Am zweiten Tag unserer Xinjiang-Reise erfuhren Yunfan und ich in Ürümqi, was ausgerechnet Donald Trump mit einem chinesischen Auto zu tun hat und warum Naan-Brote durch die Luft fliegen.
Beim Besuch des Logistikzentrum vom internationalen Landhafen Ürümqi am Vormittag lernten wir, dass diese Stadt das Tor zu Europa ist und 70 Prozent aller Züge nach Europa über Xinjiang fahren und selbst in Pandemiezeiten die Anzahl der Züge noch steigt. Es wird praktisch alles transportiert, natürlich während der Pandemie mehr Gesundheitsartikel.
Mein persönliches Highlight des Tages war der Besuch einer Autofabrik – da konnte selbst eine große Naan-Brot-Back-Show, die wir nachmittags sehen sollten, nicht ganz mithalten. So eine Autofabrik ist natürlich in erster Linie etwas, das das Kind im Manne und auch das in der Frau – wie ich an den strahlenden Mienen meiner Kolleginnen erkennen konnte – sofort weckt.
Hochkonzentrierte Arbeit an einem Trumpchi im Montagewerk des chinesischen Automobilherstellers GAC Motor in Ürümqi.
Der alte Ford hätte auch seine hellen Freunde an der Produktionsstraße des chinesischen Automobilherstellers GAC Motor gehabt. Akkuschrauber, hydraulische Maschinen, kleine Transportroboter und Hämmer sorgten für ein wohlklingendes Konzert in der großen hohen Werkhalle, das immer wieder von dem Hupen fertig gestellter und frisch gewaschener Autos unterbrochen wurde.
Das Montagewerk des chinesischen Automobilherstellers GAC Motor befindet sich in der wirtschaftlichen und technologischen Entwicklungszone von Ürümqi – das klingt so weit nicht ungewöhnlich. Aber der Automobilhersteller hat seinen Stammsitz in Guangzhou in der südlichen Provinz Guangdong und auf dem ersten Blick wenig davon, Autos der Trumpchi-Serie in der weit entfernten nördlichen Provinz Xinjiang zusammenbauen zu lassen. Aber genau das macht GAC Motor seit ein paar Jahren.
Wenn wohlhabendere Provinzen ärmeren bei der Entwicklung helfen, ist das aber mehr als nur ein Freundschaftsdienst: Es ist vor allem eine Investition in die Menschen vor Ort und in die Zukunft. Ürümqi ist eine wichtige Stadt auf der Seidenstraße und das Tor zu Europa. Es ist gut vor Ort zu sein. Und die Qualifizierung von Menschen durch Ausbildung und Arbeit macht das Uigurische Autonome Gebiet Xinjiang natürlich noch attraktiver für Unternehmen aus aller Welt.
Im Montagewerk waren menschliche Stimmen weniger zu hören als die, tatsächlich weihnachtlich klingende, Musik, die der kleine Transportroboter spielte, damit die Arbeiter und Besucher ihm ausweichen konnten. Es wurde wahrscheinlich wenig geredet, weil alle emsig arbeiteten und es wohl einfach meist reibungslos lief.
Dieser niedliche, Weihnachtsmusik spielende, Transportroboter war nicht nur bei mir ein beliebtes Foto- und Videomotiv.
Die Arbeiter montierten Reifen und Sitze mithilfe von Roboterarmen sehr schnell, klopften Gummidichtungen per Hand fest, schraubten über Kopf und markierten mit einem Stift Stellen. Weshalb sie die roten Kreise machten, weiß ich nicht. Die Autos fuhren auf der Produktionsstraße auch ohne Reifen, weil sie in Halterungen eingefasst waren und diese von der Decke aus vorwärts bewegt wurden.
Die Idee, dass Dinge welche das Herz der Besucher höher schlagen lassen, auch den Arbeitern selbst viel Freude machen könnten, ist nicht so abwegig, dachte ich. Deshalb fragte ich den Leiter eines Montageabschnitts, Herrn Maiwula, ganz direkt, ob ihm die Arbeit Spaß macht. Der Mann, der, wie wir später erfuhren, von Anfang an in der Fabrik mit dabei war und einen Technik-Master hat, zögerte einen Moment, vielleicht, weil er überlegte, ob Spaß haben sich für einen Mitarbeiter ziemt, dann sagte er aber lächelnd ja.
