G20-Gipfel 2020: Die Zukunft der Völkergemeinschaft, aber auch die aktuellen Herausforderungen im Blickfeld

2020-11-24 09:32:00

Es gehört zu den Traditionen der G20-Gipfeltagungen, ein sogenanntes „Familienfoto“ der teilnehmenden Staats- und Regierungschefs anzufertigen. Und auf dem – digital gestalteten - Foto 2020 sind Staatspräsident Xi Jinping und Bundeskanzlerin Angela Merkel „Seit‘ an Seit“ nebeneinander zu sehen. Dass diese bildliche Symbolik einen fundierten Hintergrund hatte – und zwar jenseits der zahlreichen und wohl besonders geschätzten Besuche der Bundeskanzlerin in China – dokumentierte sofort der Gipfelauftakt, den – naheliegend - die Bedrohungen durch die Pandemie bildeten. Diesen „Gleichklang“ formulierte die deutsche Wochenzeitung „Die Zeit“ in der Überschrift: „Angela Merkel und Xi Jinping werben für mehr Kooperation bei Impfstoff.“ Und die Bundeskanzlerin forderte mehr finanzielle Mittel für die Weltgesundheitsorganisation WHO: „Um die Pandemie einzudämmen, muss der Zugang zur Impfung für jedes Land möglich und bezahlbar sein“. Chinas Präsident Xi Jinping seinerseits stellte eine stärkere Kooperation bei der Forschung, Entwicklung, Produktion und Verteilung von Corona-Impfstoffen in Aussicht: China wolle Entwicklungsländer unterstützen, indem Impfstoffe als „öffentliches Gut“ zugänglich und erschwinglich würden, sagte er in seiner Rede. Auch müsse die G20 die WHO unterstützen, Mittel für eine gerechte Verteilung der Impfstoffe bereitzustellen. Gegenwärtig die wichtigsten Aufgaben seien, das weltweite Gesundheitssystem zu stärken und die Pandemie und andere ansteckende Krankheiten zu verhindern und zu kontrollieren. Und „Die Zeit“ berichtete in diesem Zusammenhang auch über die Resonanz der internationalen Impfstoffplattform COVAX, deren Ziel die faire Verteilung von Impfstoffen weltweit und nicht zuletzt an die Entwicklungsländer ist: „Bislang sind etwa 170 Länder dabei, darunter auch China, nicht aber die USA.“ Und einem bekannten deutschen Nachrichtenmagazin war zu entnehmen, dass Berliner Regierungskreise unterstrichen hatten, gerade die Volksrepublik China habe sich in die Vorberatungen besonders konstruktiv eingebracht.

Der Schatten der Pandemie lag nicht nur inhaltlich über den Beratungen von Riad, sondern auch ganz praktisch. Am 28. September dieses Jahres hatten die Medien bereits gemeldet: Wegen Corona könne Saudi-Arabien den G20-Gipfel im November nicht wie geplant in Riad ausrichten. Stattdessen solle per Video über Maßnahmen für die erschütterte Weltwirtschaft beraten werden. Schon als die aktuelle saudi-arabische Präsidentschaft das übergreifende Thema des Gipfels „Die Chancen des 21. Jahrhunderts für alle verwirklichen“ verkündete, fühlte ich mich spontan an die Botschaft erinnert, die Chinas Staats- und Parteichef zu einem wesentlichen Baustein seines Programmes gemacht hat, nämlich die „miteinander geteilte Zukunft“ der Menschheit, die Allegorie des gemeinsamen Bootes, in dem sich die Menschheit bewegt – nichts anderes ist es, die Chancen für „alle“ zu verwirklichen. Und erneut auch auf dem Gipfel selbst forderte Xi die G20-Mitgliedstaaten auf, sich gemeinsam dafür einzusetzen, ein besseres und glücklicheres Leben zu schaffen und den Aufbau einer Gemeinschaft mit geteilter Zukunft für die Menschheit zu fördern.

