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Pommes und Kanzler - Langfangs Walk of Fame
  2009-10-30 15:10:11  cri
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"Nein, sagt mir nichts", war die mit Abstand häufigste Antwort, die ich auf die Frage nach Luther Burbank (1849-1926) zu hören kriegte. Und das, obwohl vermutlich jeder von uns schon des Öfteren genüsslich in eine seiner Kreationen gebissen hat. Denn der "Zauberer des Gartenbaus" wie der amerikanische Botaniker von seinen Zeitgenossen ehrfürchtig genannt wurde, gilt als Erfinder mehrerer hundert neuer Obst-, Gemüse- und Blumensorten. Die nach ihm benannte "Russet Burbank Kartoffel" soll auch 130 Jahre nach ihrer Erfindung noch immer die vom US-Fastfood-Giganten McDonald's bevorzugte Kartoffel für die Herstellung von Pommes Frites sein.

Wie der Pflanzenzüchter Burbank war auch der Deutsche Hermann Ludwig Ferdinand von Helmholtz (1821-1894) bereits zu seiner Lebzeit eine Legende. Seine vielen revolutionären Erfindungen wie etwa der Augenspiegel, mit dem die Netzhaut des Auges untersucht werden kann, sowie seine außerordentlich vielseitige Begabung, brachten ihm den Übernamen "Reichskanzler der deutschen Physik" ein. Helmholtz war gegen Ende des 19. Jahrhunderts so angesehen, dass seine Vorlesungen sogar Wissenschaftler aus dem fernen Russland anzogen. Einer von ihnen war der Chemiker Dimitri Mendelejew (1834-1907), der später selbst als Begründer des Periodensystems der Elemente in die Geschichte eingehen sollte.

Burbank, Helmholtz und Mendelejew waren Koryphäen ihrer Zeit. Ihre Erfindungen und Entdeckungen wirken bis heute nach. Umso erstaunlicher, dass die drei heutzutage fast nur noch Fachkreisen bekannt sind. Zugegeben, ich bin kein grosser Obstliebhaber, und das Periodensystem der Elemente war mir während meiner Gymnasialzeit ein steter Gräuel, doch als studierter Historiker hätte mir zumindest der Name Helmholtz ein Begriff sein müssen. Es grenzt daher an Ironie, dass ich ausgerechnet in Langfang, einer unbekannten Kleinstadt im Riesenreich China, von der Existenz dieser drei berühmten westlichen Wissenschaftler erfuhr.

            

Die Gedenktafeln von Burbank, Helmholtz und Mendelejew

Oriental University City

Die Kleinstadt Langfang liegt auf halbem Weg zwischen Beijing und Tianjin, der wichtigsten Hafenstadt im Norden Chinas. Wörtlich übersetzt bedeutet Langfang soviel wie "Durchgangsort". Ereignisse von nationaler Tragweite fanden hier keine statt. Nach historischen Baudenkmälern sucht man ebenfalls vergeblich. Für die meisten Chinesen Grund genug, an der Provinzstadt vorbei zu fahren. Damit sich dies bald ändert, hat die Stadtregierung beschlossen, das verkehrstechnisch günstig gelegene Langfang langfristig in einen modernen Forschungs- und Messestandort zu verwandeln.

Ein erster Schritt in diese Richtung war die im Jahr 2000 gegründete Oriental University City, rund zehn Kilometer vom Stadtzentrum entfernt. Hinter dem 4 Billionen Yuan RMB (ca. 390 Millionen Euro) teuren Bauprojekt steckt die Raffles Education Corporation Limited mit Sitz in Singapur. In der 3,3 Millionen Quadratmeter oder 462 Fußballfelder großen Universitätsstadt haben sich inzwischen 14 Universitäten und Hochschulen mit einer Studentenzahl von 35.000 niedergelassen.

Eine solch gigantische Universitätsstadt mit Unterrichtsgebäuden, Forschungseinrichtungen, Studentenwohnhäusern, Restaurants, Läden, ja sogar einem Golfplatz, innerhalb von weniger als drei Jahren aus dem Boden zu stampfen, ist bereits bemerkenswert. Noch erstaunlicher aber - zumindest für das westliche Auge - ist die Gedenkallee für die "Eckpfeiler der Zivilisation", die sich einige hundert Meter quer durch die Oriental University City hindurch zieht.