Maiwula, ist, wie vielleicht einige Leser wegen seines Namens schon vermutet haben, Uigure. Viele seiner Kollegen sind das auch. In Xinjiang gibt es mit einem Anteil von 40 Prozent etwa so viele Chinesen mit uigurischem Hintergrund wie Han-Chinesen und dazu noch etwa 35 weitere sogenannte Minderheiten. Han-Chinesen sind auf ganz China bezogen mit rund 90 Prozent die größte Bevölkerungsgruppe, aber natürlich ist diese Gruppe auch nicht total homogen: Han-Chinesen aus Süd- und Nordchina können sich so unterscheiden wie Bayern von Berlinern.
Daumen hoch für chinesische Autos: Produktionsleiter Herr Maiwula und ich. Foto: Zhang Yunfan
China ist schon ein klein wenig stolz auf seine ethnische und kulturelle Vielfalt, habe ich den Eindruck während vieler dienstlicher und privater Reisen gewonnen. Nicht nur in Xinjiang, sondern wohl in jeder Provinz findet man kulturelle und kulinarische Angebote sowie sorgfältig restaurierte geschichtsträchtige Architektur, die sich explizit auf Minderheiten beziehen. Die Bewahrung der greifbaren Kultur, aber auch die des immateriellen Kulturerbes lässt sich China einiges kosten. Touristisch zahlt sich das natürlich aus, so wie Wiener Kaffeehaus-Kultur, Berliner Subkultur und das bayrische Oktoberfest ja auch gut die Steuersäckel in Österreich und Deutschland füllen.
Andererseits ist es auch für die Chinesen selbst sicherlich bereichernd, wenn sie ihre verschiedenen kulturellen Wurzeln bewahren. Aber zurück in die Werkhalle: Jetzt machen uns die Chinesen also sogar beim Autobau auch noch Konkurrenz – dachte ich, als ich später in einem SUV Probe saß und mich selbst von der soliden Qualität dieses „GAC Trumpchi GS 8“ überzeugen konnte, der gerade mal 23.000 Euro kostet. Aber wer tüchtig ist, hat eben irgendwann überall Erfolg. Ich gönne das China, das jahrzehntelang ohne Murren die „Werkbank der Welt“ war. Heute müssen sich die USA und Europa sogar anstrengen, um auch in Zukunft noch mithalten zu können. Der unterschiedlich effektive Umgang mit der derzeitigen Krise beschleunigt diese Entwicklung noch.
GAC Motor war der erste rein chinesische PKW-Hersteller, der sich 2012 in Xinjiang niedergelassen hatte. Schon vorher war ein Shanghaier Joint-Venture mit Volkswagen als Partner vor Ort. Den kurzen Werbesloganteil von VW – „Das Auto“ – können hierzulande sehr viele Chinesen auch auf Deutsch sagen. VW war schlau genug, rechtzeitig in diesen boomenden Markt zu investieren. Das wird sich auszahlen.
Yunfan fotografiert gleich den schicken schwarzen „GAC Trumpchi GS 8“, indem ich Probe saß.
Wenn Sie vorhin beim Lesen über den Namen „Trumpchi“, gestolpert sind, dann zu Recht. Der Name hat zwar nichts mit dem weltbekannten Herrn zu tun, aber er bereitete den chinesischen Autobauern nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten natürlich Kopfschmerzen. Würde man mit Autos dieses Namens auf den amerikanischen Markt gehen, hätte man zwar rasch mediale Aufmerksamkeit, aber ein „Trump-Logo“ auf dem Auto käme dort einem politischen Statement gleich, was nicht Jedermanns Sache ist. Der Name der Marke leitet sich vom chinesischen Begriff für „legendär“ ab und er wurde rein nach dem Klang in „Trump“ übersetzt. Um die chinesische Herkunft klar zu machen, hängte man noch die Silbe „chi“ an.
