Spricht man in China von Fischerdörfern, dann denken viele spontan an das Yangtze-Delta in Ostchina. Aber auch auf dem Dach der Welt leben einige Menschen von der Fischerei.
Das Dorf Junba liegt am Unterlauf des Lhasa-Flusses, dort wo der Lhasa-Fluss in den Yarlung-Zangbo-Fluss mündet. Die Gegend ist malerisch, es gibt viele Seen und Nebenflüsschen. Seit 300 Jahren betreiben die Menschen in Junba Fischfang. Das Dorf ist mit großer Wahrscheinlichkeit das einzige in ganz Tibet, dessen Bewohner von der Fischerei leben. Viele der Dorfbewohner beherrschen hier noch die Technik zur Herstellung von Booten aus Rindsleder.
Junba ist deshalb das einzige Fischerdorf in Tibet, weil es auf dem Dach der Welt wenig Flüsse und Seen gibt. Außerdem ist Fischessen für die Tibeter ein Tabu. Nur die Bewohner von Junba machen da eine Ausnahme. Dazu erklärt der Wissenschaftler Jongda von der Akademie der Sozialwissenschaften des Autonomen Gebiets Tibet:
"In der Regel ist es Tibetern verboten, Fisch zu essen. Es gibt jedoch Ausnahmen. In historischen Urkunden heißt es, dass Tibeter, die in der Nähe der Flüsse leben, Fische gefangen und gegessen haben. Das gilt auch für Junba. Darüber hinaus ist Tibet heute längst nicht mehr so von der Außenwelt abgeschottet, der Alltag der Tibeter verändert sich durch diesen regen Austausch mit der Außenwelt deutlich."
Dass man in Tibet keinen Fisch ißt, hat vor allem religiöse Gründe. Die meisten Tibeter sind Buddhisten, sie betrachten die Seen als heilige Gewässer. Das Baden oder Fischen in Seen wird als Beleidigung der göttlichen Seen angesehen. Warum aber dürfen die Menschen in Junba dann Fische fangen und essen? Suonan, ein älterer Dorfbewohner erzählt uns eine Legende:
"Die Fische hier sind sehr fruchtbar. Innerhalb von kurzer Zeit gab es im Fluss zu viele Fische, sodass einige Fische Flügel bekamen und gen Himmel flogen. Trotzdem nahm die Zahl der Fische immer mehr noch viel zu schnell zu, nun waren es auch bald zu viele fliegende Fische. Sonne und der Mond waren hinter der Schar fliegender Fische nicht mehr zu erkennen. Die Menschen, die Tiere und die Pflanzen auf der Erde begannen einzugehen, weil nicht mehr genug Sonne auf die Erde fiel. Das beobachtete der Himmelsgott. Daraufhin erteilte er den Menschen in Junba die Erlaubnis, Fische zu fangen und zu essen. Kaum machten die Menschen von ihrem Recht gebraucht, begannen die Pflanzen wieder zu wachsen und die Tiere gediehen, weil die Sonne und der Mond wieder auf die Erde strahlten. Seither hat der Fischfang in unserem Dorf Tradition."
Das Dorf Junba liegt wie erwähnt an einer Flussmündung. Aufgrund des Zusammenflusses der beiden Flüsse leben hier sehr viele Fischarten. Auch geschmacklich ist der Fisch sehr gut, er schmeckt zart. Die Menschen bereiten den Fisch auf viele verschiedene Arten zu. Besucht man eine tibetische Familie in Junba, werden oft diverse Fischgerichte, mit Butter versetzter Tee und Zamba-Mehl serviert. Dazu der Dorfbewohner Bazhu:
"Wir kennen sehr viele Methoden, um Fisch zu kochen. Wir sind da sehr einfallsreich. Nur um ein paar zu nennen, man kann Fische dämpfen, in Wasser oder in Öl kochen."
Im Dorf dreht sich auch fast jede Unterhaltung um die Fischerei. Bei einem Spaziergang durchs Dorf entdeckt man fast von jeder Haustür ein traditionelles Rindslederboot. Für die Herstellung eines solchen Bootes benötigt man vier Stücke Rindsleder. Die Lederstücke werden zuerst in Wasser eingetaucht, dann befestigt man sie am hölzernen Skelett des Bootes. Wenn das Leder dann langsam trocknet, spannt es sich wasserdicht und sehr straff um das Holzgerüst.
Die Rindslederboote waren früher das einige Verkehrsmittel in Junba, es gab damals keine Straße zu diesem Dorf. Die Boote sind für die Dorfbewohner aber weit mehr als nur ein Fortbewegungsmittel. Bei einem traditionellen Tanz spielen die Boote beispielsweise eine sehr wichtige Rolle. Die Einheimischen nennen den Tanz Guozi, also Tanz mit einem Rindslederboot. Dieser Tanz entspricht in etwa dem Yak-Tanz, den die Tibeter in anderen Regionen aufführen. Sie tragen dann Kostüme aus Yakfell. In Junba verwenden die Fischer das Rindslederboot quasi als Kostüm. Die Tänzer binden sich die schweren Boote auf den Rücken und betreten so die Bühne, dann beginnen die Sänger, Fischer-Lieder zu singen. Traditionell wird diese Tanz- und Gesangsdarbietung im dritten Monat nach dem tibetischen Kalender aufgeführt, denn zu dieser Zeit taut das Eis auf dem Fluss auf, die Fischfangsaison beginnt. Der Tanz ist Teil einer religiösen Zeremonie.
Heute leben die Menschen in Junba nicht mehr ausschließlich von der Fischerei, sie bearbeiten auch Leder und stellen zum Beispiel kleine Boote, Rucksäcke und Taschen aus Rindsleder her. Alle Taschen werden mit tibetischen Motiven versehen. Suonan arbeitet an einer Ledertasche, während er uns erzählt:
"Ich arbeite an einer Ledertasche. Ich mache auch Handytaschen und Taschen für Zamba-Mehl. Viele Bewohner des Dorfes vermieten heute auch freie Zimmer an Touristen. Ja, inzwischen kommen viele Touristen hierher. Dadurch hat sich unser Lebensstandard enorm erhöht."
Besucher, die zur richtigen Zeit kommen, haben die Gelegenheit, einen Linka der Dorfbewohner mitzuerleben. Das tibetische Wort Linka bedeutet Ausflug. Dabei amüsiert man sich mit Spiel, Gesang oder Tanz im Freien. Allerdings feiern Männer und Frauen im Dorf Junba getrennt.
Reisetipps:
Nun haben wir einige praktische Reisetipps für Sie:
Das Dorf Junba ist ein Vorort der Stadt Lhasa. Es liegt im Kreis Qushui. Daher bietet es sich an, nach Lhasa zu fliegen. Von Junba sind es etwa 50 Kilometer in die Innenstadt von Lhasa.