Aber jenseits dieser übergeordneten Zielsetzungen hatte natürlich gerade dieser Gipfel besondere Schatten vorausgeworfen, nämlich neben den bereits eingangs angesprochenen großen Gefahren der Pandemie für die weltweite Gesundheit auch deren Folgen für die weltweite Wirtschaft. Sehr treffend auf den Punkt gebracht wurde die zentrale Aufgabenstellung des Gipfels in dessen Bezeichnung im offiziellen Terminprogramm der deutschen Bundeskanzlerin: „Virtueller G20-Gipfel zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie, zur weltwirtschaftlichen Lage inklusive der globalen Handelsbeziehungen und zum multilateralen Handelssystem.“ Aus der diesjährigen – auch digitalen - Tagung der „Global Solutions Initiative“, eines weltweiten Zusammenschlusses von Thinktanks, die sich als Berater-Netzwerk für die G20-Staaten verstehen, seien ergänzend zwei Stimmen zitiert, die die aktuelle Gefährdungslage ebenfalls überdeutlich machen. So betonte UN-Generalsekretär Antonio Guterres in seinem Grußwort: „Multilateralismus und koordiniertes internationales Handeln sind heute von größerer Bedeutung als je zuvor“. Und der deutsche Bundeswirtschaftsminister machte sehr deutlich, dass angesichts nationaler Alleingänge im Kampf gegen die Pandemie und vielerorts stockender Lieferketten in Politik und Unternehmen die Sorgen vor einem „riesigen Rückschlag“ wachsen würden. Die Globalisierung, so die Befürchtung, könne zurückgedreht werden, die Zeit des offenen Welthandels bald vorbei sein. Überstaatliche Vereinigungen wie die Europäische Union, die G20-Gruppe oder die Vereinten Nationen könnten an Einfluss verlieren.

Wie bedrohlich dies alles für die Staaten der Welt ist, dokumentierte aber auch, dass der Vorsitz am 26. März 2020 eigens zu einem elektronischen Vorgipfel eingeladen hatte, in dem die Staats- und Regierungschefs ihre Entschlossenheit bekundeten, weder einzeln noch gemeinsam Mühen zu scheuen, um Leben zu schützen, Arbeitsplätze und Einkommen der Menschen zu sichern, Vertrauen wiederherzustellen, Finanzstabilität zu erhalten, Wachstum wiederzubeleben und stärker aus der Erholung von der Krise hervorzugehen, Störungen des Handels und globaler Lieferketten zu minimieren, allen Ländern Hilfe zu leisten, die sie benötigen und sich in Bezug auf die öffentliche Gesundheit und finanzielle Maßnahmen abzustimmen. „Wir bekennen uns nachdrücklich dazu, dieser gemeinsamen Bedrohung geeint entgegenzutreten“, hieß es in ihrer Abschlusserklärung. Man werde gemeinsam mit der Weltgesundheitsorganisation WHO, dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und anderen internationalen Organisationen „alle erforderlichen Schritte unternehmen, um diese Pandemie zu überwinden“.

Und auch auf dem Gipfel nunmehr unter der Präsidentschaft Saudi Arabiens standen die Auswirkungen der Pandemie ganz zu Beginn der Beratungen. Die G20 brachte ihre Entschlossenheit zum Ausdruck, weiterhin alle verfügbaren politischen Instrumente einzusetzen, um das Leben, die Jobs und die Einkommen der Menschen zu schützen. Ziel sei es, „den globalen wirtschaftlichen Aufschwung zu unterstützen und die Widerstandsfähigkeit des Finanzsystems zu stärken und gleichzeitig Abwärtsrisiken zu vermeiden.“ Die G20 unterstützte dabei „voll“ die Bemühungen für eine gerechte Verteilung der Impfstoffe durch die eingerichteten Plattformen. Man sei entschlossen, die verbleibenden finanziellen Anforderungen anzupacken. Und – unter dem Aspekt einer weltweit abgestimmten Governance besonders hervorzuheben: Die G20 stellt sich voll hinter die Bemühungen der Vereinten Nationen, gegen das Virus zu kämpfen. Dabei wird besonders die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hervorgehoben, aus der sich der US-Präsident zurückgezogen hatte.

