Der britische Premierminister Boris Johnson hat seine vorgezogenen Neuwahlen bekommen. Nachdem zwei Regierungen hintereinander im Unterhaus mit dem „Brexit“ gescheitert sind, scheinen Neuwahlen die einzig mögliche Lösung für die festgefahrenen Verhandlungen über den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union. Doch können Neuwahlen das Problem wirklich lösen?
Wenn Johnsons Rechnung aufgeht, können die Tories ihren Vorsprung vor der Labour Party ausbauen und das bisherige „Brexit“-Abkommen garantieren. Eine Umfrage der „Financial Times“ vom 29. Oktober zeigt, die Konservativen liegen elf Prozentpunkte vor der Labour Party. Doch das Wahlergebnis ist nicht immer eine Widerspiegelung der Umfrage. Der Volksentscheid von 2016 ist ein Beispiel. Premierminister Cameron hatte sich damals auf der Grundlage der Umfrage verkalkuliert.
Die Labour Party von Jeremy Corbyn sieht die Neuwahlen als „nie dagewesene Gelegenheit“, um Großbritannien zu verändern. Gewinnt die Labour Party im Dezember die Oberhand im Unterhaus, wird der „Brexit“ wieder unberechenbar: Die Labour könnte ihre Idee von einem weichen „Brexit“ umsetzen und Großbritannien bleibt wirtschaftlich weiter eng mit der EU verbunden. Oder die sozialdemokratische Regierung könnte eine neue Verhandlungsrunde mit Brüssel einleiten. Auch andere Möglichkeiten sind nicht vom Tisch: ein neues „Brexit“-Referendum oder gar eine Aufgabe des Austritts aus der Europäischen Union.
Es besteht auch eine weitere Möglichkeit des Wahlausgangs: Das Kräfteverhältnis im Unterhaus bleibt unverändert. Der „Brexit“ könnte damit wieder ins Stocken geraten.
Der „Brexit“-Termin wurde schon mehrfach verschoben. Vielsagend schrieb der EU-Ratspräsident Donald Tusk auf Twitter: „Das ist die letzte Verschiebung. Nutzt die verbliebene Zeit gut“. Tusk klingt diesmal mehr oder weniger hilflos. Brüssel kann dem Machtkampf in Westminster nur tatenlos zusehen.
Ein Machtkampf zwischen politischen Parteien, so beschreibt eine 16-Jährige in einer BBC-Sendung den Kern des „Brexit“. Politiker setzen im Drama dieses Machtkampfes die Interessen ihrer politischen Parteien über die des Staates. Beeinträchtigt wird dadurch das Leben zukünftiger Generationen in Großbritannien.
Die Welt von heute braucht Stabilität und keinen Schwarzen Schwan wie den „Brexit“. Das Wohlergehen der Menschen ist und muss das Ziel der Politik bleiben.