Die Inschrift "Oriental University City" auf dem Triumphbogen trägt die Handschrift des ehemaligen Staatspräsidenten Jiang Zemin.

Langfangs Walk of Fame

Am Eingang der Gedenkallee steht ein riesiger Triumphbogen. Zwar ist die Nachbildung nicht ganz so pompös wie das Original in Paris, doch das dürfte Napoleon Bonaparte, den Auftraggeber des Originals, der einige hundert Meter entfernt auf einer Gedenktafel verewigt ist, nicht weiter stören. Unmittelbar hinter dem Triumphbogen beginnt die Gedenkallee. In einem Abstand von rund zehn Metern folgen auf beiden Straßenseiten die schlichten, knapp zwei Meter hohen Gedenktafeln von 73 Persönlichkeiten aus 22 verschiedenen Ländern. Mal mit ernstem, fast regungslosem Gesichtsausdruck, mal mit leicht nach oben gerichtetem Blick, als hätten sie soeben eine Eingebung gehabt, starren einen die Porträts der Berühmtheiten aus aller Welt wortlos an. Die Witterung und der Zahn der Zeit haben einigen von ihnen bereits stark zugesetzt. In fünf Fällen ist sogar nur noch der rostige Rahmen übrig geblieben.

Trotz einiger Alterserscheinungen verfehlen die Gedenktafeln ihre Wirkung nicht - vorausgesetzt, der Betrachter nimmt sich die Muße, kurz innezuhalten und sich mit den einzelnen Figuren auseinanderzusetzen. Die Studierenden scheinen hierfür keine Zeit zu haben. Die meisten würden einfach gedankenlos an den Gedenktafeln vorbeilaufen, sagt die 20-jährige Yang. Für die angehende Krankenpflegerin aus Shijiazhuang hingegen sind die berühmten Wissenschaftler Motivationsspritze und Mutmacher zugleich: "Wenn ich beim Studium einen Rückschlag erleide, geben mir ihre Beispiele neuen Mut."

Die Gedenktafeln von Alexander Fleming und Mongolenherrscher Dschingis Khan

Die Gedenkallee in Langfangs Oriental University City ist nicht nur ein Spiegelbild des neuen, weltoffenen Chinas, sondern auch ein Abbild der letzten 3.000 Jahre der Weltgeschichte. Den Anfang macht der griechische Poet Homer (8. Jahrhundert v. Chr.). Der Verfasser der beiden weltberühmten Epen "Ilias" und "Odyssee" gehört zu jenen Persönlichkeiten auf Langfangs Walk of Fame, die allseits bekannt sind. Weitere berühmte Namen sind Aristoteles, Galilei, Kolumbus, Leonardo da Vinci, Shakespeare, Newton, Mozart, Goethe, Washington, Watt, Freud oder Einstein, um nur einige zu nennen.

Das Gros der Namen aber gehört in die Kategorie der nur einschlägigen Kreisen bekannten Wissenschaftler wie Burbank, Helmholtz und Mendelejew. Oder haben Sie schon einmal vom Niederländer Antony van Leeuwenhook (1632-1723), dem Vater des modernen Mikroskops, gehört? Oder von Edward Jenner (1749-1823), dem englischen Immunologen, dem wir die Schutzimpfung gegen die Pocken verdanken? Kaum vertraut dürften Ihnen auch die Namen James Chadwick (1891-1974) und Paul Berg (1926-) sein. Der englische Physiker Chadwick und der amerikanische Biochemiker Berg gehören beide zu den zehn Nobelpreisgewinnern, denen in Langfang ein Denkmal gesetzt wurde.

  

Die Gedenktafeln von Adam Smith, Florence Nightingale und Johann Wolfgang von Goethe

Die meisten der in Langfang verewigten Persönlichkeiten waren Naturwissenschaftler. Berühmte Staatsmänner, Literaten und Künstler sind deutlich in der Minderheit. Dasselbe gilt für das weibliche Geschlecht. Nur die polnische Chemikerin Marie Curie (1867-1934), die legendäre englische Krankenschwester Florence Nightingale (1820-1910) und ihre Landsfrau, "die erste Programmiererin" Ada Byron (1815-1852), erhielten eine Gedenktafel auf dem Langfanger Walk of Fame. Zu den prominentesten Abwesenden gehören zweifelsohne die Sowjet-Ikone Lenin und der chinesische Staatsgründer Mao Zedong. Cai Lun (61-121), der (angebliche) Erfinder des Papiers, ist der einzige Chinese unter der illustren Schar von Persönlichkeiten. Angesichts der Gedenktafeln für Buddha und den Propheten Mohammed verwundert auch das Fehlen von Jesus von Nazareth ein wenig.

