Keine Spur von Wirtschaftskrise - Changchuns Automesse
Changchun gilt als die Wiege der chinesischen Automobilindustrie. Im Jahr 1958 wurde hier im Hauptort der Provinz Jilin das erste von China selbst entwickelte Auto gebaut. Die Tradition im Autobau hat sich in der 3,6 Millionen-Metropole bis heute fortgesetzt. Im Jahr 2008 habe der Anteil der Automobilindustrie von Changchun am Bruttoinlandsprodukt der Provinz Jilin 50 Prozent betragen, sagt Ding Xiaoyuan, die stellvertretende Leiterin des Vereins für die Förderung des Internationalen Handels Chinas in der Stadt Changchun.
Die Autobranche ist in Changchun denn auch optisch unübersehbar. Überall im Stadtzentrum sind riesige Werbetafeln zu sehen. Besonders ins Auge fällt die Dominanz des deutschen Autobauers Volkswagen (VW). Nicht nur die meisten Taxichauffeure verlassen sich hier auf die Qualität der Wolfsburger Autofirma, sondern auch die Polizei. Der Grund für dieses Phänomen liegt in erster Linie an der Zusammenarbeit zwischen der First Automotive Works (FAW), Chinas grösstem Autohersteller, und VW. Seit 2004 besitzt VW zusammen mit der FAW in Changchun zwei Produktionsstätten mit einer Jahreskapazität von rund 660.000 Fahrzeugen.
Seit 1999 hat Changchun auch seine eigene internationale Automesse. Die noch bis Ende Juli dauernde 6. Ausgabe der "China Changchun International Automobile Fair" ist mit 130 in- und ausländischen Ausstellern die bisher grösste. Die gezeigte Vielfalt an Fahrzeugen ist überwältigend: Von teuren Flitzern über futuristische Elektromobile oder Oldtimer bis hin zu Löschfahrzeugen, Kranwagen oder Militärlaster ist alles vorhanden – inklusive attraktiver Hostessen –, was das Herz eines jeden Autofreaks hören schlagen lässt.
Zu seiner grossen Überraschung habe sich die Weltwirtschaftskrise überhaupt nicht negativ auf die Changchuner Automobilindustrie ausgewirkt, erklärt Zhang Jin von der Messeorganisation. Die Aussteller hätten noch nie so viel Fläche für ihre Stände beansprucht wie in diesem Jahr. Chinas Automobilindustrie sei im Gegensatz zu den ausländischen Autoherstellern nicht von der globalen Wirtschaftskrise betroffen. Dies würden auch die in diesem Jahr gestiegenen Verkaufszahlen der chinesischen Autohersteller belegen, so Zhang.
Alles, was man(n) sich wünscht
Dass es der chinesischen Autoindustrie trotz der Weltwirtschaftskrise so gut geht, scheint auch mit dem wachsenden Vertrauen der chinesischen Konsumenten zu tun haben. Ausländische Topmarken geniessen in China zwar nach wie vor einen hervorragenden Ruf, sind aber längst nicht mehr unangefochten. Die Autos des chinesischen Herstellers Hong Qi, mit der auch Chinas Führungsspitze chauffiert wird, seien ihren ausländischen Konkurrenten mittlerweile qualitativ ebenbürtig, meint ein mittelalterlicher Messebesucher und ehemaliger BMW-Fahrer aus China. Er überlege sich gerade, einen Hong Qi – was auf Deutsch so viel heisst wie "Rote Flagge" – zu kaufen. Einer seiner Freunde habe gute Erfahrungen mit dieser Marke gemacht.
Braucht viel Pflege - der neue Hong Qi
Ein Student aus Changchun, der sich für die Ausstellungshalle der deutschen Autofirmen interessiert, kann sich zwar gut vorstellen, einen Wagen "Made in China" zu kaufen, bevorzugt aber eine Marke aus dem Ausland. Trotz all ihrer Fortschritte hinke die chinesische Autoindustrie dem Ausland noch immer 20 Jahre hinterher, gibt er zu bedenken.
Zumindest preislich haben die chinesischen Luxuskarrossen inzwischen aufgeholt. Wer das neueste Hong Qi-Modell haben will, der muss satte 680.000 Yuan RMB (zirka 70.000 Euro) hinblättern. All jenen in Changchun, denen hierfür das nötige Kleingeld fehlt, bleibt als Trostpflaster aber immerhin noch die Fahrt mit der ältesten Strassenbahn Chinas entlang der unzähligen Alleen im Stadtzentrum.
Mit freundlichen Grüssen aus der Autostadt Changchun,
Text und Fotos: Simon Gisler