Der Norbulingka liegt in der westlichen Vorstadt von Lhasa und ist etwa zwei Kilometer vom weltbekannten Potala-Palast entfernt. Unser Reiseleiter Dampa erklärt uns zuerst, was "Norbulingka" eigentlich bedeutet.
"'Norbu' bedeutet auf Tibetisch 'Schatz', 'Lingka' heißt 'Garten'. Direkt übersetzt bedeutet 'Norbulingka' also 'Schatzgarten'. Er ist mit den verschiedenen Sommerpalästen der Qing-Dynastie zu vergleichen. Der Norbulingka ist seit dem siebten Dalai Lama sozusagen der tibetische Sommerpalast. 2001 wurde er als erweiterter Teil des Baukomplexes rund um den Potala-Palast von der UNESCO in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen."
Tibetischen Geschichtsbüchern zufolge sprudelte im heutigen Park einst eine Quelle, deren Wasser Augenbeschwerden heilen konnte. Der körperlich schwache siebte Dalai Lama, Kalsang Gyatso, machte daher jeden Sommer an dem Ort eine Kur. Der Gesandte für tibetische Angelegenheiten stellte daraufhin beim Kaiserhof der Qing-Dynastie den Antrag auf den Bau einer Erholungsstätte für den Dalai Lama. Dieser Antrag wurde vom Kaiserhof genehmigt. So entstand im Norbulingka das erste Bauwerk, der "Palast der Kühlen Luft". Seither bevorzugten Dalai Lamas aller Generationen jedes Jahr einen Sommeraufenthalt im Norbulingka, bis er schließlich zur festen Sommerresidenz des jeweils aktuellen Dalai Lama wurde.
Der Park bedeckt eine Fläche von 36 Hektar. Durch mehrere Erweiterungen hat er schließlich den heutigen Umfang erreicht. Der Norbulingka gliedert sich in drei Teile: den Vorderhof, den Palast und den Waldteil. In der gesamten Parkanlage verstreut stehen verschiedene Hallen und Pavillons, die über 400 Räume unterschiedlicher Größe haben. Nach der demokratischen Reform in Tibet 1959 wurde der Norbulingka ein öffentlicher Park.
Zum Shoton-Fest, einem wichtigen traditionellen Fest in Lhasa, ist es im Norbulingka besonders rege und lebhaft. Im Park sieht man dann überall bunte Zelte. Der einheimische Reiserleiter Dampa erklärt uns:
"Zum Shoton-Fest ist es hier extrem voll. Der gesamte Park ist dann von farbenfrohen tibetischen Zelten bedeckt. Die Tibeter kommen mit ihren Lieblingsgerichten, verschiedenen Kuchen und Getränken hierher und treffen sich mit Verwandten und Freunden. Im Park werden auch traditionelle tibetische Opern aufgeführt. Für die älteren Leute ist es ein nicht zu missendes Pflichtprogramm."
"Shoton" bedeutet auf Tibetisch etwa "Joghurt-Bankett". Aus diesem Grund ist das Shoton-Fest auch weltweit als "Joghurt-Fest" bekannt. Das Shoton-Fest beginnt am 30. Tag des sechsten Monats nach dem tibetischen Kalender, etwa in der letzten Dekade des August. Sieben Tage dauert dieses traditionelle Fest, das ursprünglich eng mit der Religion verbunden war. Dazu erzählt unser Reiseleiter Dampa:
"Anfangs war das Shoton-Fest ein rein religiöses Fest. Zur sommerlichen Jahreszeit, nämlich im Mai und im Juli nach dem tibetischen Kalender, werden alle Dinge der Welt wiederbelebt. Nach den Fastenregeln des tibetischen Buddhismus muss man sich zu dieser Jahreszeit davor hüten, auf Lebewesen zu trampeln oder gar welche zu töten. Die Mönche bleiben deswegen in dieser Zeit im Kloster, wo sie Sutras rezitieren und meditative Übungen machen. Um sich den Mönchen gegenüber erkenntlich zu zeigen, bereiten die Einwohner Joghurt-Speisen zu, mit denen sie die frommen Männer beim berühmten Joghurt-Bankett bewirteten. Das ist der Ursprung des Festes."
Weiter erzählt Dampa, das Shoton-Fest sei eigentlich ausschließlich ein Festival in der Region Lhasa. Während der siebentägigen Feiertage strömten heutzutage aber immer mehr Tibeter nach Lhasa. Für die gesamte tibetische Nationalität habe sich das Fest zu einer riesigen Party entwickelt:
"Viele Tibeter kommen aus Bewunderung für das berühmte Shoton-Fest nach Tibet, um die Ausstellung des Buddha-Bildes im Drepung-Kloster oder die Aufführung eines tibetischen Theaters im Norbulingka anzuschauen. Das siebentägige Shoton-Fest ist nun eine Mode-Woche, eine Delikatessen-Woche und eine Kultur-Woche für die gesamte tibetische Nationalität. Die Besucher kommen aus allen Gegenden Tibets und tragen dabei traditionelle, einzigartige Kleidung. Auch bringen sie kulinarische Köstlichkeiten mit und lassen sich von der geschichtsträchtigen tibetischen Kultur verzaubern."
Diese Meinung teilt auch der stellvertretende Bürgermeister von Lhasa, Chen Zhichang. Die Stadtregierung bemühe sich, den internationalen Einfluss des Shoton-Fests zu erweitern, sagt er:
"Das Shoton-Fest bietet uns erstens quasi ein Fenster, um die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung in Tibet zu zeigen. Zweitens können wir durch das Fest neue Freunde kennenlernen und dadurch der Entwicklung in Tibet neue Triebkraft geben. Es ist heutzutage nicht nur ein Karneval für die Einwohner von Lhasa, sondern der höchstgelegene Karneval für Menschen aus aller Welt!"
Geschrieben und Gesprochen von: Zhu Liwen