Im Zusammenhang mit der Erholung der pandemiebedingt leidenden Weltwirtschaft sind auch besondere Maßnahmen für mehr als 70 besonders wirtschaftsschwache Länder zu sehen: Diesen Ländern wurden weitere Schuldenerleichterungen in Aussicht gestellt. Im kommenden Jahr werde überprüft, ob die wirtschaftliche und finanzielle Lage eine Verlängerung der bislang bis Juni 2021 vereinbarten Stundung der Rückzahlung um sechs Monate erfordere.

Zu dem weiteren besonders herausragenden Thema Klimaschutz hatte gerade Chinas Staatspräsident Xi Jinping in seinem Statement dessen herausragende Bedeutung deutlich gemacht, zum „Schutz unseres blauen Planeten“ aufgerufen und für eine konsequente Umsetzung der Klima-Rahmenkonvention der Vereinten Nationen und des Pariser Klimaschutzabkommens plädiert. Er erinnerte an die chinesischen Ziele der CO2-Reduzierung bis 2030 und der Cos-Neutralität bis 2060, ferner auch daran, dass China inzwischen über das weltweit größte System an „sauberer Energie“ verfügt. Zugleich sprach er bereits eine herzliche Einladung für die pandemiebedingt auf 2021 verschobene Weltnaturschutzkonferenz in Kunming aus. Die G20 konnte sich in ihrer Schlusserklärung lediglich auf einen allgemeinen Appell verständigen: Unbeschadet der ablehnenden Haltung von jenseits des Atlantiks gegenüber den Bemühungen im Kampf gegen die Erderwärmung zählt die gemeinsame Bekämpfung des Klimawandels „zu den drängendsten Herausforderungen unserer Zeit“. Der weitere Wortlaut wurde dann ohne die USA mit „19 gegen 1“ beschlossen: Die Unterzeichner des Pariser Klimaabkommens, das die USA verlassen hatten, bekräftigen gesondert ihre Unterstützung für dessen Umsetzung. Sie erinnerten zugleich an die Zusage für den „grünen Klimafonds“ zur Anpassung der Entwicklungsländer an die Klimafolgen.

Ein abschließendes Wort zu dem dritten besonders herausragenden Komplex, dem Bereich Handel und Investitionen. Und hier darf zum Wohle der Völkergemeinschaft kein Weg an Multilateralismus und Globalisierung vorbeiführen. Dies gehört auch zu den zentralen Anliegen der deutschen Politik. Unmittelbar vor dem Gipfel unterstrich die Nachrichtenagentur Reuters: „Man setze sich in den Verhandlungen mit den Staats- und Regierungschefs der 20 Industrie- und Schwellenländer dafür ein, dass in der Gipfelerklärung etwa das Prinzip des freien Handels und die Stärkung der Weltgesundheitsorganisation WHO betont werden, sagte ein Regierungsvertreter am Freitag in Berlin.“ Das sind Positionen, die deckungsgleich mit dem seit Jahr und Tag vorgetragenen Bekenntnis von Xi Jinping sind, auch jetzt wieder in seinem Gipfelstatement wiederholt: Die internationale Gemeinschaft müsse das multilaterale Handelssystem wahren, die Reform der Welthandelsorganisation (WTO) unterstützen, den Freihandel fördern, gegen Unilateralismus und Protektionismus vorgehen und die Entwicklungsrechte und -raum der Entwicklungsländer garantieren. Auch die G20 sprach sich erneut – anders als im vergangenen Jahr beim Gipfel in Osaka - ausdrücklich für das „multilaterale Handelssystem“ aus: „Wir streben an, das Ziel eines freien, fairen, gerechten, nicht diskriminierenden, transparenten, vorhersehbaren und stabilen Umfelds für Handel und Investitionen zu realisieren und die Märkte offen zu halten.“ Gefehlt hat allerdings auch diesmal ein Bekenntnis gegen „Protektionismus“ wie zuletzt 2017 in Hamburg unter deutscher Präsidentschaft. Aus welcher „Ecke der Welt“ der Widerstand hiergegen zu vermuten ist, braucht wohl keiner näheren Erläuterung.

Dr. Michael Borchmann

Ministerialdirigent a.D. (Land Hessen), früherer Abteilungsleiter (Director General) Internationale Angelegenheiten

Mitglied des Justizprüfungsamtes Hessen a.D.

Senior Adviser der CIIPA des Handelsministeriums der VR China

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