Vor 15 Jahren hielt ein Fotograf den Moment fest, als Yu Chunhua und Yu Caimei aus der Präfektur Nujiang in der Provinz Yunnan aneinander gelehnt mit einer Seilbahn den Nujiang-Fluss überquerten, um auf der anderen Seite in die Schule zu gehen. Die zierlichen und dünnen Mädchen rutschten an einem Stahlseil entlang, während der Fluss unter ihnen tobte. Die Bilder waren herzzerreißend und schockierend und erregten die Aufmerksamkeit unzähliger Menschen.
15 Jahre später arbeitet eine der beiden als Krankenschwester und die andere baut zu Hause Obst an. Wenn sie jetzt den Fluss überqueren, fahren sie entweder mit dem Auto oder dem Motorrad. Die Seilbahn, die sie durch ihre Kindheit und Jugend begleitet hat, hat ihre Funktion als Verkehrsmittel verloren und ist zu einem „lebenden Fossil“ der Entwicklung der Schlucht geworden.
Yu Chunhua und Yu Caimei sind Cousinen. In ihrem Dorf Qiaomaga gibt es eine Redewendung: „Der Himmel ist ein Riss, die Erde ein Graben. Die Kühe und Schafe haben keine Möglichkeit zu grasen, die Affen haben Tränen in den Augen, wenn sie die Klippe überqueren.“ Lange Zeit hielt die Schwierigkeit der Flussüberquerung die lokalen Einwohner davon ab, in die Welt hinauszugehen.
Die im Jahr 1998 geborenen jungen Frauen erinnern sich abgesehen von der Armut in ihrem Leben gerne an ihre Vergangenheit und die Seilbahn. Die Gemeindeverwaltung befindet sich auf der anderen Seite des Flusses als das Dorf, sodass die Dorfbewohner den Fluss überqueren müssen, um zum Markt oder zur Schule zu gehen. Früher mussten sie auch stundenlang klettern, um einander zu sehen. Zu dieser Zeit war die über den Fluss gebaute Seilbahn ein ideales Verkehrsmittel für Verwandtenbesuche, Einkäufe, Schulbesuche und sogar Ärzte. Aber sie war gleichzeitig auch sehr gefährlich. „Der Wind pfiff mir in den Ohren. Sie war hoch über dem Fluss und mein Herz schlug mir bis zum Hals“, erinnert sich Yu Chunhua an das erste Mal, als sie voller Angst mit der Seilbahn den Fluss überquerte.
Im Jahr 2007 bereiteten sich die damals neunjährigen Yu Chunhua und Yu Caimei wie üblich am Ufer auf die Überquerung des Flusses mit der Seilbahn vor. Dieser Moment wurde von einem Fotografen festgehalten. Yu Chunhua sagt: „Jedes Jahr musste ich Hunderte Male mit der Seilbahn den Fluss überqueren. Die Szene sieht zwar aufregend aus, aber es ist wirklich sehr gefährlich. Wer macht das noch freiwillig, wenn es Brücken oder Straßen gibt?“
Durch die Unterstützung der Zentralregierung und der lokalen Unternehmen wurden in den vergangenen sieben Jahren 42 Seilbahnen in der Präfektur Nujiang in 36 Brücken über den Fluss umgewandelt. Für die Anwohner wie Yu Chunhua und Yu Caimei bedeutet das, dass sie und ihre Kinder in Zukunft nicht mehr der Gefahr der Seilbahn trotzen müssen, nur um an das andere Flussufer zu gelangen.