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Gespräch mit Prof. Dr. Hannes Siegrist
  2008-12-15 16:06:26  cri
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Liebe Hörerinnen und Hörer, im Rahmen eines Symposiums über den Schutz von geistigem Eigentum an der Peking-Universität sprachen wir mit Prof. Dr. Hannes Siegrist aus Leipzig. Als Wissenschaftler für Kulturgeschichte hat er sich in den letzten Jahren unter anderem mit dem Vergleich des Schutzes geistigen Eigentums in Deutschland und in China befasst. Hören Sie nun unser Gespräch mit ihm:

CRI: Herr Prof. Siegrist, könnten Sie sich unseren Hörern kurz vorstellen?

Siegrist: Mein Name ist Hannes Siegrist. Ich bin Professor an der Universität Leipzig für Vergleichende Kulturgeschichte und Europäische Moderne.

CRI: Sie haben sich in den letzten Jahren mit der Geschichte geistigen Eigentums befasst. Haben Sie auch Vergleiche zum Schutz von geistigem Eigentum in Deutschland und in China angestellt?

Siegrist: Ja. Dabei habe ich insbesondere festgestellt, dass die deutsche Entwicklung sich ganz im europäischen Rahmen sowie im Rahmen der WTO, TRIPS und WIPO bewegt. China ist neues Mitglied dieser Organisationen. Dadurch gibt es natürlich auch Konflikte und Differenzen.

CRI: Haben Sie als Wissenschaftler für Kulturgeschichte Vorschläge zur Überwindung dieser Differenzen? Teilweise entstehen Differenzen durch Kulturunterschiede. China hat eine andere philosophische Perspektive als westliche Länder gegenüber dem Schutz geistigen Eigentums. Gibt es einen Weg, einen Konsens zu finden?

Siegrist: Ja. Man sollte sich immer über die historischen Grundlagen der Unterschiede, aber vielleicht auch der Ähnlichkeiten im Klaren sein, das ist das Wichtigste. Es kann nicht die eine Seite der anderen vorschreiben, es so zu machen, wie sie es macht. Schließlich kann man Geschichte nicht rückgängig machen oder nachbilden. Jede Kultur hat ihre eigene Geschichte. Nun ist die deutsche oder die europäische Geschichte dadurch gekennzeichnet, dass man etwa seit Beginn des 19. Jahrhunderts das Bild eines autarken Urhebers hat, der Rechte auf ein original geschaffenes Werk hat. Dieses Bild war damals auch in Europa neu. Vorher war es in Europa üblich, die Gedanken der Vorgänger möglichst gut nachzubilden oder vielleicht ein wenig zu verbessern. Man hat also eine starke traditionelle Orientierung gehabt. Doch um die Wende zum 19. Jahrhundert passierte in Europa etwas ganz Neues, nämlich dass einzelne Menschen individuelle Gedanken entwickelten. Hier konnte das Individuum zum Urheber im modernen Sinne werden. Genau da begann die Geschichte des Urhebers. Das Urheberrecht ist stark durch das Bild des Individuums geprägt, der ein Original schafft, das dann als Werk geschützt werden kann. Dieses Bild des Urhebers gibt es genauso heute in vielen Varianten.

Wenn sich damals bis vor 30 Jahren die Vorstellung eines solchen Urhebers nicht entwickelt hätte, hätte sie sich vielleicht heute entwickelt. Aber in China kommt als Problem hinzu, dass die Kultur von so vielen Menschen geschaffen wird. Heute kann China nicht so die Zukunft begehen wie die Europäer zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Für China verhält sich die Lage viel komplizierter.

CRI: Hat der Schutz geistigen Eigentums Ihrer Ansicht nach negative Auswirkung auf die Gegenwart? Wenn ja, auf welchen Gebieten kommen diese negativen Auswirkungen zum Ausdruck?

