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Von alten Glocken und charmanten Gassen
  2010-04-22 09:40:20  cri
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Der Glockenturm, chinesisch Zhonglou (Foto: Marie Bollrich)

Wenn früher, zur Ming-Zeit (1368-1644), in den Hutongs in Beijing Glockengeläut zu hören war, stammte dies wahrscheinlich vom Zhonglou, dem altehrwürdigen Glockenturm.

Auf der großen Nord-Südachse, die sich über den Platz des Himmlischen Friedens bis hin zum Olympiastadion Vogelnest durch die Hauptstadt zieht, liegt der Glockenturm im nördlichen Schatten seines berühmten Zwillings, dem Trommelturm Gulou. Sein heutiges Antlitz erhielt der ursprünglich aus der Yuan-Dynastie (1271-1368) stammende Zhonglou nach einem Brand im 18. Jahrhundert. Damals wurde er komplett aus Stein wieder aufgebaut und wirkt schlichter als sein rot getünchtes Gegenüber. Neben der gemeinsamen Entstehungszeit gibt es zwischen den beiden imposanten Gebäuden kaum Ähnlichkeiten.


Der Trommelturm, chinesisch Gulou – leider lag Beijing an diesem Tag unter einem grauen Schleier (Foto: Marie Bollrich)

Mit einer Höhe von knapp 48 Metern, dem mächtigen Balkenkonstrukt inmitten der massiven Steinmauern und natürlich der sieben Meter hohen Bronzeglocke, muss sich Zhonglou keineswegs hinter den bekannten Trommeln Gulous verstecken. Die im Original erhaltene Königin der antiken Glocken wurde unter Ming-Kaiser Yongle (1360-1424) gegossen. Über steile Steinstufen gelangt der Besucher direkt auf die höhere der zwei Ebenen des Turms, von welcher sich bei klarer Sicht ein wunderbarer Ausblick über die Dächer der umliegenden Hutongs eröffnet.


Nicht ganz ungefährlich, vor allem auf dem Weg nach untern: Steintreppe auf die zweite Ebene des Beijinger Glockenturms (Foto: Marie Bollrich)


Ausblick über die Gulou Hutongs an einem der letzten Wintertage (Foto: Marie Bollrich)

Wer im kaiserlichen China wissen wollte, wie spät es war, musste Glocke und Trommeln lauschen. So wurden der Bevölkerung wichtige zeitliche Orientierungspunkte, wie die tägliche Schließung der Stadttore, angezeigt. Nach sieben Uhr abends gab es kein hinein mehr und auch kein hinaus. Dann wurde der erste Geng, eine historische Zeiteinheit, die zwei Stunden umfasst, markiert. Die Nacht wurde insgesamt in fünf Gengs unterteilt, wobei der zweite Geng um 21 Uhr die Schlafenszeit angab und der fünfte um drei Uhr morgens den Beginn des neuen Tages. Bei der Ankündigung des ersten und des letzten Gengs wurde zuerst die Trommel geschlagen, danach folgte die Glocke. In der Nacht wurden die Gengs nur von der Glocke eingeläutet. Angeblich war der tiefe, lang anhaltende Ton über zehn Li hinweg zu hören – das entspricht etwa fünf Kilometern.


63 Tonnen Bronze – die antike Glocke im Zhonglou (Foto: Marie Bollrich)

Eine tragische Geschichte verleiht dem Glockengeläut einen bittersüßen Beigeschmack. Der Legende nach erlang die Bronzeglocke erst durch eine ganz spezielle Zutat ihren besonderen Klang. Die Tochter des Glockengießers opferte sich und sprang in die heiße Metallschmelze, um ihren Vater aus seiner misslichen Lage zu befreien: Zahlreiche Pannen beim Gießvorgang hatten den armen Mann unter Druck gesetzt. So verlor er zwar das geliebte Kind, die einzigartige Gießarbeit bescherte ihm allerdings über Jahrhunderte andauernden Ruhm. Sicherlich war auch die Rettung seines eigenen Kopfes ein positiver Nebeneffekt. Zum Dank und zur Ehrerbietung widmete der damalige Kaiser dem mutigen Mädchen einen kleinen Tempel.

Erst 1924 verschwand mit dem letzten Kaiser Chinas auch das tägliche Läuten im Zhonglou. Heute wird die Bronzeglocke mit ihren bis zu 25 Zentimeter dicken Wänden, übrigens die Größte und Schwerste ihrer Art in China, nur noch einmal im Jahr zum Klingen gebracht. Wenn zum chinesischen Neujahr 63 Tonnen schwingen, scharen sich Touristen wie Einheimische vor Glocken- und Trommelturm.


