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Tibetische Waisenkinder in der Schweiz: Dunkles Kapitel enthüllt
  2013-10-15 16:20:43  cri

ZÜRICH – In seinem Dokumentarfilm „Tibi und seine Mütter" hat der Schweizer Filmemacher Ueli Meier ein dunkles Kapitel Zeitgeschichte beleuchtet, in dem Dalai Lama rund 200 tibetische Pflegekinder in die Schweiz brachte, obwohl sie zumindest noch Eltern hatten. Darüber hat die Neue Zürcher Zeitung in ihrer Ausgabe vom 11. September ausführlich berichtet:

Der 14. Dalai Lama und seine Anhänger flüchteten 1959 aus Tibet nach Nepal und ins nördliche Indien. In ihren dortigen Aufhaltsorten herrschten prekäre Verhältnisse. Im März 1964 bewilligte der Schweizer Bundesrat ein Kontingent von tausend geflohenen Tibetern. Ausgewählt wurden zumeist vollständige Familien.

Noch vor der offiziellen Schweiz war jedoch auf privater Basis bereits Charles Aeschimann aktiv geworden, ein Industrielle, der über 30 Jahre lang bei der Elektrizitätsgesellschaft Atel in führenden Positionen tätig war. Vom Dalai Lama bekam Aeschimann ab 1960 insgesamt drei Adoptivkinder zugesprochen. Im Gegenzug versprach der einflussreiche Industrielle dem Dalai Lama, 200 Kinder in der Schweiz bei Pflegeeltern beziehungsweise im Kinderdorf Pestalozzi in Trogen zu unterbringen. Aber nur 19 dieser Kinder waren Vollwaisen, wie Aeschimann später in einem Bericht festhielt. Die große Mehrheit der Kinder hatte, entgegen der Erwartung der Öffentlichkeit, in Tibet mindestens einen Elternteil, häufig sogar beide.

In seinem Film veranschaulichte Ueli Meier die divergierenden Interessen von Dalai Lama und Charles Aeschimann. Während der Industrielle aus persönlichen Interessen unbedingt ein Adoptivkind will, hat der Dalai Lama die Absicht, mit der Entsendung der Kinder die zukünftige Elite heranzubilden.

Nach Indien zurückgekehrt, um dort, wie vom Dalai Lama geplant, als Ingenieur, Architekt, Arzt oder Lehrer zu dienen, ist von den 200 Pflegekindern aber keines. Demgegenüber verursachte die unfreiwillige Trennung von den leiblichen Eltern bei vielen Betroffenen seelische Wunden, die bis heute nicht verheilt sind.

Nachdem Aeschimann eine Zeitungsmeldung vom 3. August 1959 gelesen hatte, in der Dalai Lama die USA und andere Länder ersucht, tausend jungen Tibetern als „zukünftigen Führern eine Erziehung zu vermitteln", meldete er sich beim Dalai Lama.

Bereits einige Jahre zuvor hatte sich Aeschimann beim Roten Kreuz um die Aufnahme eines Waisenkindes aus dem Koreakrieg beworben. Das Gesuch wurde abgelehnt, wie Aeschimanns Sohn Jacques erzählt. Die Gründe für die Ablehnung nennt der Sohn nicht.

Das Ehepaar Aeschimann hatte drei leibliche Kinder, die damals flügge wurden. Die Rückweisung als Adoptiveltern hat doppelte Brisanz. Wenig später führte Charles Aeschimann nämlich mit fast 300 Eltern, die sich bei ihm um ein tibetisches Pflegekind beworben hatten, selber Gespräche, um deren Eignung abzuklären. Gleichzeitig schlug er die Einwände des Roten Kreuzes, das sich von Beginn weg vehement gegen seine Aktion wandte, in den Wind.

Den Kontakt zum Dalai Lama im indischen Exil stellte der österreichische Bergsteiger Heinrich Harrer her, der eine Zeitlang am Hof des Dalai Lama gelebt hatte.

Über einen Bruder des Dalai Lama, Thubten Norbu, wurde der Familie Aeschimann im August 1960 ein erstes tibetisches Kind vermittelt. Zwei Monate später trafen die vermeintlichen Waisenkinder in der Schweiz ein, wie dies mit dem Dalai Lama vereinbart worden war. Wie Ueli Meier im Booklet zur DVD festhält, stellte sich alsbald heraus, dass es sich in diesen Fällen vorwiegend um Kinder von oftmals politisch einflussreichen Adelsfamilien handelte, deren Eltern noch lebten.

Derweil gewann die Pflegekinderaktion in der Schweiz an Dynamik. Geschickt spannte Aeschimann die Schweizer Medien ein. So schrieb der Publizist Werner Wolenberger im „Nebelspalter" einen flammenden Aufruf. Die tibetischen Pflegekinder, „diese kleinen Wesen", würden im Klima ihres Exillandes Indien wie die Fliegen wegsterben, schrieb Wollenberger. „Jeder Tag, der ungenutzt und ohne Hilfe vergeht, bedeutet viele kleine Tode."

