„Frieden ernährt, Unfrieden verzehrt“

2022-05-06 09:29:41

„Denn Frieden ernährt, aber Unfrieden verzehrt.“ Mit diesen Worten endet eine humorvolle und belehrende Geschichte des vor mehr als 200 Jahre lebenden deutschen Schriftstellers, Geistlichen, Lehrers und Abgeordneten Johann Peter Hebel. Es ging um zwei Gastwirte, die sich aufgrund ihrer Zwietracht wechselseitig schädigten. Eine Geschichte übrigens, die zu meiner Schulzeit regelmäßig in unseren Lesebüchern zu finden war.

Und Hebels überzeugende und so sehr plausible. Botschaft für das Zusammenleben von Menschen gilt ohne auch nur den geringsten Zweifel ebenso für das Zusammenleben von Völkern gerade auch in einer globalisierten Welt. Das können wir namentlich in diesen Tagen in aller Deutlichkeit erleben. Der im Zusammenhang mit dem Konflikt zwischen Russland und der Ukraine von interessierter Seite geschürte Hass und die mit ihm geöffneten Schleusen für eine Flut von Sanktionen gehen weit über den Rahmen der Konfliktparteien hinaus. In einer durch die Pandemie ohnedies labilen Weltwirtschaft kommt es zu weiteren Störungen von Lieferketten, zu einer inflationären Preisentwicklung. Gerade heute klagte mir gegenüber eine Verkäuferin in einem kleinen Bahnhofsladen: „Das ist alles nicht mehr schön und macht keinen Spaß mehr. Erst die Pandemie, dann jetzt der Ukrainekonflikt. Und wir müssen die Preise dafür bezahlen, was ‚die Politik‘ anrichtet.“ Ich habe der Dame nicht widersprochen, denn genau die eingangs zitierte Botschaft vom ernährenden Frieden und verzehrenden Unfrieden kam mir in den Sinn.

Aber ich dachte zugleich auch an die Botschaft, die Chinas Staatspräsident Xi Jinping immer wieder verkündet, nämlich die Botschaft von einer Menschheit mit geteilter Zukunft. Und eine solche kann es nur bei einem friedlichen und harmonischen „Miteinander“ der Völker und nicht bei einem Gegeneinander geben. Denn ein Miteinander ernährt, und ein Gegeneinander verzehrt. Zumal die Menschheit insgesamt vor großen Herausforderungen steht. Die Pandemie wütet weiter und bedarf einer gemeinschaftlichen entschlossenen Reaktion. Oder etwa die Herausforderungen des Klimawandels lassen sich nur durch ein gemeinsames Handeln aller Völker bewältigen. Denn Treibhausgase kennen keine Ländergrenzen, die Reduzierung der Kohlenstoffdioxid-Emissionen ist eine Aufgabe der Völkergemeinschaft insgesamt zur Sicherung der Zukunft unseres Planeten.

Vor diesem Hintergrund stimmt es betroffen, dass von Kräften in den USA eine unverhüllte Hegemonialpolitik betrieben wird, und zwar eine Politik mit dem Ziel, Gräben zwischen Völkern zu vertiefen und zugleich die eigene Rüstungsindustrie zu fördern. Im Hintergrund steht erkennbar der Wunsch, die eigene Stellung als ein Welt-Hegemon auszubauen und das Entscheidungszentrum für das gesamte Weltgeschehen zu bilden, die gesamte Weltwirtschaft nach den eigenen Regeln zu dominieren. Bereits vor etwa 40 Jahren bekam dies Japan zu spüren, als dessen Wirtschaft eine ungeahnt dynamische Entwicklung nahm, dies in den USA als eine ernsthafte Bedrohung der eigenen wirtschaftlichen Vorherrschaft empfunden wurde und ein massives „Japan-Bashing“ einsetzte, sogar Vergleiche mit dem Krieg angestellt wurden.

Heute erleben wir, dass das wirtschaftlich erfolgreiche China zunehmend Zielscheibe sinistrer Angriffe aus Washington wird. Das beginnt mit Vorwürfen hinsichtlich der wohlerwogenen Neutralität Chinas im Russland-Ukraine-Konflikt. Und die schon in der Vergangenheit vorgetragenen Vorwürfe in Sachen staatliches System und angebliche Menschenrechtsverletzungen werden massiv erneut aufgetischt. Unter dem Schlagwort „Wertegemeinschaft“ arbeitet man intensiv daran, die westlichen Länder für die Interessenpolitik der USA dienstbar zu machen und Gegensätze in Form eines neuen kaltes Krieges zu verschärfen. Und es stimmt mich fassungslos, wie sehr seit dem Ende der „Ära Merkel“ sich zunehmend Erfüllungsgehilfen für die nationalen Ziele der USA finden. Was die vorgenannten „Argumente“ betrifft, verweise ich nur auf die Worte zweier weiser deutscher Politiker, auf die ich immer stolz war. So erklärte Egon Bahr, der großartige Architekt der Entspannungspolitik von Willy Brandt, Ende 2013 vor Schülern: „In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt." Und Klaus von Dohnanyi, früherer deutscher Wissenschaftsminister, Staatsminister im Auswärtigen Amt und Hamburger Bürgermeister, brachte es in seinem jüngsten Buch „Nationale Interessen“ ebenfalls auf den Punkt, von dem früheren Chefredakteur und Herausgeber der Wochenzeitung „Die Zeit“ treffend erläutert: „Aus rein innenpolitischen Gründen wolle Washington die Spannung mit Russland aufrechterhalten und versuche ferner, Europa als Teil einer westlichen Wertegemeinschaft in seinen Weltmachtkonflikt mit dem erstarkenden China hineinzuziehen. Beides könne weder europäisches noch deutsches Interesse sein. Den Begriff Wertegemeinschaft setzt Dohnanyi in Anführungszeichen, er ist ihm zu schwammig, weil er harte gegensätzliche Interessen übertüncht.“


Dr. Michael Borchmann

Ministerialdirigent a.D. (Land Hessen), früherer Abteilungsleiter (Director General) Internationale Angelegenheiten

Mitglied des Justizprüfungsamtes Hessen a.D.

Senior Adviser der CIIPA des Handelsministeriums der VR China


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