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An einem sonnigen Frühlingstag fährt ein grüner Fuxing-Hochgeschwindigkeitszug durch die Berge entlang des Yarlung-Zangbo-Flusses in Richtung Nyingchi, einer für ihre Pfirsichblüten bekannten Stadt im westchinesischen Autonomen Gebiet Tibet.
Liu Lili wollte die Zeit der Pfirsichblüten nicht verpassen. Die Angestellte eines Kleidungsgeschäfts in der Stadt Shigatse kaufte daher ein Zugticket für den Zug C893 von Shigatse nach Nyingchi, um dort ihre Schwester zu besuchen und die Pfirsichblüten gemeinsam mit ihr zu bewundern. Die 25-Jährige erklärt: „Als der Zug den Bahnhof von Lhasa passierte, dachte ich, die meisten Passagiere würden aussteigen. Zu meiner Überraschung fuhren sie auch wie ich nach Nyingchi, um die Blumen zu sehen.“
Es ist der erste Frühling seit der Inbetriebnahme der Lhasa-Nyingchi-Bahn am 25. Juni 2021. Die erste elektrifizierte Eisenbahn in Tibet mit einer geplanten Geschwindigkeit von bis zu 160 Stundenkilometern hat die Reisezeit von etwa fünf Stunden mit dem Bus auf 3,5 Stunden verkürzt. Auf dem Bahnsteig des Bahnhofs von Lhasa beobachtet Tashi Dondrup, wie die Fahrgäste in den C893 einsteigen. Der 36-jährige Bahnhofsarbeiter stammt aus Lhasa und musste 2002 das Flugzeug nehmen, als er in Wuhan in der zentralchinesischen Provinz Hubei zur Schule ging, weil es damals in Tibet keine Züge gab. Nachdem er 2006 seine Arbeit aufgenommen hatte, wurde er Zeuge der Entwicklung des Eisenbahnverkehrs auf der Hochebene.
Im Juli 2006 wurde die Qinghai-Tibet-Eisenbahn zwischen Lhasa und Xining, der Hauptstadt der Provinz Qinghai, in Betrieb genommen. Im August 2014 wurde die Lhasa-Shigatse-Bahn als erste Erweiterungsstrecke der Qinghai-Tibet-Bahn eröffnet. Im Juni 2021, als die Lhasa-Nyingchi-Eisenbahn für den Verkehr freigegeben wurde, fuhren zum ersten Mal Fuxing-Hochgeschwindigkeitszüge über die Hochebene.
Der Bahnhof von Lhasa hat ein explosionsartiges Wachstum seines Passagieraufkommens erlebt, das von 2,24 Millionen im Jahr 2007 auf mehr als vier Millionen im Jahr 2021 anstieg. Tashi Dondrup sagt: „Die ursprünglichen vier Wartesäle können die Nachfrage nicht mehr befriedigen. Wir renovieren jetzt den Bahnhof, um den Fahrgästen zwei weitere Räume zur Verfügung zu stellen, um auf die Züge zu warten.“
Die Hochgeschwindigkeitszüge verbinden nun Lhasa, Nyingchi, Shannan und Shigatse, deren Bruttoinlandsprodukte zusammen mehr als 70 Prozent des gesamten BIP der Region ausmachen. Der Eisenbahnverkehr hat das Wirtschaftswachstum der Städte weiter vorangetrieben.
Sonam Tobgye, ein Landwirt aus der Gemeinde Changzhug in der Stadt Shannan, fährt oft mit dem Zug nach Lhasa, um seine Tochter zu besuchen. Sein Haus liegt am Fuße des Yumbulagang, dem ersten Palast Tibets, der mehr als 2.000 Jahre alt ist und eine beliebte Touristenattraktion in Shannan darstellt. Der 67-Jährige sagt, die neue Bahnlinie erleichtere nicht nur das Reisen, sondern bringe auch mehr Touristen und damit Einnahmen in seine Heimatstadt. „Einige der Dorfbewohner verkaufen Souvenirs, andere betreiben Teehäuser und einige bieten Reitdienste für Touristen an. Ihre Geldbörsen sind viel fetter geworden.“
Nach Angaben der Eisenbahngesellschaft hat die Lhasa-Nyingchi-Bahn seit ihrer Eröffnung 977.100 Fahrgäste befördert. Bis zu 40.000 Tonnen Fracht sind per Zug in Nyingchi angekommen. Der Dorfbewohner Penpa transportierte früher Material für den Bau der Eisenbahn. Nach der Eröffnung der Bahnlinie gründete er ein Logistikunternehmen, das mit vier Lastwagen Fracht wie Alltagsgegenstände, Futtermittel und Baumaterialien vom Bahnhof in die Stadt transportiert. „Die Frachtkosten für die Bahn sind mindestens ein Drittel niedriger als vom Straßentransport. Ich glaube, dass ich in Zukunft mehr Aufträge haben werde“, sagt Penpa zuversichtlich.