Gemäß Daten des US-Schatzamtes besaß China Ende April 4,4 Milliarden US-Dollar weniger US-Staatsanleihen als im Monat zuvor. Dabei handelte es sich um den ersten Rückgang der Bestände der von China gehaltenen US-Staatsanleihen seit Februar vergangenen Jahres. Ökonom Liu Yihui geht davon aus, dass diese Entwicklung keinesfalls darauf hindeute, dass China seitdem den Zukauf von US-Staatsanleihen abbaue. Mehr dazu in unserem folgenden Beitrag.
Obwohl der Anstieg des Kaufs von Staatsanleihen bereits beträchtlich verlangsamt wurde, ist China mit einem Gesamtvolumen von 763,5 Milliarden US-Dollar nach wie vor der größte Eigentümer von US-Staatsanleihen. Dazu sagt Liu Yühui, Ökonom von der Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften:
"Der Rückgang ist eher geringfügig, wenn man das Gesamtvolumen betrachtet. Ich würde nicht sagen, dass China damit seine Bestände von US-Staatsanleihen tendenziell reduziert. Sollte China massiv US-Staatsanleihen verkaufen, müsste das Land große Schäden an seinen Devisenreserven in Kauf nehmen. Es würde zudem ein Ketteneffekt für die US-Wirtschaft ausgelöst. Zum einen würde ein drastischer Anstieg der Zinsrate der US-Staatsanleihen verursacht, zum anderen würde die reale Wirtschaft der USA in Mitleidenschaft gezogen, vor allem die Bereiche Investition und Konsum."
China ist mittlerweile der größte Gläubiger der USA. Die US-Staatsanleihen haben einen sehr großen Anteil an den chinesischen Devisenreserven. Diese Situation halten die meisten chinesischen Ökonomen für besorgniserregend. Zwar haben Chinas Finanzbehörden bislang noch keinen eindeutigen Beschluss angekündigt, US-Staatsanleihen zurückzuschrauben. Dennoch waren seit Monaten Schritte bemerkbar, wobei China kurzfristige US-Staatsanleihen weiterhin gekauft hat, während langläufige schrittweise verkauft wurden. Nach Auffassung von Liu Yühui sei es eine vernünftige Entscheidung, da sich der US-Dollar weiter abwerten könnte:
"Im Hinblick auf die jetzige Situation ist es eine Entscheidung in die richtige Richtung, die mittel- und langfristigen US-Staatsanleihen zu verkaufen und dadurch weitere kurzfristige amerikanische Staatsschulden zu kaufen. Die Überlegungen basieren auf der Tatsache, dass die US-Regierung bereits begonnen hat, fleißig ihre Banknoten zu drucken. Es besteht daher ein großes Risiko für eine Inflation. Ein Signal dafür ist, dass der US-Wertpapier-Markt in letzter Zeit beträchtlich zurückgegangen ist."
China ist aber nicht das einzige Land, welches seine US-Staatsanleihenbestände zurückgeschraubt hat. Russland und Brasilien haben, wie weitere Länder auch, dasselbe getan. Wirtschaftsexperten zufolge drängen zudem einige aufsteigende Volkswirtschaften schon länger auf die Ablösung des US-Dollars als Leitwährung. Darüber wurde nach den Wünschen der Regierung in Moskau unlängst bei einem Gipfeltreffen mit China, Indien und Brasilien gesprochen. Allerdings dürfte nach Ansicht von Ökonom Liu Yühui die US-Währung vorerst noch ihre Spitzenstellung behalten – und zwar aus Mangel an Alternativen:
"Viele Länder äußerten sich besorgt zu dem Status des US-Dollars als solide Welt-Reservewährung und zu ihren jeweiligen Dollar-Reserven. Die wichtigen Gläubiger der USA, darunter Japan und die so genannten BRIC-Länder Brasilien, Russland, Indien und China, haben bereits versucht, Papiere des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu kaufen. Dennoch gelten solche Schritte eher als Versuch. Weltweit gesehen gab es in der neuzeitlichen Geschichte noch keine einzige Volkswirtschaft, die in ihrem Wirtschaftsleben ohne US-Dollar existiert hat. Fast alle Bereiche des Wirtschaftslebens hängen vom US-Dollar ab, sei es hinsichtlich des Wirtschaftswachstums oder des Zuwachses des Außenhandels, sei es hinsichtlich der Devisenreserven. Der Bedarf an Dollar-Beständen ist immer da."
Liu sagt, die Bildung eines neuen internationalen Währungssystems hänge von vielen Faktoren ab. Wichtig sei, anhand neuer wirtschaftlicher Interessen eine Balance zwischen dem US-Dollar und anderen potentiellen Währungen zu erstellen. Bedauerlicherweise sehe die gegenwärtige Situation aber anders aus. Die genannte Balance fehle, da es derzeit noch an entsprechenden Volkswirtschaften und von ihnen vertretenen wirtschaftlichen Interessen mangele. Daher bestehe bislang noch keine internationale Finanzmarktordnung, die das unvernünftige Drucken von US-Dollar verhindern könne. Die Anregungen, den US-Dollar durch eine internationale Leitwährung zu ersetzen, seien deshalb nur Interessenansprüche der so genannten Schwellenländer.
Nach Auffassung von Liu Yühui sei es für China noch unmöglich, die Vormachtstellung des US-Dollar schnell auf das Abstellgleis zu schieben und ein diversifiziertes internationales Währungssystem zu etablieren. Pragmatischer sei, die Landeswährung RMB schrittweise zu internationalisieren:
"Den gegenwärtigen Umständen entsprechend wird der US-Dollar weiterhin als die Superreservewährung beibehalten werden. China sollte von seinem langfristigen Interesse ausgehen und sich um die Schaffung einer neuen internationalen Interessenbalance bemühen. Kurzfristiges Ziel ist es, die Landeswährung RMB zu internationalisieren. Die Bedingungen dafür sind nach und nach reif geworden. So ist in Ostasien sowie in der Pazifik-Region ein Wirtschaftskreis mit China als Produktions- und Logistikzentrum entstanden, das heißt viele Länder der Region exportieren massiv nach China. China ist mittlerweile ein wichtiger Faktor des Wirtschaftswachstums dieser Länder geworden."
Übersetzt von: Xu Wei
Gesprochen von: Xiao Lan