Yunfan und ich haben natürlich zwischendurch auch mal einen Happen gegessen, Xinjiang ist schließlich für tolles Essen bekannt. Aber all die Köstlichkeiten hier zu beschreiben, würde den Rahmen sprengen. Bei dem Besuch des Naan-Kultur-Industrieparks in Ürümqi am Nachmittag ging es aber um Essen, um Brot. Der Park folgt dem bewährten chinesischen Entwicklungsmodell „Industrie + Tourismus + Kultur“, mit dem er Arbeitsplätze schaffen und Naan aus Xinjiang zu einer einzigartigen Marke entwickeln soll. Ähnlich wie schon beim Basar können Touristen und Einheimische, hier was lernen und sich durch Tanz, Gesang und eine fabelhafte Naan-Backshow prächtig unterhalten lassen. Die Show ist keine brotlose Kunst, bitte entschuldigen Sie diesen naheliegenden Kalauer, die Besucher können hier überall verschiedene frisch gebackene Naan-Brote sowie Joghurts und andere, vor allem uigurische, Leckereien kaufen. Alles wird frisch produziert vor den Augen der Touristen.
Transparente Trinkjoghurt-Herstellung. Im Naan-Kultur-Industriepark können die Besucher ganze Produktionsstraßen hinter Glasscheiben bewundern.
Ich kam mir tatsächlich wie im Aquarium Berlin vor, das ich vor sechs, sieben Jahren zuletzt besucht hatte und das derzeit wegen der Corona-Maßnahmen geschlossen ist. Überall gab es große Glaskästen, hinter denen live gerührt, geknetet, gebacken und zubereitet wurde. Wem das keinen Appetit machte, der war bis Oberkante satt.
Naan ist eine Brotsorte, die ich auch schon beim guten türkischen Bäcker in Berlin in ähnlicher Qualität bekommen habe. Das Wort „Naan“ stammt ursprünglich aus dem Persischen und bedeutet „Brot“. Aber da das nicht jeder wissen kann, nutze auch ich die doppelt gemoppelte Kombination „Naan-Brot“. Das flache, fladenartige Brot, das wie Pizza innen flach und am Rand etwas dicker ist, gehört auch zum Beispiel in Indien, Afghanistan oder dem Iran zu den traditionellen Grundnahrungsmitteln.
So wird Naan-Brot gemacht: Rühren, kneten, formen, „stempeln“ und im traditionellen Tandur-Ofen backen.
Es gibt fast so viele Geschmacksrichtungen wie Naan-Bäcker. Abhängig von der Zubereitung, den Zutaten, Gewürzen und der Backdauer kann es wie Pizzabrot, Stockbrot, Sesambrötchen oder ein olfaktorischer Traum aus Tausend und einer Nacht schmecken. Im Naan-Park habe ich die Brote in den genannten Geschmacksrichtungen sowie ein scharf gewürztes Naan probiert, um Ihnen davon berichten zu können, aber vielleicht auch, weil sie super lecker schmeckten.
Naan wird traditionell aus Hirse- oder Weizenteig hergestellt, der durch Tränken des Teigs in Joghurt oder Milch und anschließende Lagerung zuvor gesäuert wurde. Der saure Teig unterscheidet es von indischem Kulcha oder Roti. Manchmal wird dem Teig auch einfach Hefe hinzugefügt. Backpulver sollte ebenso vermieden werden wie ein schnödes Backen im heimischen Elektro-Ofen. Nur durch das Backen über offener Glut in einem von oben zu befüllenden Steinofen, einem Tandur, erhält ein Naan sein typisches Aroma.
Flieg Naan, flieg! Unterhaltsame Backshow mit Verkauf der frischen Waren.
Die Brote im Park stammten alle aus Tandur-Öfen. Zur unterhaltsamen Produktion gehörte es, dass der geknetete Teig durch einen 100-Nadel-Stempel, der vielleicht auch von Fakiren genutzt wird, sein klassisches Muster erhielt, und dann hoch in die Luft geworfen wurde. Ob der Rundflug der Naanbrote deren Geschmack verbesserte, weiß ich nicht, aber schön anzusehen war es.
Text und Fotos: Nils Bergemann