschen Welle vorgeschlagen. Der erste Teil der sechsteiligen Serie „Deutsch in China" wurde zusammen mit meiner geschätzten Kollegin Chen Hanli in Peking produziert, der andere Teil „Chinesisch in Deutschland" mit ihr in Köln. Die Serien fanden bei den zwei Rundfunkanstalten so großen Anklang, dass ich eine weitere Koproduktion ausarbeitete: „Johann Adam Schall – ein Leben für den chinesischen Kalender". Diese zweiteilige Serie wurde in Peking auf Chinesisch und Deutsch produziert.Auch diese Serie wurde von beiden Sendern sehr gelobt. Die deutsche Version strahlten mehrere Rundfunkanstalten in Deutschland aus.
Und was ist mir nach fast dreißig Jahren außer all den Erinnerungen geblieben? Da sind fast zweihundert Briefe, in denen ich meinem Mann, meinen Eltern, meiner Schwester, der Deutschen Welle, meinen Freunden von meinem Leben und das der Chinesen in Peking und China erzählte. Diese Briefe sind zum größten Teil erhalten. Da sind Tausende von Fotos, die ein Peking und China festgehalten haben, das man heute teils so nicht mehr findet. Noch heute besteht Kontakt zu einigen Freunden in Peking, mal ist es ein Telefonanruf, mal ist es ein Brief. Auch kleine Geschenke werden ausgetauscht. Wir schreiben und erzählen uns gegenseitig von Reisen und Hobbys und fühlen uns trotz der Ferne miteinander verbunden.
(Über Autorin: Deutsche Staatsangehörigkeit. Sie arbeitete im Rahmen eines Austauschprogramms mit der Deutschen Welle von 1981 bis 1983 in der Deutschen Redaktion von Radio Beijing. Sie lebt nun in Bornheim-Merten, Deutschland.)