Der Beitritt Chinas in die Welthandelsorganisation (WTO) im Jahr 2001 war nicht nur ein Meilenstein in der chinesischen Reform- und Öffnung, sondern auch ein Wendepunkt für die Weltwirtschaft. Pascal Lamy, der Generaldirektor der WTO, war ein Augenzeuger dieses historischen Schrittes. Er hat die Reform und Öffnung Chinas persönlich miterlebt.
Lamy kam erstmals im Jahr 1986 nach China. Damals war er der Chefsekretär der EU-Kommission, Jacques Delors. Im Rahmen des China-Besuchs von Delors traf Lamy auch Deng Xiaoping, den "Chefarchitekten der Reform und Öffnung Chinas". Selbst 22 Jahre danach erinnert sich Lamy noch genau an sein erstes Treffen mit Deng Xiaoping:
"Delors führte damals ein langes Gespräch mit Deng Xiaoping, der wirklich ein sehr beeindruckender Mann war. Er gestikulierte sehr viel während er sprach. Man spürte, dass er intelligent war und einen kühlen Kopf bewahren konnte."
Während sich China im Jahr 1999 auf den Beitritt zur WTO vorbereitete, war Lamy EU-Handelskommissar. Bei den bilateralen Verhandlungen mit dem damaligen chinesischen Minister für Außenhandel und wirtschaftliche Zusammenarbeit, Shi Guangsheng, erwies sich Lamy als harter Verhandlungspartner. Nach zähen Verhandlungen unterzeichneten China und die Europäische Union im Jahr 2000 schließlich die bilaterale Vereinbarung über Chinas WTO-Beitritt. Lamy schaut nicht ohne Stolz auf diesen Verhandlungserfolg zurück. Er ist bis heute überzeugt, dass die Integration Chinas ins internationale Wirtschaftssystem der richtige Schritt war:
"Man darf sicher sagen, dass Chinas Schicksal eng mit jenem der internationalen Staatengemeinschaft verknüpft ist. Handelspolitisch stehen wir im Moment vor großen Herausforderungen. Ohne Chinas Beteiligung könnte von einer Lösung der gegenwärtigen Probleme gar keine Rede sein."
2005 wurde Pascal Lamy zum Generaldirektor der WTO gewählt. Obwohl China damals ein neues Mitglied der Welthandelsorganisation war, nahm sein Handelsvolumen bereits den dritten Platz unter allen WTO-Staaten ein. Mittlerweile ist der Ausdruck "Made in China" weltweit ein Synonym für den Fabrikationsstandort China. China wird oft auch als "Werkbank der Welt" bezeichnet. Um sich gegen die Flut von Billigwaren aus China zu wehren, haben mehrere WTO-Mitglieder Anti-Dumping-Maßnahmen gegen chinesische Produkte erhoben. WTO-Chef Lamy weist allerdings darauf hin, dass China nicht nur ein wichtiges Exportland, sondern auch ein riesiger Absatzmarkt für den Westen ist.:
"In den letzten zehn Jahren sind Chinas Im- und Export stabil gewachsen. Viele Länder sehen nur Chinas Exportwachstum und seine positive Handelsbilanz. Tatsächlich hat aber auch Chinas Importvolumen kontinuierlich zugenommen. Chinas Importvolumen übertrifft das Importvolumen zahlreicher anderer Länder schon seit langem."
Lamy beschäftigt sich schon seit mehr als 20 Jahren mit China. Er bezeichnet sich selbst als einen "China-Experten". Dank seinen vielen Chinareisen ist er mit der pragmatischen Denkweise seiner chinesischen Kollegen bestens vertraut. Der Generaldirektor der WTO hat mit diversen chinesischen Handelsministern gute Beziehungen gepflegt und wurde schon von mehreren chinesischen Spitzenpolitikern empfangen. An Chinas Reform- und Öffnungspolitik bewundert Lamy am meisten die politische Stabilität und Kontinuität:
"Wichtig ist, dass Chinas Reform und Öffnung kontinuierlich verlaufen sind. Mehrere Generationen chinesischer Spitzenpolitiker haben an dieser Politik festgehalten. Die chinesische Führung hat immer wieder bekräftigt, dass China eine Reform benötigt. Die Reform erfolgte schließlich schrittweise - ohne große Abweichungen und Rückschritte. Auch die politische Reform wurde berücksichtigt. Auf diese Weise wurde das Problem gut gelöst."
Lamy ist nicht nur ein hervorragender Ökonom, sondern auch ein Experter in den Bereichen Recht und Politik. Er betrachtet die „Entschlossenheit" der chinesischen Politiker als Hauptgrund für den Erfolg der Reform- und Öffnungspolitik Chinas in den vergangenen drei Jahrzehnten:
"Meiner Meinung nach ist der Kernpunkt die starke Entschlossenheit der chinesischen Politiker. China hat sich der Welt geöffnet, um seine Entwicklung zu fördern und seine Modernisierung voranzutreiben. Damit ist China ein Mitglied der internationalen Staatengemeinschaft geworden. China ist nicht mehr von der Außenwelt isoliert."
Chinas wirtschaftlicher Aufschwung in den vergangenen 30 Jahren sei weltweit auf große Anerkennung gestoßen. China müsse jetzt aber nach vorne schauen und die Herausforderungen der Zukunft gemeinsam mit der internationalen Staatengemeinschaft zu lösen versuchen, sagt Lamy:
"China ist sich seiner Probleme bewusst und hat auch bereits entsprechende Gegenmaßnahmen ergriffen. Wir hoffen, dass China bei seiner zukünftigen Entwicklung die Umwelt stärker mitberücksichtigt, und dass China die momentane Finanzkrise sorgfältig behandelt. China sollte überdies auch dazu beitragen, die WTO-Verhandlungen aus ihrer Stagnation zu befreien. Solche Probleme müssen von China und der internationalen Gemeinschaft gemeinsam angegangen werden."
Verfasst von: Yang Ning
Übersetzt von: Zhu Qing'an
Gesprochen von: Lü Xiqian