Romeo und Julia auf Chinesisch

2018-05-07 10:24:57

Ich habe mich nie mit der Frage beschäftigen müssen, ob es ein chinesisches Pendant zu Shakespeares Romeo und Julia gibt und, wenn ja, welches Stück das bessere ist. Bei meiner Reise durch die Provinz Jiangxi, südlich des Jangtse-Flusses, ändert sich das auf einen Schlag. Dort wird in der Heimatstadt des berühmten Bühnenautors Tang Xianzu (1550 bis 1616), in Fuzhou, sein bedeutendstes Werk „Der Päonien-Pavillon" aufgeführt, in einer Inszenierung eines der ganz großen Dramen-Regisseure von heute, Li Liuyi. Produzent ist die Entwicklungsgesellschaft Fuzhou Cultural Tourism Investment Development Co., Ltd, die Jiangxi für in- und ausländische Touristen attraktiv machen will.

Mit einer Zusammenfassung über die Liebesgeschichte hoffe ich der Aufführung folgen zu können. Die Zuschauerplätze sind in einer Gartenlandschaft auf der einen Seite eines großen Teiches angeordnet, so dass ich den Gedanken vertreiben muss, die Geschichte könnte von dressierten Koikarpfen erzählt werden.

Der Regen legt glücklicherweise für die Dauer des Stückes eine Pause ein und gönnt uns allen ein spektakuläres Erlebnis. Aus der Ferne erscheinen plötzlich Tänzer in weißen Gewändern, in blaues künstliches Licht getaucht, die immer näher kommen. Die Zuschauer etwas weiter vor mir sind als Schattenrisse zu sehen.

Inmitten der geisterhaften Erscheinungen taucht plötzlich eine moderne junge Frau in kurzen Jeanshosen und mit Rucksack auf. Sie ist nicht der einzige Tribut an die Moderne. Das Auftauchen könnte man im koikarpfenhaften Sinne verstehen, denn tatsächlich spielt sich zunächst alles in dem Teich ab. Das Wasser ist aber so flach, dass es von weitem so aussieht, als könnten die Darsteller hinüber tänzeln, wobei sie herrlich damit herumspritzen.

Zur Handlung könnte man etwas verkürzt sagen: Die Geschichte beginnt dort, wo bei Shakespeare Romeos und Julias auf so herzzerreißende Weise endet. Der unglaublich schönen Du Liniang gelingt es leider nicht, ihren Traumgeliebten Liu Mengmei im wirklichen Leben wiederzufinden und die überwältigende Sehnsucht versetzt ihrem zarten Herzen den Todesstoß. Doch wenn jemand so schön und so verliebt ist, gibt es vielleicht doch noch eine Heimkehr aus der Geisterwelt, oder?

Die Tänzer umkreisen das namensgebende, auf dem Wasser schwimmende Pavillon, ein Boot kommt auch zum Einsatz und es ist eine Freude der Plansch-Choreographie zuzusehen. Als ich gerade denke, das Stück sei vorbei, verlagert sich die Handlung vom Wasser aufs Land und die Zuschauer müssen von ihren Plätzen, um den vorwärts strebenden Schauspielern folgen zu können. Nun tauchen neue Gestalten auf mit dämonischen Masken. Es ist mehr Akrobatik zu sehen als im Teich, aber auch hier spritzt Wasser.

Regisseur Li Liuyi erzählt vor atemberaubenden Kulissen und mit Multimedia-Effekten bis hin zur Holographie sowie einem furiosen Finale auf Stegen und einem weiteren großen Pavillon auf einem zweiten Teich eine schöne, sehr alte Geschichte. Und zwar mit Happy End, so viel darf ich verraten, angesichts der Tatsache, dass das Stück seit mehr als 400 Jahren bekannt ist. Flammenwerfer und ein Feuerwerk spielen übrigens auch noch eine Rolle.

Tang Xianzu war ein Zeitgenosse Shakespeares, aber ihre Stücke lassen sich nicht vergleichen. Schon allein deshalb, weil es bei Tang 55 Szenen, 200 Arien und rund 160 verschiedene Charaktere gibt. Aber wer Romeo und Julia nicht mehr sterben sehen kann, sollte es wirklich mal mit dem Päonien-Pavillon versuchen.

Text und Fotos: Nils Bergemann

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