Wirtschaftsexpertin Dr. Stefanie Schmitt: „China ist die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, von der koppelt man sich nicht ab.“

2020-08-27 10:20:55

Wirtschaftsexpertin Dr. Stefanie Schmitt sprach über die Wirtschaftsziehungen zwischen China und Deutschland

Wie ist derzeit das Investitionsklima für deutsche Unternehmen in China und chinesische Firmen in Deutschland? Was kann man voneinander lernen? Dr. Stefanie Schmitt ist hierfür die richtige Ansprechpartnerin. Sie vertritt Germany Trade & Invest (GTAI), die Wirtschaftsförderungsgesellschaft der Bundesrepublik Deutschland, in Beijing. Mit über 50 Standorten weltweit und einem starken Partnernetzwerk unterstützt GTAI deutsche Unternehmen bei ihrem Weg ins Ausland, wirbt für den Standort Deutschland und begleitet ausländische Firmen bei der Ansiedlung in Deutschland.

Deutsche Produkte genießen in China einen guten Ruf, zum Beispiel Autos oder Bier. Im Supermarkt gibt es jedoch wesentlich mehr Produkte aus anderen Ländern. Können deutsche Firmen mehr Marktanteile erringen?

Dr. Stefanie Schmitt lacht: „Deutschland ist eigentlich keine klassische Exportnation für Lebensmittel, sondern für Autos und Maschinen. Sie können eine CNC-Maschine so schön designen, wie sie wollen, deshalb kommt sie trotzdem nicht in die Auslage. Aber, wenn man auf die Straße schaut, sieht man doch eine ganze Reihe deutscher Erzeugnisse fahren.“

„Grundsätzlich finde ich, dass das Potential von Made in Germany nicht wirklich ausgeschöpft wird, auch im Lebensmittelbereich. Aber andererseits muss man natürlich auch sagen: Wir würden gerne Würstchen nach China verkaufen und dürfen das gar nicht, weil es kein bilaterales Veterinärabkommen dazu gibt.“ Die Verhandlungen liefen seit Jahren, würden aber kaum vorankommen. Auch Hühner- und Rindfleisch dürften derzeit noch nicht nach China verkauft werden. „Bei Schweinefleisch haben wir ein Abkommen. Es darf im Prinzip nach China exportiert werden, sofern die Firmen registriert sind. Im Moment gibt es eine Sperre wegen Corona.“ Im Supermarkt sei das Fleisch aber nicht als deutsch gekennzeichnet, sodass es nicht so auffalle. „Was auffällt, sind deutsche Milchprodukte, und deutsches Bier, wobei dieses gerade an Importanteilen verliert gegenüber Belgien und Mexiko.“ Mit besserem Marketing sei aber sicherlich mehr möglich.

Über die derzeitige Investitionsbereitschaft sagt die Expertin: „Im Moment wird eher abgewartet mit Investitionen nach China. Das ist aber kein Trend, der neu oder pandemieabhängig ist, sondern das gab es auch letztes Jahr schon.“ Das habe in erster Linie damit zu tun, dass sich auch das Wirtschaftswachstum in China abgeschwächt hatte. Derzeit laufe auch das Geschäft bei den wenigsten deutschen Firmen gut und man wisse nicht, wie sich die Pandemie weiterentwickle. „Aber was den Handel angeht, wird eine große Hoffnung auf China gesetzt, weil es eines der wenigen Länder sein wird, die mit positivem Wachstum aus der Krise kommen dieses Jahr. Ich habe eine Prognose gelesen, dass man davon ausgeht, dass China 2020 für Deutschland die wichtigste Exportnation werden wird.“

Grundsätzlich würde keine deutsche Firma China wegen der Pandemie verlassen: „Also das Commitment zum chinesischen Markt ist da. Man wird sich vielleicht überlegen, dass man gewisse Lieferketten überdenkt, sich unabhängiger macht, sowohl in China als auch in Deutschland, aber das wird nicht zu einem Rückzug deutscher Firmen aus China führen.“

Zu den Forderungen einiger Politiker, sich von China abzukoppeln, hat Dr. Schmitt eine klare Meinung: „Ich halte das für komplett unrealistisch. China ist die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, von der koppelt man sich nicht ab. Es wird aber schon, was ich bereits gesagt habe, ein gewisses Überdenken von Lieferketten geben.“ In Europa gäbe es heute eine große Abhängigkeit von China und auch von Indien im Bereich aktiver pharmazeutischer Wirkstoffe. Die Abhängigkeit von China in diesem Bereich habe sich gerade vor einem Jahr gezeigt, als ein Wirkstoff für ein gängiges Kreislaufmedikament wegen Verunreinigungen während des Herstellungsprozesses nicht mehr geliefert werden konnte und man auf die Schnelle keinen Ersatz gefunden habe. „Und dieses Jahr hatte man das Problem mit Schutzkleidung, mit Masken und ähnlichem.“ In der EU werde man sich daher schon überlegen, ob man nicht gewisse strategisch wichtige Produkte selbst herstelle.

Auf die Frage, was Interessenten aus Deutschland gerade jetzt von ihr über die Lage in China wissen wollen, antwortet die Expertin, die seit 2013 in Beijing arbeitet und davor für GTAI in Vietnam und Shanghai tätig war: „Wann kann ich wieder auf eine Messe in China? Wann kann ich hier wieder einreisen? Wann kann ich hierher wiederkommen, um zu arbeiten? Das wollen die Leute wissen und das liegt ihnen am Herzen.“ Es sei als ungerecht angesehen worden, dass Chinesen, wenn sie eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland haben, problemlos nach Deutschland einreisen konnten, aber das im umgekehrten Fall für Ausländer, nicht möglich gewesen sei, wenn „diese zufällig vor dem 28. März nicht im Land gewesen waren“.

Zur Attraktivität Deutschlands für chinesische Investoren sagte Dr. Schmitt: „Wir sind ein offenes Land, wir haben eine gut ausgebildete Gesellschaft. Wir sind ein guter Eintrittsfaktor in die EU. Wir haben Rechtssicherheit und wir stehen ausländischen Investitionen, speziell auch Investitionen auf der grünen Wiese, sehr positiv gegenüber.“

Beide Seiten könnten voneinander lernen. „Ich denke, man kann von China lernen, wie diszipliniert man Maske tragen kann, ohne großes Theater zu machen.“ Den Schulunterricht während der Pandemie habe China auch „besser gemanagt“. Ihre Tochter sei dieses Jahr nur eine Woche normal unterrichtet worden und die restliche Zeit online. „Die Schule hat das super gemacht.“ In Deutschland sei man schlechter aufgestellt gewesen. „Ich denke, da muss Deutschland viel mehr tun – bei der Digitalisierung von Schulen und auch bei der Bereitwilligkeit, sich auf so eine Situation auch einzustellen.“

In Deutschland sei man mit vergleichsweise leichteren Epidemie-Bekämpfungsmaßnahmen auch zu einem akzeptablen Ziel gekommen. Davon könne China lernen. In China habe sie den Eindruck, dass die importierten Infektionsfälle zu sehr betont würden, was auch zu einer Angst vor Ausländern geführt habe. „Ich würde mich wirklich darüber freuen, wenn dann von offizieller Seite da mal gegengesteuert würde. So wie das bei uns in Deutschland der Fall ist. Hier kann China schon von Deutschland auch lernen.“

Text: Nils Bergemann

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