Der deutsche Dichter Matthias Claudius schrieb schon vor mehr als 200 Jahren: „Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen.“ Das gilt auch noch heute und vor allem für Reisen in das Uigurische Autonome Gebiet Xinjiang.
Reisen innerhalb Chinas sind glücklicherweise auch in Zeiten von Corona möglich, obwohl sie auch hier die Leichtigkeit und Spontanität vorläufig eingebüßt haben. Wo früher Flug buchen und Koffer packen als Vorbereitung reichten, kommen heute Corona-Tests und weitere Kontrollen dazu.
So mussten mein Kollege Yunfan und ich drei Tage vor der Abreise zu einem Corona-Test in ein Krankenhaus fahren. Und dann mussten wir beide husten, weil das Wattestäbchen die Schleimhaut im Rachenraum gereizt hatte. Dabei muss ich neidlos anerkennen, dass mein Kollege das wesentlich spektakulärer kann als ich. Ich hab das auf Video, einmal zuckte sein Körper allerdings kurz aus dem Sichtfeld meiner Kamera. Ich würde die Gelegenheit bei weiteren Tests bekommen, ihm auch mit vollem Körpereinsatz „etwas zu husten“, dachte ich.
Unser erstes Reiseziel Ürümqi, die Hauptstadt Xinjiangs, liegt rund 2000 Kilometer nördlich von Beijing. Die Sonne geht in Ürümqi zwar zwei Stunden früher unter, aber dennoch gilt auch dort die Beijing-Zeit.
Die Fahrt zum Flughafen, dem alten großen internationalen, leider nicht dem neuen noch größeren, ging schnell, weil wir schon um 5:30 Uhr losgefahren waren und noch wenig Verkehr war. Um 9 Uhr sollten wir fliegen. Die Gepäckaufgabe war für mich was Neues, denn man kann das jetzt selbst machen. Man scannt den Pass ein, folgt den Anweisungen und am Ende spuckt der Automat ein Ticket und den Klebestreifen für den Koffer aus. Das ging bei uns sehr schnell, vielleicht auch, weil Yunfan das erledigte.
Der Flug dauert normalerweise vier Stunden. Wir sollten um 13 Uhr ankommen. Die Zeit verging auch sprichwörtlich wie im Flug. Ich konnte mich an den mit Schnee bedeckten Bergen nicht satt sehen und freute mich schon auf Xinjiang.
Flug von Beijing nach Ürümqi: Der Blick aus dem Fenster lohnte sich
Kurz vor der geplanten Landezeit kam plötzlich eine Durchsage, sinngemäß hieß es: „Aufgrund starken Schneefalls können wir unseren Zielort Ürümqi nicht anfliegen, sondern müssen auf den Flughafen Turpan ausweichen.“ Ich hatte von der Stadt Turpan noch nie gehört.
Von Turpan mussten wir irgendwie nach Ürümqi. Denn dort wollten wir die nächsten drei Tage mit einem vielfältigen Programm verbringen. „Mit dem Hochgeschwindigkeitszug können wir Ürümqi in weniger als einer Stunde erreichen“, erklärte mir Yunfan auf dem Weg vom Flughafen zum Bus.
Karten für den schnellsten Zug gab es aber nicht mehr. Um 17:25 Uhr saß unsere große Reisetruppe mit Kollegen aus China, Ungarn, Weißrussland, der Ukraine, Bulgarien, Rumänien, Chile, Spanien, dem Kongo und Frankreich in einem recht vollen, aber leider auch recht langsamen Zug. Wie sich jedoch herausstellte, sollte dieser ungeplante Teil unserer großen Xinjiang-Reise ein perfekter Einstieg sein. Yunfan und ich saßen einige Reihen getrennt voneinander. Neben mir saßen Einheimische, beide mit Kopfbedeckungen.
Sitznachbarn während der Bahnfahrt von Turpan nach Ürümqi
Uiguren sind die größte Ethnie in der chinesischen autonomen Region Xinjiang. Die meisten sprechen gut Chinesisch, so wie die beiden neben mir. Aber eben nicht alle. Als es darum ging, eine App zu nutzen, in die man zum Beispiel eintragen muss, woher man kommt, in welchem Waggon und auf welchen Platz man sitzt, was die Rückverfolgung im Falle eines Falles vereinfachen soll, hatte nicht nur ich Verständigungsprobleme, sondern auch eine Gruppe älterer uigurischer Männer. Aber mit Hilfe von anderen Reisenden, bei mir Yunfan, und einem geduldigen Schaffner klappte das dann auch.
Xinjiang hat extrem viele Windkraftanlagen, wie ich beim Blick aus dem Fenster sehen konnte. Die Winterlandschaft wirkte karg, aber schön. Und die Berge konnte ich nun auch mal von unten sehen.
Die Gesundheitskontrollen während der Fahrt und an Bahnhöfen und Flughäfen wurden oft von Teams in weißer Schutzkleidung und mit Schutzmasken durchgeführt. Immer wieder Temperatur messen, QR-Codes scannen und Apps nutzen. Noch im Zug mussten wir das negative Ergebnis unserer Corona-Tests in Beijing vorzeigen.
