Es gibt die bekannte Redewendung: „Wo ein Wille ist, da ist ein Weg.“ Also: Wenn man etwas wirklich will, kann man es auch verwirklichen. Sie gibt es auch in anderen Sprachen. So kennt man im Englischen „where there is a will, there is a way” oder im Französischen „vouloir c'est pouvoir“. Und man sagte mir, dass auch die chinesische Sprache eine Entsprechung habe: „Yǒuzhì zhě, shì jìng chéng“. Die echte Realitätsbezogenheit dieser Redewendung konnten wir gerade Ende 2020 mit dem Abschluss des lange erörterten Investitionsabkommens zwischen der Europäischen Union und der Volksrepublik China erleben.
Über dieses Abkommen war lange verhandelt worden. In 35 Verhandlungsrunden seit 2013 hatten beide Seiten intensiv über Marktzugangsbedingungen, bilaterale Wettbewerbsregelungen und gemeinsame nachhaltige Entwicklung gesprochen. „Das Investitionsabkommen nützt China, der EU und überhaupt der Weltwirtschaft“, kommentierte eine Sprecherin des chinesischen Handelsministeriums nunmehr den Abschluss. An der diesem zugrunde liegenden Videokonferenz am 30.12.2020 hatten von Seiten der EU der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, und die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen teilgenommen. China war durch Präsident Xi Jinping vertreten. Zusätzlich hatten Bundeskanzlerin Angela Merkel im Rahmen des Deutschen Ratsvorsitzes sowie der französische Präsident Emmanuel Macron teilgenommen. EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen bezeichnete die Einigung als einen wichtigen Meilenstein in den Beziehungen zu China. Sie eröffne europäischen Investoren einen beispiellosen Zugang zum chinesischen Markt, sodass Unternehmen wachsen und Arbeitsplätze schaffen könnten. Und im Nachrichtendienst Twitter ergänzte die Kommissionspräsidentin: „Die Welt nach der Pandemie braucht eine starke Beziehung zwischen der EU und China“. Gewürdigt wurde auf der Homepage der EU-Kommission aber auch besonders die Rolle von Bundeskanzlerin Merkel: Die Teilnehmer hätten in einem nachdrücklich die Rolle der Deutschen Ratspräsidentschaft und im Besonderen von Kanzlerin Merkel gewürdigt, die in besonderem Maße die EU-China-Beziehungen im Auge gehabt und mit vollem Herzen die Verhandlungen unterstützt habe.
Auf der Website der Deutschen Bundeskanzlerin selbst war zu lesen: „Die politische Grundsatzeinigung ist ein wichtiger Erfolg der Deutschen Ratspräsidentschaft, die die Beziehungen zwischen EU und China hohe Priorität beigemessen hat.“
Obwohl China nicht wohlgesonnene Kreise zuweilen recht unverhohlen die Hoffnung geäußert hatten, dass sich die Verhandlungen über den Abschluss weiter hinauszögerten, gab es doch wichtige Signale vorab, dass beide Seiten vom festen Willen getragen waren, das Abkommen bis Ende 2020 unter Dach und Fach zu bringen – der feste Wille war da, den Weg zu finden. Dies gilt sowohl für Vertreter der chinesischen Regierung als auch der europäischen Seite. So hatte etwa die deutsche Bundeskanzlerin unmittelbar nach dem virtuellen Gipfel zwischen Staatspräsident Xi Jinping und den politischen Spitzen der EU am 14.9.2020 zum Investitionsabkommen bemerkt: Das Vorhaben habe durch das Treffen nun einen weiteren „politischen Impuls“ bekommen: „Es kann klappen.“
Das Abkommen wird in der Tat dazu führen, die Wirtschaft beider Seiten noch enger und vertrauensvoller zusammenzubringen. Seine Bedeutung kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Auf EU-Seite ist es das erste reine Investitionsabkommen auf europäischer Ebene, seit durch den Vertrag von Lissabon 2007 die Kompetenz für Investitionen von den Mitgliedstaaten auf die EU übertragen wurde. Es soll die 27 bilateralen Investitionsschutzverträge der EU-Mitgliedstaaten mit China ablösen und dadurch ein vereinheitlichtes europäisches Investitionsschutzregime entstehen lassen. Das Abkommen umfasst neben einem starken Investitionsschutz überdies einen verbesserten Marktzugang für Investoren. Erfasst sind im Einzelnen die Bereiche Investitionsschutz (verbesserte Rechtssicherheit), Verbesserter Marktzugang für Investoren (Abbau von Marktzugangsbarrieren), Gleiche Wettbewerbsbedingungen, Beschaffungswesen sowie Geistiges Eigentum.