Der Glockenturm sollte nicht noch einmal in Brand geraten – deshalb das steinerne Antlitz (Foto: Marie Bollrich)

Nicht allein die beiden Türme lohnen einen Besuch. Das recht ursprüngliche Viertel - von Einheimischen wie Ausländern nach dem Trommelturm Gulou benannt - mit historischen Hofhäusern und lebendigen Gassen, in denen sich Bars, Cafés und kleine Geschäfte aneinanderreihen, lädt zum Verweilen ein. Alt und neu, historisch und modern gehen dort eine harmonische Symbiose ein: Während alte Männer auf dem Platz zwischen den beiden Türmen ihre Vögel singen lassen oder sich zum Mah-Jongg - einem alten chinesischen Brettspiel - treffen, schwingt ein paar Straßen weiter die Jugend zu Live-Musik ihre Hüften. Oder trinkt auf den Dachterrassen der Bars gemütlich einen Cocktail.

Doch demnächst soll hier alles ganz neu werden. Ein mögliches fünf Milliarden RMB umfassendes Bauprojekt soll die charmante Gegend in ein modernes Einkaufsparadies im alten Stil verwandeln, hieß es in einer Bekanntmachung des Beijing Cultural Heritage Centers (CHP), einer Nichtregierungsorganisation zum Schutz des Kulturerbes der Hauptstadt. Ein Thema, das auch an den nationalen Medien nicht vorüber ging. Dort kamen etwa Pläne über eine „Beijing Time Cultural City" mit ober- wie unterirdischen Einkaufszentren und einem Museum zur Sprache.

Für Touristen wäre ein Erhalt der ursprünglichen Struktur des Viertels wohl wesentlich attraktiver als eine weitere moderne Einkaufspassage. Der Versuch, ein historisches Beijing im neu gebauten alten Stil zu vermitteln, trifft in manchen Fällen nicht die Erwartungen westlicher Besucher an ein traditionelles China. Vielleicht liegt dem einen oder anderen einfach mehr daran, in einem ursprünglichen Hofhaus eine Tasse Kaffee zu trinken, als in einer glänzenden Architektur-Replik – womöglich noch aus Pappbechern diverser Fastfood-Ketten.

Auch eine Rikscha-Rundfahrt durch die Hutongs im Gulou wird für Ausländer gerade dadurch unterhaltsam und besonders, weil sie durch alte Gassenzüge verläuft: Vorbei an kleinen Lädchen, die einheimische Snacks anbieten, oder am Frisör, der mitten auf der Straße die Köpfe seiner Kunden „verschönert".


Rund um den Glockenturm werden Rikscha-Rundfahrten durch die Hutongs angeboten (Foto: Marie Bollrich)

Es bleibt abzuwarten, inwieweit die Bauherren mit ihrem Projekt den Spagat zwischen wohl teilweise notwendigen Modernisierungsarbeiten und der Aufrechterhaltung einer authentischen historischen Atmosphäre meistern können.

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Die Besichtigung des Glockenturms (钟楼) ist täglich von 9-17 Uhr möglich und kostet 15 RMB – rund 1,50 Euro. Für 30 RMB ist der Eintritt für den Trommelturm gleich mit dabei.

Am besten erreicht man den Glockenturm und das umliegende Viertel, indem man mit der U-Bahnlinie 2 bis zur Haltestelle Guloudajie fährt und vom Ausgang B aus etwa zehn Minuten Richtung Süden läuft.

Text und Fotos: Marie Bollrich

Forum Meinungen
• mengyingbo schrieb "Leben in Changshu"
seit etwas über einer Woche ist nun Changshu 常熟 in der Provinz Jiangsu 江苏 meine neue Heimat - zumindest erstmal für rund 2 Jahre.Changshu (übersetzt etwa: Stadt der langen Ernte) liegt ungefähr 100 km westlich von Shanghai und hat rund 2 Millionen Einwohner, ist also nur eine mittelgroße Stadt.Es gibt hier einen ca. 200m hohen Berg, den Yushan 虞山 und einen See, den Shanghu 尚湖...
• Ralf63 schrieb "Korea"
Eine schöne Analyse ist das, die Volker20 uns hier vorgestellt hat. Irgendwie habe ich nicht genügend Kenntnisse der Details, um da noch mehr zum Thema beitragen zu können. Hier aber noch einige Punkte, welche mir wichtig erscheinen:Ein riesiges Problem ist die Stationierung von Soldaten der USA-Armee in Südkorea...
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