Auch die übrigen Sicherheitskontrollen in Xinjiang sind umfangreicher als in Beijing. Mein Kollege Laoyan hatte mir erzählt, dass es schon seit mehr als drei Jahren keine terroristischen Anschläge mehr in ganz China gegeben habe, sich die Sicherheitsvorkehrungen also bezahlt gemacht hätten.
Apropos Sicherheit: Im Hotel mussten wir Neuankömmlinge auch gleich einen weiteren Corona-Test absolvieren. Yunfan und ich fragten uns, ob wir den wohl diesmal ohne Husten überstehen würden. Ich schaffte es und beobachtete gespannt die Prozedur mit dem Wattestäbchen bei Yunfan. Er verzog keine Miene und meinte: „Er hat eine bessere Technik, deshalb muss man nicht husten.“ Ja, vielleicht hatte der Mann einfach schon ein paar Tausend Rachen mehr mit dem Wattestäbchen besucht als seine Kollegin in Beijing, dachte ich.
Bitte einmal A sagen – zweiter Corona-Test gleich im Hotel
Obwohl wir wegen des Umweges über Turpan nicht die Moschee besichtigen konnten, hatte ich am ersten Tag schon viel erlebt und jetzt ging es noch zum vom Umfang her weltweit größtem Basar. Dieser gilt als gelungene Kombination von uigurischer Kultur, ethnischem Handel, lokalen Tourismus und lokaler Unterhaltung. Obendrein ist er auch noch das Wahrzeichen der Stadt Ürümqi. Entsprechend hoch waren meine Erwartungen. Aber der Basar kann ja nichts dafür, wenn er so angepriesen wird.
Architektonisch war der Platz schon mal interessant. Wir kamen an einer eindrucksvollen Moschee vorbei, dann aber an einigen Container-artigen Verkaufsstellen-Klonen, in denen industriell gefertigte Souvenirs angeboten wurden.
Vielfältiger und riesiger Basar
In den großen Verkaufshallen sah ich dann zunächst auch vor allem Kitsch und war etwas enttäuscht. Vielleicht war ich auch nur zu müde und in Meckerlaune. „Das ist mir zu touristisch!“, klagte ich und mein Kollege entgegnete: „Was ist denn heute nicht touristisch?“ Natürlich hatte er Recht. Und viele Leute lieben Kitsch. Ein kleines super kitschiges metalleners Glitzerkaninchen hätte auch ich mir fast gekauft.
Die Stimmung besserte sich etwas als unsere Gruppe dazu animiert wurde, zu trommeln. Musikalische Darbietungen gehören mit zum Basar. Und als ich für ein Video auf uigurische Musikinstrumente deutete, die ich heute nach weiteren Recherchen als uigurische bundlose gezupfte Langhalslauten, Rawaps, identifizieren würde, gab mir ein netter Verkäufer eine in die Hand zum Ausprobieren. Und er schob mir noch die Maske hoch, die ich für das Video runter gezogen hatte. Lange konnte er meine kläglichen Versuche, dem Instrument, das ich auch noch falsch hielt, eine Melodie zu entlocken, nicht ertragen und zeigte mir, wie es geht. Er spielte etwas, das für mich nach Musik zu einem Kasatschok klang, sodass ich versuchte, wie ein Kosake dazu zu tanzen. Ganz falsch lag ich mit meinem Tanzen und Geklatsche nicht, denn bald machte ein anderer uigurischer Verkäufer auf ähnliche Weise mit.
Lustige Musikanten trifft man auf dem Basar überall
Mich hatten schon zuvor einige liebevoll handgefertigte mechanische Puppen, die Uiguren bei handwerklichen Tätigkeiten und beim Musizieren zeigten, etwas mit dem Basar versöhnt und nun war ich schon fast gut drauf. Fast hätte ich mir sogar Strümpfe gekauft, die eine hübsche Verkäuferin engagiert anpries.
Es gab auch Stände, die uigurische Medizin aus Tieren, Pflanzen und Mineralien anboten. Diese 2.500 Jahre alte Heilkunde geht auf arabische und altgriechische Medizin zurück und wurde auch von der traditionellen chinesischen Medizin beeinflusst. Ich überlegte kurz mir ein paar getrocknete Raupen zu kaufen, ging dann aber doch schnell zu einem Stand mit getrockneten Früchten weiter.
Früchte aus Xinjiang sind besonders süß und aromatisch
Rosinen, getrocknete Pflaumen und auch Nüsse aus Xinjiang schmecken fantastisch. Der Verkäufer musste uns nur kosten lassen und schon hatte er uns. Wir kauften mehr als ein Kilo. In meinem Rucksack landeten auch noch ein paar Magneten für den Kühlschrank, sie hatten sogar einen von Turpan, und ein super niedliches aus einem Jade-artigem Stein handgefertigtes Schwein, dass ich, ganz stolz, von 305 Yuan auf 260 Yuan runter gehandelt hatte. Auf einem Basar muss man zumindest einmal gefeilscht haben!
Text: Nils Bergemann
Bilder: Zhang Yunfan und Nils Bergemann