Siegrist: Das ist eine schwierige Frage, denn darüber scheiden sich die Geister. Manch einer ist der Ansicht, dass zu strenge Gesetze zum Schutz geistigen Eigentums die Bürger dahingehend einschränken, ihre Kultur zu leben und zu entwickeln. Die Kreativität wird eingeschränkt und der Zugang zu kulturellem Wissen und Informationen behindert. Dies wiederum wirkt sich negativ auf die Gesellschaft aus. Daneben gibt es schwerwiegende Vorwürfe gerade im Patentrecht, beispielsweise dass zu hohe Einschränkungen durch das Patentrecht dazu führen, dass Menschen sich zu teure Medikamente nicht mehr leisten können. Dies ist dann oft ein internationales Problem, das zwischen entwickelten und weniger entwickelten Ländern besteht. Aber dafür hat man bereits internationale Verhandlungen und Lösungen gefunden, so dass dieses Problem eventuell auch langfristig zu lösen ist.

Das geistige Eigentum, insbesondere das Patentrecht, aber auch das Markenrecht, wird immer wieder für große Defizite unserer Kultur, unserer Gesellschaft und der Wirtschaft verantwortlich gemacht. Manchmal handelt es sich jedoch auch um einen symbolischen Vorwurf. Es ist manchmal nicht das Problem des Marken- und Urheberrechts, sondern es sind Probleme, die auf Ungleichheit beruhen, und zwar auf sozialer und kultureller Ungleichheit. Formal gesehen mag rechtliche Gleichheit bestehen, aber für die de facto bestehende Ungleichheit wird letztlich in manchen Fällen das Urheberrecht, und bin nicht sicher, ob das immer richtig ist.

CRI: Zwischen Entwicklungsländern und Industrieländern bestehen sicherlich wegen ihrer unterschiedlichen Entwicklungsphase auf dem Gebiet des geistigen Eigentums Meinungsverschiedenheiten. Halten Sie es manchmal für nötig, dass man bei der Überwindung solcher Differenzen mehr Rücksicht auf die Entwicklungsländer nimmt?

Siegrist: Ja, sicherlich muss man auf die Entwicklungsländer Rücksicht nehmen. Schließlich werden die Entwicklungsländer über kurz oder lang möglicherweise auch gute Kunden der heutigen entwickelten Länder oder sie werden wichtige Geschäftspartner, die eigene Produkte herstellen. Das heißt, man sollte die heutigen sogenannten Schwellenländer nicht daran hindern, teilweise zu kopieren, damit diese dann eigene Innovationen hervorbringen können. Das Urheberrecht darf den Spielraum von Nachbildung nicht völlig einschränken, sonst haben diese Länder überhaupt keine Chance, jemals eigene Innovationen zu erzielen.

CRI: Besteht die Gefahr, dass der Schutz von geistigem Eigentum zu technischen Barrieren führt?

Siegrist: Ja, das kann passieren, wenn zum Beispiel Firmen durch unbedeutende Patente, die keine eigentlichen Innovationen sind, andere Firmen daran hindern, wirkliche Innovationen zu erzeugen. Oder wenn große Unternehmen eine Innovation nicht patentieren lassen oder nicht weiterentwickeln, weil sie weiterhin noch bisherige Produkte verkaufen wollen. In diesem Sinne kann Patentrecht also auch missbraucht werden. Der eigentliche Sinn des Patentrechts ist der, dass Wissen für jeden frei zugänglich wird. Aber jedes Recht kann auch für andere Zwecke missbraucht werden, und das sollte natürlich verhindert werden.

Das war, liebe Hörer, unser Interview mit Prof. Dr. Hannes Siegrist.

Interview: Qiu Jing

Forum Meinungen
• mengyingbo schrieb "Leben in Changshu"
seit etwas über einer Woche ist nun Changshu 常熟 in der Provinz Jiangsu 江苏 meine neue Heimat - zumindest erstmal für rund 2 Jahre.Changshu (übersetzt etwa: Stadt der langen Ernte) liegt ungefähr 100 km westlich von Shanghai und hat rund 2 Millionen Einwohner, ist also nur eine mittelgroße Stadt.Es gibt hier einen ca. 200m hohen Berg, den Yushan 虞山 und einen See, den Shanghu 尚湖...
• Ralf63 schrieb "Korea"
Eine schöne Analyse ist das, die Volker20 uns hier vorgestellt hat. Irgendwie habe ich nicht genügend Kenntnisse der Details, um da noch mehr zum Thema beitragen zu können. Hier aber noch einige Punkte, welche mir wichtig erscheinen:Ein riesiges Problem ist die Stationierung von Soldaten der USA-Armee in Südkorea...
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