"Eckpfeiler der Zivilisation"

Während die Auswahl der Gedenktafeln teilweise etwas undurchsichtig ist, scheint ihre Gesamtanordnung gar jeglicher Logik zu entbehren. So sind beispielsweise die Vertreter völlig unterschiedlicher Ideologien wie Adam Smith (1723-1790) und Karl Marx (1818-1883) nur einige Meter voneinander entfernt. Zudem ist weder eine alphabetische noch eine chronologische Reihenfolge erkennbar. An ihrer Absicht hinter diesem Ruhmespfad der Menschheitsgeschichte lassen die Macher jedoch keinen Zweifel offen. Alle 73 Persönlichkeiten oder "Eckpfeiler der Zivilisation", wie sie auf der Gedenkinschrift am Anfang der Allee genannt werden, sollen der Jugend als leuchtende Beispiele dienen. Die Studierenden der Oriental University City sollen von der "unendlichen Klugheit und dem unerschütterlichen Mut" dieser historischen Figuren lernen. So behutsam wie Luther Burbank einst die Pflänzchen in seinem kalifornischen Garten aufzog, soll heute an der Oriental University City der akademische Nachwuchs herangezüchtet werden.

Triumph des Wissens: die "Eckpfeiler der Zivilisation" und Siegesgöttin Victoria

Ob die weniger als zehn Jahre alte Oriental University City ihrem eigenen Anspruch langfristig gerecht und zu einer "Talentschmiede" avancieren kann, muss sie erst noch beweisen. Noch ist nach keinem ihrer Studienabgänger zu Ehren ein chemisches Element, eine Stadt oder gar ein Krater auf dem Mond benannt worden wie das beim großen russischen Chemiker Mendelejew der Fall war. Auch ein Denkmal wie Helmholtz vor der Humboldt-Universität in Berlin hat noch keiner erhalten. Vielleicht wurden die fünf Tafeln zwischen dem schottischen Penizillin-Entdecker Alexander Fleming und dem römischen Kaiser Konstantin dem Großen, sowie zwischen dem Propheten Mohammed und Kolumbus ja von den Machern der Oriental University City in weiser Vorahnung gerade deswegen leer gelassen?

Besucherinformationen:

Anfahrt:

Bus 938(5) fährt direkt vom Beijinger Hauptbahnhof (Busstop Beijing Zhan Dong) zum Triumphbogen in Langfangs Oriental University City (Endstation). Die Fahrtzeit beträgt je nach Verkehr anderthalb bis zwei Stunden.

Öffnungszeiten:

Die Oriental University City von Langfang ist von Montag bis Sonntag durchgehend geöffnet. Der Eintritt ist kostenlos.

Hinweis:

Mit Ausnahme der Einführung am Anfang der Allee sind leider alle Gedenkinschriften auf Chinesisch verfasst.

Text und Fotos: Simon Gisler

Forum Meinungen
• mengyingbo schrieb "Leben in Changshu"
seit etwas über einer Woche ist nun Changshu 常熟 in der Provinz Jiangsu 江苏 meine neue Heimat - zumindest erstmal für rund 2 Jahre.Changshu (übersetzt etwa: Stadt der langen Ernte) liegt ungefähr 100 km westlich von Shanghai und hat rund 2 Millionen Einwohner, ist also nur eine mittelgroße Stadt.Es gibt hier einen ca. 200m hohen Berg, den Yushan 虞山 und einen See, den Shanghu 尚湖...
• Ralf63 schrieb "Korea"
Eine schöne Analyse ist das, die Volker20 uns hier vorgestellt hat. Irgendwie habe ich nicht genügend Kenntnisse der Details, um da noch mehr zum Thema beitragen zu können. Hier aber noch einige Punkte, welche mir wichtig erscheinen:Ein riesiges Problem ist die Stationierung von Soldaten der USA-Armee in Südkorea...
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