Mit Hilfe zur Selbsthilfe aus der Armut

2020-06-03 15:07:49



Armut kann hungrig, hilflos und krank machen. Armut macht Angst. Armut kann Bildungschancen verringern. Armut kann die frühkindliche Entwicklung und damit die Intelligenz dauerhaft beeinträchtigen. Arme Menschen sterben meist früher. Armut kann vererbt werden.

Es geht hier nicht um den glücklichen Fischer eines fernen Inselparadieses, der kaum Geld hat, aber doch alles, was er braucht. Es geht um die Dosenpfand sammelnden Alten und die Obdachlosen im Park, das allgegenwärtige Elend, das normal erscheint, aber eine schlimme gesellschaftliche Schieflage kennzeichnet. Armut kann sich kein entwickeltes Land leisten. Armut schadet allen.

China war sehr lange ein sehr armes Land. Vom Pro-Kopf-Einkommen her ist es heute noch ein Entwicklungsland. Aber China ist in der Armutsbekämpfung Weltmeister: In den vergangenen mehr als 40 Jahren seiner Reform- und Öffnungspolitik wurden über 700 Millionen Chinesen aus der Armut befreit. China leistete in diesem Zeitraum mehr als 70 Prozent der erfolgreichen Armutsbekämpfung weltweit. Und die Volksrepublik will trotz der Covid-19-Pandemie das Null-Armut-Ziel der Vereinten Nationen bereits 2022 erreichen, acht Jahre früher als in der im Jahr 2015 verabschiedeten „Agenda 2030“ geplant.

Chinas Erfolge sind dem beispiellosen Kraftakt eines ganzen Volkes und dem Fokus auf Hilfe zur Selbsthilfe zu verdanken. Für die chinesische Regierung ist die Armutsbekämpfung ein Muss. In Chinas Verfassung sind die Rechte der Menschen auf Lebensunterhalt und Entwicklung verankert.

Aufgrund ungünstiger klimatischer Bedingungen, knapper Anbauflächen für Getreide und einer stetig wachsenden Bevölkerung glich der Kampf gegen Hunger und Armut in China lange einer Sisyphusaufgabe, an der große Kaiser scheiterten. China galt noch bis ins 20. Jahrhundert hinein als Land der Hungersnöte.

Mit der Gründung der Volksrepublik im Jahr 1949 wurde der Kampf gegen Hunger und Armut in China verstärkt und dann durch die Wirtschaftsreformen von 1978 noch schlagkräftiger. Er hatte nun Priorität. Zwischen 1981 und 1987 sank der Anteil der unter dem Existenzminimum lebenden Chinesen von 53 Prozent auf ein Drittel, bis 2001 auf acht Prozent.

Auf dem Weg zu einer Gesellschaft mit bescheidenem Wohlstand war das große Einkommensgefälle zwischen der Land- und Stadtbevölkerung ein Hindernis. Der wirtschaftliche Aufschwung erreichte lange die Menschen in ländlichen Gebieten kaum.

Die Steuerreform und die Abschaffung der Agrarsteuer in den Jahren 2000 und 2006 brachten den Bauern mehr Rechtssicherheit und Geld. Subventionen der Regierung an die Bauern und Gemeinden verbesserten das Leben auf dem Land weiter. Es wurde zudem Wanderarbeitern erleichtert, in Städten zu arbeiten und sich dort niederzulassen.

An der Armutsbekämpfung sind neben lokalen Regierungebeamten auch hilfsbereite Bürger beteiligt. Die Projekte zielen auf Hilfe zur Selbsthilfe vor Ort ab, sofern das geht. Schwerpunkte bleiben ländliche Gebiete. Es wird zunächst analysiert, was ein Ort zu bieten hat und was verändert werden muss. Ebenso wichtig ist, welche Fähigkeiten und Kenntnisse die Bewohner mitbringen bzw. erwerben können.

So kann etwa ein malerischer, aber abgelegener Bergort mit lauter Felsbrocken auf den Wiesen, die modernen Ackerbau verhindern, für Touristen durchaus interessant sein. Hotels, Restaurants und Straßen können gebaut werden. Bewohner können entsprechend ausgebildet werden.

Weggezogene werden zum Zurückkehren motiviert. Oft geht aber die Initiative für einen Neuanfang gerade von den Weggezogenen aus, welche oft gut ausgebildet bzw. lernwillig sind und gerne in die Heimat zurückkehren, hart arbeiten und investieren. Sie geben ihren Nachbarn Arbeit und neue Lebensfreude. Nicht wenige von ihnen wurden nach Erfolgen in der Armutsbekämpfung in den Nationalen Volkskongress oder andere Gremien gewählt, wo sie realisierbare Vorschläge einbrachten.

In der südwestchinesischen Provinz Guizhou belebten engagierte Bürger die traditionelle Kunst des Bambusflechtens wieder, integrierten dabei moderne innovative Ideen und boten dann Kurse an. In derselben Provinz konnten die Menschen in Armenhilfe-Werkstätten lernen, chinesische Puppen herzustellen.

Ob nun Menschen aus der Armut befreit werden durch Bambusflechtkunst in Guizhou, den Anbau süßer Trauben in Tibet, eine Ausbildung zum Nudelkoch in Gansu oder allgemein durch den Aufbau von Telekommunikationsnetzwerken, Online-Vertriebskanälen und E-Commerce – überall handelt es sich um gut durchdachte, an den Möglichkeiten der Menschen und des Marktes orientierte Maßnahmen. China will den Menschen ein unabhängiges Leben ermöglichen. Das geht besser durch Arbeit als durch Vergabe von Geld und Gütern.

Im Rahmen der Armutsbekämpfung werden Menschen auch in andere Orte umgesiedelt, wenn Landwirtschaft und Tourismus nicht möglich sind bzw. der Bau von Schulen, Krankenhäusern und Straßen unverhältnismäßig teuer wäre. Es soll unbedingt verhindert werden, dass Armut weitervererbt wird.

Chinas Kampf gegen die Armut zeichnet Realismus, Pragmatismus, Präzision und Disziplin sowie den Mut zu Reformen und neuen Wegen aus. China hat dabei seine an praktischen Ergebnissen orientierten Ziele Schritt für Schritt an die ökonomische Entwicklung angepasst und für deren effektive Umsetzung stets alle notwendigen Ressourcen mobilisiert.

Der Ausbau der Krankenversicherungs- und Rentenleistungen sowie die Verbesserung der ländlichen Infrastruktur unterstützen die Wirkung von lokalen Anti-Armuts-Projekten. Die Regierung weiß auch, dass der Kampf gegen die Armut nur erfolgreich sein kann, wenn auch die Korruption bekämpft wird. Und durch neue Ministerien gelang es China, die Anti-Armut-Maßnahmen zu standardisieren und zu institutionalisieren.

Die Hilfe zur Selbsthilfe funktioniert allerdings am besten, wenn alle mitmachen, Nachbarn Nachbarn helfen und Starke Schwachen, wenn Menschen ihr Wissen weitergeben und alle sich schon während der harten Arbeit auf eine bessere Zukunft freuen können.

Text: Nils Bergemann

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