Kürzlich wurden 10.000 Bananen neben dem bronzenen Bullen der Wall Street, einem berühmten Wahrzeichen in New York, platziert. Und genau gegenüber wurde eine neue Gorillaskulptur aufgestellt. Die Organisatoren dieser Aktion sagen, es sei ein Protest gegen die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich und den rücksichtslosen Kapitalismus in den Vereinigten Staaten. Der Gorilla stehe für die kämpfende Unterschicht in den USA, während die 10.000 Bananen darauf hin deuten, dass die Wall Street „verrückt“ geworden ist (das Wort „Banane“ kann im Englischen auch „crazy“ bedeuten).
Zwei aktuelle Zahlen der Federal Reserve zeigen, dass die reichsten 10 Prozent der US-Bevölkerung 89 Prozent der Aktien und Fonds des Landes besitzen. Hinzu kommt, dass die „Superreichen“ unter den obersten 1 Prozent der US-Einkommensbezieher bereits mehr Vermögen besitzen als die gesamte Mittelschicht zusammen. Gleichzeitig zeigen jüngste Umfragen der Harvard Universität und anderer Institutionen, wie die amerikanische Unterschicht überlebt: 40 Prozent der Haushalte befinden sich in ernsthaften finanziellen Schwierigkeiten, und etwa jeder fünfte Haushalt hat alle seine Ersparnisse aufgebraucht.
Warum ignoriert die einzige Supermacht der Welt die Stimmen der Unterprivilegierten und lässt zu, dass die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer wird? Dies ist zum Teil durch die tief verwurzelten Widersprüche des Kapitalismus bedingt. Dem französischen Ökonomen Thomas Piketty zufolge ist die Kapitalrendite viel höher als die Wachstumsrate der Produktivität, so dass die Polarisierung der kapitalistischen Gesellschaften zwangsläufig zunehmen wird. Aber das sind noch nicht alle Gründe. Wie der Bericht des UN-Menschenrechtsrates feststellt, ist das Fortbestehen der extremen Armut in reichen Gesellschaften wie den USA das Ergebnis politischer Entscheidungen der Machthaber. Wenn der politische Wille vorhanden wäre, könnten die USA die extreme Armut beseitigen.
Den USA mangelt es offensichtlich an diesem Willen. Da die amerikanische Politik im Wesentlichen eine Geldpolitik ist, ist die kleine Gruppe von Eliten, die die wirtschaftliche und politische Macht ausübt, seit langem ein Sklave des Kapitals. Wenn sie mit dem Problem der Kluft zwischen Arm und Reich konfrontiert werden, ist ihr erster Gedanke, ihre eigenen Schäfchen ins Trockene zu bringen.
Vor zehn Jahren riefen die Demonstranten von Occupy Wall Street den Slogan „Die 99 Prozent und die 1 Prozent“, um die Ungerechtigkeit der amerikanischen Gesellschaft anzuprangern. Zehn Jahre später haben sich die Regeln der amerikanischen Gesellschaft nicht geändert und die Kluft zwischen Arm und Reich hat sich noch vergrößert.
Vor zehn Jahren war die Wall Street von den lauten Rufen der Demonstranten erfüllt. Zehn Jahre später ist sie von der schweigenden Anklage der 10.000 Bananen erfüllt. Wenn die Gleichgültigkeit der amerikanischen Politiker so weitergeht wie bisher, ist zu befürchten, dass den Vereinigten Staaten eine echte Krise bevorsteht.