Die Barkhor-Straße, der mittlere Umrundungsweg, ist die wohl meistbesuchte Straße in Lhasa. Die etwa einen Kilometer lange Ringstraße war und ist ein wichtiges religiöses und wirtschaftliches Zentrum in der Altstadt von Lhasa. Auf der mit handbehauenen Steinen gepflasterten Straße gehen seit mehr als 1.300 Jahren Menschen.
Entlang der Straße finden sich zahlreiche Läden, von tibetischen Trachten, über Messer, religiöse Gegenstände und sogar Waren aus Indien und Nepal kann man hier alles finden. Einige Ladenbesitzer stammen sogar aus Nepal. Der Inhaber des Geschäfts Syamu Kapu beispielsweise. An der Ladentür finden sich Schilder aus drei verschiedenen Zeiten. Wir vermuten, dass dieses Geschäft auf eine traditionsreiche Vergangenheit zurückblickt. Ladenbesitzer Ratna heißt uns in seinem Laden herzlich willkommen. Er zeigt auf ein gerahmtes Schwarz-Weiß-Foto, das auf dem Tisch steht. Das Bild zeigt einen Mann in westasiatischer Kleidung mit einer weißen Kappe. Der Mann sei sein Großvater, verrät uns Ratna:
"Das ist Syamu Kapu, mein Großvater. Als er nach Lhasa kam, hatten die Tibeter große Schwierigkeiten, seinen Namen richtig auszusprechen. Daher nannten sie ihn einfach Syamu Kapu, weil er die weiße, typisch nepalesische Mütze trug. Syamu Kapu heißt auf tibetisch nämlich weiße Mütze. Er kleidete sich auch immer ganz in weiß. Syamu Kapu hat sich schließlich auch als Namen für den Laden etabliert."
Den Laden Syamu Kapu gibt es seit über 70 Jahren. Syamu Kapu ist ein typisches nepalesisches Geschäft. Hier gibt es neben Buddhastatuen vor allem viel Kunsthandwerk zu kaufen. Alle Waren stammen aus Nepal, sie werden nach Lhasa importiert. Syamu Kapu kann auf so einige Ereignisse in seiner Geschichte stolz sein. So sagt man beispielsweise, Ratnas Großvater habe das erste Motorrad über die Grenze am Himalaja nach Tibet gebracht.
Wer Lhasa besucht, muss in der Kneipe Makeye Ame gewesen sein. Sie liegt in einem zweistöckigen gelben Gebäude an der südöstlichen Ecke der Barkhor. In Tibetisch bedeutet der Name zweierlei Dinge: zum einen heilige Mutter, zum anderen treuherziges Mädchen. Der Wirt Tsering Wangqing berichtet uns, dass der sechste Dalai Lama Tsangyang Gyatso vor ungefähr 300 Jahren auf der Suche nach einer Göttin mehrmals durch die Stadt gewandert sei:
"Als der Dalai Lama in dieser Kneipe zu Gast war, trat eine junge Frau herein. Der Dalai Lama sah die junge Frau den Vorhang hochziehen und ins Zimmer hineinschauen. Er erklärte, er habe niemals eine so hübsche Frau gesehen. Dann war die junge Frau allerdings plötzlich verschwunden. Tsangyang Gyatso war überzeugt, dass die junge Frau die gesuchte Göttin sein müsste. Der Dalai Lama kam ein zweites und ein drittes Mal in die Kneipe. Aber die junge Frau erschien ihm nicht wieder."
Die Innenausstattung der Kneipe ist sehr liebevoll und individuell. An den Wänden hängen viele Gemälde, Fotos und filigran gearbeitetes Kunsthandwerk. In einem Regal in der Kneipe finden sich chinesische und englische Bücher. Verschiedene Musiker spielen in dieser Kneipe typische tibetische Musik.
Auf der belebten Barkhor gibt es auch einige Ateliers beziehungsweise Galerien, die die typisch tibetischen Tangkas und Wandteppiche verkaufen. Tangkas sind auf wertvolle Seide aufgezogene Bilder, die aufgerollt werden, wenn sie nicht an der Wand hängen. Sie zeigen buddhistische Motive. Xueyu ist das bekannteste Tangka-Geschäft in Lhasa. Hier kaufen auch viele Ausländer ein. Denn in diesem Laden kann man auch erleben, wie ein Tangka hergestellt wird. Hier treffen wir auf eine Neuseeländerin. Sie studiert an der Peking-Universität und hat sich einen chinesischen Namen gegeben: An Meihua. An spricht fließend Chinesisch und Tibetisch. Die Tangka-Kunst fasziniert sie unheimlich:
"Es ist immer spannend, andere Kulturen kennen zu lernen. Jede Kultur wirkt zunächst anders und das ist interessant. Aber im Grunde basieren alle Kulturen auf ähnlichen Grundideen, denke ich."
Morgens um neun erwacht das Leben auf der Barkhor. Die ersten Besucher beginnen sich zwischen den verschiedenen Läden zu tummeln. Bis spät in die Nacht kehrt auf der Barkhor keine Ruhe ein, gerade am Abend ist hier viel los. Kneipenbesitzer Tsering Wangqing sagt:
"Auf der Barkhor kann man sehr viele interessante Leute beobachten. Barkhor hat ein unbeschreiblich internationales Flair. Touristen aus aller Welt drehen hier ihre Runden. Dabei ist das Straßenbild sehr stark von der tibetischen Kultur geprägt. Das ist dann eine interessante Mischung und jeder kann sich hier wie zu Hause fühlen."
Reisetipps:
Man kann von Beijing aus nach Lhasa fliegen. Seit einem Jahr kann man auch mit der Qinghai-Tibet-Eisenbahn nach Lhasa fahren. Die Zugfahrt dauert selbstverständlich deutlich länger als der Flug, allerdings kann man unterwegs die wunderschöne Landschaft des Qinghai-Tibet-Plateaus bewundern. In Lhasa angekommen kann man sich zur Barkhor begeben. Um die Kultur der Einheimischen zu achten, soll man die Barkhor immer im Uhrzeigersinn erkunden. In der Nähe gibt es noch weitere interessante Sehenswürdigkeiten, das buddhistische Kloster Jokhang und den Klosterverlag beispielsweise. Das Gasthaus Manzhai bietet gute Übernachtungsmöglichkeiten. In der Nebensaison kostet eine Übernachtung umgerechnet zehn Euro pro Person.