Wohlstand ist geil
"Grundsätzlich keine!" Dies war die simple Antwort der politischen Führung von Huaxi an der heutigen Pressekonferenz über die Eröffnung des "Ersten Internationalen Tourismusfestivals von Huaxi" auf die Frage einer chinesischen Reporterin, ob die Verantwortlichen des Dorfes in den vergangenen 30 Jahren Fehler begangen haben. Selbstbewusst teilte die Führungsriege von Huaxi der internationalen Medienschar mit, Huaxi sei eine "perfekte Mischung aus Sozialismus und Kapitalismus". Allein im Jahr 2007 hätten zwei Millionen Touristen aus dem In- und Ausland das "beste Dorf der Welt", wie es in großen chinesischen Schriftzeichen auf einem Spruchband im Pressezentrum heißt, besucht. Alle Einwohner von Huaxi seien mindestens Millionäre (in Yuan RMB versteht sich), ließ Zhou Li, die stellvertretende Parteisekretärin des Dorfes, stolz verlauten.
Etwas zugeknöpfter gab sich die Führung von Huaxi bezüglich ihrer Tourismusziele. So präsentierte sie weder ein visionäres Konzept über den Ausbau der touristischen Infrastruktur, etwa über den Bau von Golfanlagen, noch erwähnte sie die zweifelsohne vorhandenen Sehenswürdigkeiten des Dorfes. Ein Beispiel hierfür - zumindest aus Sicht des westlichen Betrachters - wäre etwa die Deckengestaltung des großen Pressekonferenzsaals, die der "Großen Halle des Volkes" in Beijing nachempfunden ist.
Von offizieller Seite wurde einzig erwähnt, dass Singapur in Bezug auf die Sauberkeit und die vielen Grünflächen eine Art Vorbild für Huaxi darstelle. Dasselbe gilt übrigens für die Autos. Ein Grund, warum jeder Haushalt in Huaxi über mindestens ein Auto verfügt, heißt Singapur. Als die Dorfführung auf einer Reise nach Singapur die vielen Autos sah, entschied sie sich kurzerhand, alle Dorfbewohner mit einer eigenen Karosse auszustatten.
Ebenfalls einen Abstecher wert ist die High-Tech-Landwirtschaftszone etwas außerhalb des Dorfes. In Hangar ähnlichen Treibhäusern werden hier die unterschiedlichsten Gemüsesorten und exotischen Früchte wie Ananas, Bananen oder die für Nordasien typische Feuerdrachenfrucht angebaut. Besonders sehenswert neben Riesenkürbissen ist ein Gewächs, das gleichzeitig Tomaten und Auberginen hervorbringt.
Dass Huaxi den Besuchern aus dem In- und Ausland aber auch in Zukunft in erster Linie seine wundersame wirtschaftliche Entwicklung und den damit verbundenen Wohlstand zeigen möchte, wurde spätestens am pompösen Umzug mit dem Motto "Entwicklung, Schönheit und Freude" am Nachmittag klar. Obwohl Huaxi es eigentlich gar nicht nötig hätte, die bösen Geister zu vertreiben, wurden die Gäste aus über 100 Ländern sowie die zahlreichen einheimischen Zaungäste auf dem propenvollen Dorfplatz mit einem ohrenbetäubenden Feuerwerk begrüßt.
In der Schweiz oder in Deutschland ist es an Karnevalsumzügen bekanntlich Brauch, Politiker auf die Schippe zu nehmen, oder irgendwelche bewegenden Ereignisse auf lustige Art und Weise aufzubereiten. Die Umzugswagen sind mit dementsprechenden Spruchbändern geschmückt. Anders am heutigen Umzug in Huaxi. Alle Umzugswagen wiesen auf die erstaunlichen Errungenschaften des Dorfes hin. Die bunt gestalteten Umzugswagen waren mit Spruchbändern versehen wie "Jede Familie besitzt mindestens eine Million Yuan RMB", "Jede Familie hat mindestens ein Auto" oder "Wunderschönes Huaxi, glückliche Dorfbewohner".
Auf den eigentlichen Umzug folgte ein Autokorso. Winkend chauffierten die betuchten Dorfbewohner, die vor 30 Jahren noch so arm waren, dass sie sich nicht einmal ein Fahrrad leisten konnten, ihre Luxuskarossen durch die Menschenmenge. Fast alle bekannten Automarken von Mercedes über Porsche bis hin zum amerikanischen Cadillac waren dabei vertreten. Wohlstand ist geil - und kurbelt den Tourismus an! Mit diesem Satz lässt sich der Umzug in Huaxi wohl am besten beschreiben.
Als wollten die Verantwortlichen von Huaxi auch noch den Wohlstand des Gemeinwesens unterstreichen, wurde nach den Privatautos auch noch das gesamte Arsenal an Gemeindefahrzeugen, vom modernen Löschfahrzeug über einen Tankkraftwagen bis hin zu einer Vielzahl Minibussen, vorgeführt.
Den Schluss des Umzugs bildeten einige Artisten und Tanzgruppen, die den sogenannten "Qian Xiao" zum besten gaben. Beim "Qian Xiao" handelt es sich um einen Tanz, bei dem die Tänzerinnen einen rund meterlangen Stab, an dessen Enden Schellen befestigt sind, jonglieren. Der Tanz soll, wie könnte es in Huaxi auch anders sein, zu Reichtum und Wohlstand führen.
Mit freundlichen Grüssen aus Huaxi,
Simon Gisler