Der Sommer kommt spät und geht früh in Phumachangthang, der höchstgelegenen Gemeinde Chinas, die auf einer Höhe von 5.373 Metern über dem Meeresspiegel im Autonomen Gebiet Tibet liegt – 200 Meter höher als das Basislager des Qomolangma oder Mount Everest.
Gegen zehn Uhr morgens nähern sich Eltern und ihre Kinder in dicken tibetischen Wintergewändern dem Tor des Kindergartens im Dorf Tsogo. Es ist windig und bei -5 Grad Celsius bitterkalt. Schnell werden die Kinder von ihren Erziehern in die warmen Klassenräume geführt.
Migmar Tsering ist Leiter des Kindergartens, der 13 Kinder betreut. Der 20-Jährige ist Sprach- und Kunstlehrer und wurde im Oktober 2020 für zwei Jahre in den Kindergarten versetzt. Er wurde in einer Bauernfamilie im tibetischen Bezirk Chushul geboren und schloss in den 2000er-Jahren die Mittelschule in Shaoxing in der ostchinesischen Provinz Zhejiang ab. Die Schule, die er besuchte, bietet verarmten tibetischen Schülern bessere Bildungschancen. Es fielen keine Schul- oder Unterkunftsgebühren an und zwei Frauen bezahlten Migmar Tserings Lebensunterhalt für die zwei Jahre, die er in Shaoxing lernte.
Der Kindergarten in Tsogo ist eine Mischung aus modern und einfach. Migmar Tsering erklärt: „Die Klassenzimmer, Büros und Schlafsäle der Kinder haben Klimaanlagen und Heizungen, aber die Lehrer müssen Yak-Dung zum Kochen und Heizen verbrennen.“ Die Kinder wärmten sich jeden Morgen mit Sportarten wie Boxen, Radfahren und Tanzen auf. „Die Leute sagten mir, dass mir schwindlig werden würde, wenn ich in so großer Höhe arbeite und ich machte mir anfangs Sorgen. Aber ich halte die Höhe aus. Ich bin noch jung und stark“, so der junge Lehrer. Die Arbeit in einer so rauen Umgebung sei aber nicht einfach. Manchmal werde ihm schwindelig, wenn er schwere körperliche Arbeiten verrichte.
Für Migmar Tsering ist die Arbeit als Lehrer eine Ehre und ein Traumberuf. „Ich habe vor Jahren finanzielle Unterstützung für meine Schulausbildung erhalten und jetzt ist es an der Zeit, dass ich der Gesellschaft zurückgebe.“ In den vergangenen Jahren hat er immer wieder an die beiden Frauen gedacht, die seine Ausbildung finanziell unterstützt haben. Am 27. September hatte er die Gelegenheit, seine Geschichte mit Vertretern einer Wohltätigkeitsorganisation zu teilen, die die Gegend besuchten, um Sportartikel und Unterrichtsmaterial zu spenden. Als er ihnen von seinem Wunsch erzählte, die beiden Frauen zu finden, bot ein Journalist der Gruppe seine Hilfe an. Innerhalb einer Woche nach Veröffentlichung eines Videos über seine Geschichte in den chinesischen sozialen Medien fand Migmar Tsering seine Wohltäterinnen.
Eine seiner ehemaligen Mittelschullehrerinnen sah das Video und gab ihm die Kontaktnummern der Frauen, mit denen Migmar Tsering dann telefonierte. Er lud die Frauen ein, Tibet zu besuchen und sie antworteten mit einer Einladung, sie in Zhejiang zu besuchen. „Ich bin froh, dass eine meiner ehemaligen Lehrerinnen aus Zhejiang geholfen hat, meine beiden Helferinnen zu finden“, sagt der 20-Jährige. „Wir hatten ein langes Telefongespräch und ich habe versprochen, dass ich ihnen als Dank einige lokale Spezialitäten und Geschenke schicken werde. Ich möchte ein freundlicher und dankbarer Mensch sein, ein hilfsbereiter Mensch.“