Bis zum Untergang der Qing-Dynastie im Jahre 1911 wäre eine solche Verwechslung wohl unmöglich gewesen, war Chengde doch eines der kaiserlichen Machtzentren - zumindest im Sommer, wenn der Kaiser und sein Gefolge in Chengde Zuflucht vor der Sommerhitze in Beijing suchten und ihr Reich von hier aus regierten.
Im Verlaufe des 19. Jahrhunderts fiel Chengde bei Chinas Herrschern jedoch in Ungnade, weil gleich zwei Kaiser während ihrem Aufenthalt hier verstarben. Mit dem Ende der Qing-Dynastie geriet die kaiserliche Sommerresidenz schließlich vorübergehend in Vergessenheit.
Werbeplakat auf einer Autobahnraststätte nahe Chengde (Foto: Zhong Xi)
Ein Wendepunkt für Chengde stellte das Jahr 1994 dar, als die UNESCO das einstige Urlaubsparadies der chinesischen Kaiser zum Weltkulturerbe erklärte. 2007 zählte Chengde bereits über acht Millionen Touristen - die meisten davon aus China. Eine eigentliche Renaissance der ruhmvollen Vergangenheit verspricht sich die Stadtregierung von der Ende September 2009 eröffneten Autobahn, welche die Fahrtzeit von Beijing nach Chengde auf etwas über zwei Stunden halbiert.
Chengde heute (Foto: Zhong Xi)
Die Zuversicht der Stadtväter widerspiegelt sich in den vielen Baukränen zwischen der Autobahnausfahrt und dem Stadtzentrum, die einen in ehrfürchtiges Staunen versetzen. Allein in diesem Jahr hat Chengde zehn Milliarden Yuan RMB (rund 100 Millionen Euro!) in den Ausbau seiner touristischen Infrastruktur investiert. Im Stadtzentrum werden zwei 5-Sterne-Hotels aus dem Boden gestampft. Geplant sind überdies ein Thermalbad und Golfplätze. In der näheren Umgebung soll zudem schon bald ein Skigebiet entstehen, um für die Touristen auch im Winter attraktiv zu sein.
Xu Rong: Touristen sind die neuen "Kaiser" (Foto: Zhong Xi)
Mit dem Slogan "Chengde - ein kaiserliches Vergnügen" sollen vor allem Wochenendausflügler aus dem benachbarten Beijing angelockt werden. "Als Tourist wird man in Chengde wie ein Kaiser behandelt", verspricht Xu Rong, die Leiterin der PR-Abteilung des Tourismusamts von Chengde. Dass es sich hierbei nicht um ein leeres Versprechen handelt, durften wir beim exquisiten Abendessen mit der Regierung erfahren.
Ein Leckerbissen ganz besonderer Art war der "Hui Yu", ein Fisch, dessen Fleisch einem regelrecht auf der Zunge vergeht. Beim Verzehr dieses außergewöhnlichen Fisches ist aber höchste Vorsicht geboten! Wer nicht wie die beiden unglücklichen Qing-Kaiser vorzeitig aus dem Leben scheiden will, der darf auf keinen Fall die Steine mitessen, auf denen der Fisch im Topf gebraten wird, wie der Autor dieses Textes aus Versehen tun wollte!
Achtung Steine! Der nicht ganz harmlose "Hui Yu" (Foto: Zhong Xi)
Absolut harmlos - selbst für den unbeholfensten Gourmet - ist hingegen der Genuss einer Dose "Lu Lu". Dieses in ganz China bekannte Erfrischungsgetränk aus Aprikosenkernen stammt ebenfalls aus der ehemaligen Kaiserresidenz Chengde. Zwar wurde das an Kokosmilch erinnernde "Lu Lu" nicht von den Qing-Kaisern erfunden, das Prädikat "kaiserliches Vergnügen" verdient es aber allemal.
Auch die chinesische Schauspielerin Xu Qing schwört auf "Lu Lu" (Foto: Zhong Xi)
Mit freundlichen Grüßen aus dem Urlaubsparadies der Kaiser,
Simon Gisler