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Die 18-jährige Wang Qianlin wurde 2020 von der University of California im US-amerikanischen Berkeley angenommen. Für sie endete die Vorfreude aber abrupt, als sie erfuhr, dass sie an ihrer Traumuniversität nur über Online-Kurse an ihrem Wohnort in Beijing studieren kann. Aufgrund der COVID-19-Pandemie hat die Universität ihre Kurse für das Herbstsemester 2020 ins Internet verlegt und Wang hat in den vergangenen Monaten eine Online-Universität besucht. Sie sagt: „Ich hatte große Schwierigkeiten, mich an den neuen Lernmodus zu gewöhnen. Es gab wenig Interaktion zwischen Dozenten und Studenten, da die Kurse aufgezeichnet sind.“
Die Universität hat zwar wöchentliche Live-Diskussionen eingerichtet, um die Interaktion zwischen Dozenten und Studenten zu verbessern, aber diese finden für Menschen in Beijing von zwei Uhr bis vier Uhr morgens statt. „Für diese muss ich mir den Wecker stellen und einmal bin ich einfach nicht aufgewacht“, erinnert sich Wang. Nicht zur Universität gehen zu können, bedeute auch, dass sie das Campusleben nicht genießen könne, von dem sie in der High School schon geträumt habe. „Außerdem sind meine Eltern der Meinung, dass die jährlichen Studiengebühren von 22.000 US-Dollar eine Geldverschwendung sind. Sie verstehen nicht, was ich in den letzten Monaten gemacht habe und denken, ich hätte meine Zeit verschwendet.“
Obwohl die COVID-19-Pandemie die Pläne vieler angehender internationaler Studenten durcheinander gebracht hat, zeigte eine im Juni veröffentlichte Studie des Londoner Hochschulberatungsunternehmens Quacquarelli Symonds (QS), dass nur sehr wenige chinesische Studenten daran denken, ihre Pläne für ein Auslandsstudium aufzugeben. Obwohl sich eine große Anzahl internationaler Studenten dafür entscheide, ihre Einreise entweder zu verschieben oder zu verzögern, hätten nur vier Prozent der Studenten in China angegeben, dass sie nicht mehr bereit seien, im Ausland zu studieren. 66 Prozent der Studenten sagten, die Pandemie habe ihre Pläne für ein Auslandsstudium beeinflusst.
Angaben des chinesischen Bildungsministeriums zufolge gingen im vergangenen Jahr insgesamt 703.500 chinesische Studenten zum Studium ins Ausland, 6,25 Prozent mehr als 2018. Sun Tao, Präsident von New Oriental Vision Overseas Consulting Co., einer Beratungsfirma für Auslandsstudien, sagt, es hätten zwar 14 Prozent ihrer Kunden ihre Pläne für ein Studium in Großbritannien aufgegeben, aber nur ein Prozent habe ihre Bewerbung für ein Grundstudium in den USA aufgegeben. Die Abbruchquote für ein Studium in den USA habe zwei Prozent betragen.
Für den 24-jährigen Guo Kaidong war es kein Problem, Online-Kurse in seiner Heimatstadt Hangzhou in der Provinz Zhejiang zu besuchen. Guo, ein Doktorand im ersten Jahr am University College London, sagt, die Universität habe zwar Charterflüge arrangiert, um chinesische Studenten vor dem Herbstsemester an die Uni zu bringen, er habe aber nicht gehen wollen, weil die Pandemie in Großbritannien nicht eingedämmt worden sei. Außerdem seien alle Kurse ins Internet verlegt und die Unibibliothek sei geschlossen worden. Zu Hause zu bleiben, sei auch viel wirtschaftlicher, da die Miete und andere Ausgaben in London viel höher seien. Er sei auch froh, Zeit mit seinen Eltern und Freunden verbringen zu können. Aufgrund der Zeitverschiebung ende sein akademischer Tag jedoch gegen Mitternacht oder gehe manchmal bis in die frühen Morgenstunden.
Um chinesischen Studenten zu helfen, während der Pandemie ihr Studium an einer ausländischen Universität in China fortzusetzen, kündigte das chinesische Bildungsministerium im September an, es werde chinesisch-ausländischen gemeinsamen Lerninstitutionen und Programmen erlauben, Studenten zu immatrikulieren, die an ausländischen Universitäten zugelassen seien, aber aufgrund der Pandemie nicht im Ausland studieren könnten. Liu Jin, Direktor der Abteilung für internationale Zusammenarbeit und Austausch des Ministeriums, erklärt, Institutionen und Programme an 94 inländischen Universitäten hätten 3.031 chinesische Studenten in dieser Kategorie eingeschrieben.
Die Universitäten von Wang Qianlin und Guo Kaidong haben angekündigt, auch das Frühjahrssemester 2021 ins Internet zu verlegen, sodass sie weiterhin aus China online lernen müssen. Wang sagt: „Wir warten alle auf das Signal, dass alles wieder in Ordnung ist und wir an unsere Universität zurückkehren können. Wir können es kaum erwarten, die Online-Kurse zu beenden.“