Bis in die frühen 1990er Jahre war das angloamerikanische Rechtssystem in China besonders bekannt. Im Gegensatz zur englischen und amerikanischen Rechtsliteratur stand in China damals jedoch nahezu keine deutsche Rechtsliteratur zur Verfügung. Erst im Jahr 1992 wurde erstmals ein Werk über das deutsche Recht ins Chinesische übersetzt, und zwar die "Einführung in die vergleichende Rechtswissenschaft". Für die Beschäftigung mit dem deutschen Recht fehlten aber nach wie vor ins Chinesisch übersetzte wissenschaftliche Werke. Um diese Lücke zu schließen, wurde 1998 an der Universität für Politik- und Rechtswissenschaft in Beijing ein Übersetzungsprojekt für repräsentative deutsche Rechtsliteratur der Gegenwart ins Leben gerufen.
Vor kurzem trafen chinesische und deutsche Rechtswissenschaftler sowie Vertreter der deutschen Botschaft und der Außenstelle des Deutschen Akademischen Austauschdienstes(DAAD), in Beijing zusammen, um das zehnjährige Jubiläum dieses Übersetzungsprojekts zu feiern. Mehr dazu erfahren Sie im folgenden Bericht:
Die Übersetzung repräsentativer deutscher Rechtsliteratur der Gegenwart verfolgt den Zweck, den Juristen der Volksrepublik China Kenntnisse über das deutsche Recht und über die deutsche Rechtswissenschaft zu vermitteln. Das Übersetzungsprogramm umfasst die Gebiete Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, Staatsrecht, Rechtsgeschichte, Zivilrecht, Handelsrecht, Wirtschaftsrecht, Strafrecht und europäisches Privatrecht.
Die für die Übersetzung ausgewählten Bücher werden nicht nur in Deutschland, sondern auch darüber hinaus allgemein als repräsentativ angesehen. Einige Werke gelten inzwischen als wahre Klassiker und zählen zu den meistbenutzten Lehrbüchern an deutschen Universitäten. Bisher wurden schon über 20 Werke übersetzt und herausgegeben. Zwölf weitere Bücher befinden sich noch in Bearbeitung.
Ma Kangmei, Vizerektorin der Beijinger Universität für Politik- und Rechtswissenschaft, ist vom vielfältigen Nutzen des Übersetzungsprojekts überzeugt, wie sie in einer Rede an der zehnjährigen Jubiläumsfeier des Projekts sagte:
"Die Ergebnisse des Projekts und dessen weitreichender Einfluss in den vergangenen zehn Jahren sind gut zu erkennen. Die über 20 bereits herausgegebenen Werke sind ein Beleg für die wichtige Rolle, die sie als Referenzwerke beim Aufbau des chinesischen Rechtssystems gespielt haben. Zugleich bieten sie der Rechtsforschung und -ausbildung eine reichhaltige Materialquelle. Noch wichtiger allerdings ist, dass das Übersetzungsprojekt den Austausch vertieft und die Ausbildung von juristischen Nachwuchskräften gefördert hat."
Das Übersetzungsprojekt wird vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) gefördert. Der DAAD hat bereits mehrere Projekte im Bereich der Rechtswissenschaft in China unterstützt. Stefan Hase-Bergen, Vertreter der DAAD-Außenstelle in Beijing, stuft das Übersetzungsprojekt als sehr wichtig ein. Es bilde für alle juristischen Zusammenarbeitsprojekte mit China die Grundlage, so Hase-Bergen.
Der bekannte chinesische Rechtswissenschaftler und Humboldt-Stipendiat, Professor Mi Jian, führt den Vorsitz des Übersetzungsausschusses. Zugleich ist er Leiter des Chinesisch-Deutschen Rechtsinstituts an der Universität für Politik- und Rechtswissenschaft in Beijing. Mit ihm sitzen sechs weitere chinesische Rechtswissenschaftler von verschiedenen Universitäten im Ausschuss. Die zu übersetzenden juristischen Werke wurden von acht deutschen Professoren ausgewählt, die eine Beraterrolle innehaben. Zwei dieser acht deutschen Professoren sind sowohl mit der chinesischen Sprache als auch mit dem Rechtssystem Chinas vertraut. Die Mitarbeit der Experten aus Deutschland ist ein Hauptgrund für den Erfolg des Übersetzungsprojekts, wie Professor Mi Jian in seiner Dankesrede betont:
"Unsere deutschen Berater haben uns bei diesem interessanten Projekt sehr geholfen. Sie haben eine zentrale Rolle gespielt. Ohne ihre Vorschläge hätten wir wohl nicht die am besten geeignete Rechtsliteratur ausgewählt. Was wir übersetzt und ihnen heute vorgelegt haben, wird von vielen Kollegen gelobt. Sie sind der Ansicht, dass wir die richtige Auswahl getroffen haben. An dieser Stelle möchte ich mich bei unseren deutschen Beratern herzlich bedanken."
Bereits sind zwei weitere Übersetzungsprojekte geplant. Eines über die Nachschlagewerke der deutschen Gesetze, das zweite über die Biographien berühmter deutscher Juristen. Der Gesandte der deutschen Botschaft, Hans-Carl von Werthern, zeigt sich optimistisch über den weiteren Verlauf des chinesisch-deutschen Projekts:
"Die Ausgestaltung des Rechtssystems ist entscheidend für die erfolgreiche Modernisierung einer Gesellschaft. In den vergangenen dreißig Jahren hat China enorme Fortschritte bei dieser Modernisierung gemacht. Deutschland ist stolz darauf, einen kleinen Teil zu dieser Modernisierung beigetragen zu haben.
Seit 1999 haben wir den deutsch-chinesischen Rechtsstaatsdialog auf Regierungsebene. Dieser Dialog ist wichtig, aber er reicht nicht aus. Er muss von der Basis unterstützt werden. Hier spielt das Übersetzungsprojekt eine ganz entscheidende Rolle.
Wir feiern heute die vergangenen zehn Jahre, in denen 25 Werke übersetzt worden sind, zwölf weitere Werke befinden sich in Bearbeitung. Wir schauen also auch optimistisch in die Zukunft."
Professor Rolf Knütel, Vertreter der acht deutschen Berater, spricht den chinesischen Übersetzern seinen besonderen Dank aus:
"Man muss hierbei auch aus deutscher Sicht den Übersetzern einen großen Dank aussprechen. Denn es sollte nicht vergessen werden, dass sie unentgeltlich oder bloß für ein kleines Taschengeld hart arbeiten. Das ist wirklich eine großartige Sache."
Soweit, liebe Hörer, unser Bericht über das Übersetzungsprojekt "Repräsentative deutsche Rechtsliteratur der Gegenwart".
Interview: Qiu Jing Sprechrin: Qiu Jing