Zu Recht war daher aus sachkundigem Munde viel Lob für die Vereinbarung zu hören. EU-Kommissionsvizepräsident und Handelskommissar Valdis Dombrovskis ist sich der wirtschaftlichen Vorteile sicher: „Das Übereinkommen wird europäischen Unternehmen massiven Auftrieb in einem der größten und am schnellsten wachsenden Märkte der Welt geben“. Und der deutsche Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) lobte die Einigung: „Das Investitionsabkommen zwischen der EU und China ist ein handelspolitischer Meilenstein.“ Viel Lob gab es etwa auch durch den Verband der Deutschen Automobilindustrie: Der (VDA) begrüße diese Einigung. Das Investitionsabkommen zwischen der Volksrepublik und der EU solle zu mehr Planungssicherheit und einfacherem Marktzugang für europäische Unternehmen in China beitragen. Das Investitionsabkommen bedeute eine Stärkung für den Standort Deutschland, den internationalen Handel und den Wettbewerb. Und der Verband erinnerte zugleich daran: Das erst kürzlich verabschiedete Abkommen RCEP (Regional Comprehensive Economic Partnership) habe Europa wieder gezeigt, wie wichtig Handels- und Investitionsabkommen seien. RCEP schaffe die größte Freihandelszone der Welt und verbinde China mit den ASEAN-Mitgliedsstaaten Japan, Südkorea, Neuseeland und Australien.
Aber natürlich gab es auch – wie zu erwarten – Kritik aus Kreisen, von denen Hetze und Missgunst regelmäßig zu erwarten sind, sobald der Name China fällt.
Das beginnt mit der US-Administration, auch unter dem künftigen Präsidenten Biden. Aus dessen Umfeld war ernsthaft die Erwartung zu hören, die EU hätte mit dem Abschluss des Abkommens zuwarten und dies vorab mit den USA abstimmen sollen. Die „Global Times“ hat dies am 2.1.2021 in einem ausführlichen Kommentar aufgegriffen und daran erinnert, dass dieses Ansinnen zeitlich zusammenfiel mit dem In-Kraft-Setzen neuer US-Strafzölle gegenüber der EU! Pardon, aber dies alles erinnert mich an den kritischen Essay des früheren US-Senators J. William Fulbright: „Die Arroganz der Macht“. Fulbright plädierte seinerzeit für internationales Recht und Multilateralismus – und warnte vor den Folgen der US-Kriegstreiberei für die amerikanische Wirtschaft und Gesellschaft. Unterstützt wurde dieses, von der EU-Kommission zu Recht zurückgewiesene Ansinnen übrigens durch den deutschen Europaabgeordneten Bütikofer, der leider auch von zahlreichen deutschen Medien als Kronzeuge zu chinafeindlichen Äußerungen herangezogen wird, nach dem Prinzips des Pawlow'schen Reflexes: Sobald das Wort „China“ fällt, gibt es Kritik, so auch dieses Mal zum aktuellen Europaabkommen.
Unter den Medien fällt die doch reichlich infame Kritik des Brüsseler Medienportals „Politico“ auf, das buchstäblich eine Art Verschwörungsgeschichte konstruiert hat, auf welche Weise Bundeskanzlerin Merkel mit einigen engen Verbündeten die EU in den Abschluss des Abkommens hineingetrieben habe. Man muss wissen: Politico ist der Ableger eines US-Medienportals und berichtet mit Vorliebe negativ über Russland, den Iran und eben auch China. Und: An dem Brüsseler Ableger beteiligt ist der deutsche Springerverlag, inzwischen mehrheitlich in den Händen von US-Finanzinvestoren. Es ist nicht verwunderlich, dass gerade das Springer-Blatt „Die Welt“ den Abschluss des Abkommens zum Anlass einer unappetitlichen Hetze gegen die Bundeskanzlerin nahm und formulierte: „Das Abkommen zwischen der EU und China bedeutet eine politische Aufwertung Pekings zur Unzeit. Das Band zwischen Washington und Brüssel ist ohne Not beschädigt worden. Verantwortlich dafür ist insbesondere die Bundeskanzlerin.“
Viele meiner deutschen Freunde, die China gewogen sind, ärgern sich regelmäßig über solche Angriffe in der deutschen Medienlandschaft. Und ich kann auch nicht immer gelassen bleiben. Aber dann komme ich doch auf eine von mir geschätzte Redewendung zurück, die der frühere deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl wiederholt mit Blick auf hetzende Journalisten gebrauchte: „Die Hunde bellen, die Karawane zieht weiter.“ Die Redensart hat ihren Ursprung im orientalischen Raum. Hier haben Hunde einen schlechten Ruf und gelten als unrein, Kamele andererseits werden als weise Tiere angesehen. Lassen wir uns also in unserer Freude und Genugtuung über den Abschluss einer weisen Vereinbarung nicht durch ein unreines Gebelle stören.
Dr. Michael Borchmann
Ministerialdirigent a.D. (Land Hessen), früherer Abteilungsleiter (Director General) Internationale Angelegenheiten
Mitglied des Justizprüfungsamtes Hessen a.D.
Senior Adviser der CIIPA des Handelsministeriums der VR China