Der Aufruf fand ein überwältigendes Echo. Gegen 300 Familien bewarben sich um ein tibetisches Kind. Sämtliche Bewerbungen gelangten an Aeschimann, der als Laie die Auswahl der Familien vornahm. Zwischen 1961 und 1964 gelangten gruppenweise 200 Kinder aus Tibet in die Schweiz. Rund 40 von ihnen lebten fortan im Pestalozidorf in Trogen, 158 wurden in den von Aeschimann ausgewählten Familien unterbracht. Die Auswahl der Kinder im Heim für tibetische Kinder im indischen Dharamsala wurde von Tsering Dolma vorgenommen, der älteren Schwester des Dalai Lama.

Zu Beginn verfügte Aeschimann, der kraft seiner führenden Stellung in der Elektrizitätswirtschaft bestens mit den Bundesbehörden vernetzt war, noch keine Bewilligung für seine private Pflegekinderaktion. Erst Mitte September 1961, als sich die erste Gruppe bereits in der Schweiz befand, kam es zur entscheidenden Besprechung mit den eidgenössischen Polizeibehörden. Wie eine Aktennotiz zeigt, die Meier im Bundesarchiv fand, standen die Behörden dem Projekt äußerste skeptisch gegenüber. Es sei den Kreisen um Herrn Aeschimann klar, dass eine Rückkehr der Kinder nach Asien in den meisten Fällen nicht infrage komme, hält der Chef der Polizeiabteilung in der Aktennotiz fest.

Die Spitzenbeamten warfen an der Besprechung zudem die Frage auf, ob nicht mit den beachtlichen finanziellen Mitteln, die für einige weniger Kinder eingesetzt würden, in den Flüchtlingslagern Tausenden weit effektiver geholfen werden könnte. Die Empfehlung, sich diesbezüglich mit dem Roten Kreuz in Verbindung zu setzen, wies Aeschimann mit fadenscheinigen Begründungen ab. Trotz all diesen Vorbehalten gab der Chefbeamte, nicht zuletzt aufgrund des öffentlichen Drucks, schließlich sein Einverständnis, die tibetischen Kinder als Flüchtlinge anzuerkennen.

Ohne Konsequenzen blieb auch ein vertrauliches Schreiben des damaligen Schweizer Botschafters in Indien. Dieser gab im Februar 1963 seine „Entdeckung" kund, dass ein guter Teil der in Dharamsala ausgewählten Pflegekinder noch beide oder zumindest einen Elternteil besitze. Der Botschafter warnt im Schreiben eindringlich vor den zu erwartenden „menschlichen und geistigen Schwierigkeiten", da es sich bei den Pflegekindern nicht um Vollwaisen, sondern um „vertraglich abgetretene Fürsorgeobjekte" handle. Damit spielte der Botschafter auf das „Agreement" an, das zwischen Aeschimann und dem Dalai Lama abgeschlossen worden war. Im Vertrag werden die Pflegeeltern auf einer A4-Seite verpflichtet, den Kindern die tibetische Kultur zu vermitteln und sie zu einer Rückkehr anzuhalten.

Doch weinige Jahre nach der Ankunft in der Schweiz hatten rund 90 Prozent der „Aeschimann-Kinder" die tibetische Sprache verloren. Allein schon dies erschwerte später den Austausch mit den leiblichen Eltern. Auch innerhalb der tibetischen Exilgemeinde in der Schweiz blieben die „Aeschimann-Kinder" vielfach Außenseiter. Im Gegensatz zu den Kindern im Kinderdorf Pestalozzi oder zu den regulären Flüchtlingen, die im Familienverband in die Schweiz gekommen waren, sprachen sie kein oder nur wenig Tibetisch, weshalb sie oft gehänselt wurden.

Forum Meinungen
• mengyingbo schrieb "Leben in Changshu"
seit etwas über einer Woche ist nun Changshu 常熟 in der Provinz Jiangsu 江苏 meine neue Heimat - zumindest erstmal für rund 2 Jahre.Changshu (übersetzt etwa: Stadt der langen Ernte) liegt ungefähr 100 km westlich von Shanghai und hat rund 2 Millionen Einwohner, ist also nur eine mittelgroße Stadt.Es gibt hier einen ca. 200m hohen Berg, den Yushan 虞山 und einen See, den Shanghu 尚湖...
• Ralf63 schrieb "Korea"
Eine schöne Analyse ist das, die Volker20 uns hier vorgestellt hat. Irgendwie habe ich nicht genügend Kenntnisse der Details, um da noch mehr zum Thema beitragen zu können. Hier aber noch einige Punkte, welche mir wichtig erscheinen:Ein riesiges Problem ist die Stationierung von Soldaten der USA-Armee in Südkorea...
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