Wir schreiben die frühen 1990er Jahre. Schauplatz ist die Innere Mongolei, es könnte aber auch überall sonst in China sein. Xiaolei ist 12 Jahre alt und kommt bald auf die Mittelschule. Sein Vater verliert seine Anstellung in einem staatlichen Betrieb im Zuge der zunehmenden Privatisierung. Das Leben in China ist dabei sich zu verändern.
Eines der offiziellen Filmplakate zu Ba Yue
Ba Yue, das ist chinesisch für August, so heißt die 2016er Sozialstudie von Zhang Dalei. International trägt der Film den Titel „The Summer is gone", also der Sommer ist vorüber.
Zhang stammt selbst aus der Region in der Inneren Mongolei, in der er seinen Film spielen lässt. Sein Protagonist ist ein 12-jähriger Junge namens Zhang Xiaolei. Ein Wortspiel, was der Regisseur hier eingeht, denn das „da" in Dalei bedeutet groß, während „xiao" in Xiaolei klein bedeutet. Er verarbeitet in seiner Sozialstudie seine eigenen Kindheitserlebnisse und die seiner Generation.
Seine Absicht war es, den sozialen Wandel der frühen 1990er Jahre, der sich in den guten und in den schlechten Seiten zunehmender Privatisierung und damit dem Ende gesicherter staatlicher Arbeitsverträge auf Lebenszeit, oder wie es in den Sozialwissenschaften heißt der standardisierte Lebenslauf, darzustellen. Aber diese Darstellung, so Dalei, solle nicht nostalgisch verklärend wirken, sondern den nicht alles verstehenden und in seiner eigenen Welt verschlossenen Blick eines kleinen Jungen als Stilmittel nutzen.
Der Junge, Xiaolei, ist gelangweilt und verbringt viel Zeit mit seinen Freunden. Es sind Sommerferien, diesmal sogar ganz ohne Hausaufgaben, denn danach geht es auf eine neue Schule, die Mittelschule. Drumherum verändert sich das normale Alltagsleben der Erwachsenen.
Die Mutter versucht mit allen Mitteln Wege zu finden, ihren Sohn auf eine Elite-Mittelschule zu schicken. Ihm selbst ist dies relativ egal. Er mag Bruce Lee Filme und verbringt seine Zeit lieber mit seinen Freunden. Sein Vater arbeitet hinter der Kamera in einem staatlichen Kino. Immer wieder schaut er seinen Lieblingsfilm „Taxi Driver" von Martin Scorsese. Ähnlich wie in diesem Film zerbricht er nervlich immer mehr, denn er muss sich der Realität stellen: das Kino wird geschlossen, wegrationalisiert. Mit dem Ende des Kinos bekommt man auch noch einen zeithistorischen Einblick in das China der frühen 90er Jahre. Groß bejubelt läuft 1994 erstmals ein amerikanischer Film offiziell in einem chinesischen Kino an, es war „Auf der Flucht" mit Harrison Ford. Der Film endet mit dem Ende der Ferien und mit dem Vater, der zusammen mit vielen seiner Freunde im Bus unterwegs ist. Er wird zu einem der ersten Wanderarbeiter Chinas und wird in Zukunft auf dem Feld sein Werk verrichten.
Das erste Familienfoto ohne den Vater. Xiaolei ist links im Bild zu sehen.
Der von Pema Tseden produzierte Film hat allerlei Preise einheimsen können, wie den Jury Preis des 24th Beijing College Student Film Festival in der Kategorie Regie 2017, drei Preise beim Golden Horse Award 2016 für den besten Film, das beste neue Talent und den Preis der internationalen Filmkritikervereinigung.
Bestechend an diesem Film war nicht bloß der Plot sondern die Darstellungsweise, die Kinematographie. Lü Songye hat die Atmosphäre hinter der Kamera eingefangen. Mit einem Schwarz-Weiß Filter erscheint der Drehort in der Inneren Mongolei wie ein Blick zurück in die 90er. Die Nähe des Zusammenlebens der ganzen Familie auf kleinem Raum wird sehr gut eingefangen, wie auch die Fahrradkultur samt Pflege, vor dem großen Boom der Share-Bikes auf Chinas Straßen.
Der Film lebt durch den verfremdenden Blick durch die Augen des kleinen Xiaolei. Vieles erscheint verwandt, wenn man an die Nach-Wendelandschaft und die Probleme der Privatisierung in Ostdeutschland denkt aber eine starke emotionale Verbindung wird in diesem Film nicht ermöglicht. Die Charaktere wirken faszinierend, gehen aber niemals wirklich „unter die Haut". Es erscheint eher interessant ihr Verhalten zu studieren und zu verstehen. Ähnlich argumentieren auch viele Nutzer auf den führenden chinesischen Filmportalen Maoyan und mtime. Ihnen fehlt die direkte emotionale Verbindung, auch wenn viele zu dieser Zeit identische Umstände durchlebt haben.
Dennoch ist dieser Film sehr zu empfehlen um einen Einblick in das chinesische Alltagsleben zu bekommen.
Text: Maik Rudolph Bilder: mtime.com