Das Dorf Yongsheng ist ein Dorf der Miao-Nationalität im Kreis Pingbian in der südwestchinesischen Provinz Yunnan. Die rund 2.000 Einwohner wohnen verteilt in den Bergen, durchschnittlich in 1.500 Meter Höhe. In der Vergangenheit existierte das Dorf fast getrennt von der Außenwelt. Die Einwohner hier gaben die landwirtschaftliche Lebensweise ihrer Vorfahren von Generation zu Generation weiter. In der Erinnerung des Parteisekretärs des Dorfs, Yang Guolin, war das Leben damals ziemlich karg. Oft herrschte es im Dorf das ganze Jahr über Lebensmittelknappheit. Das wenige Geld, das man verdienen konnte, machte man durch den Verkauf der gezüchteten Schweine am Jahresende. Auch das Umfeld im Dorf war schlecht: Strohgedeckte Hütten und Lehmziegelhäuser waren willkürlich gebaut, die Dorfstraßen waren allesamt unbefestigte Wege, außerdem liefen das Geflügel und das Vieh herum und hinterließen überall Dung. Wenn es regnete, vermischte sich der Dung mit dem Schlamm, und man musste lange Regenstiefel tragen, um rausgehen zu können.
Die Dorfbewohner, die seit Generationen in den Bergen lebten, waren weder mit der Außenwelt vertraut, noch interessierten sie sich für das Leben draußen. Gepaart mit der Tatsache, dass die meisten Menschen sehr schlecht ausgebildet waren, kein Mandarin sprachen, konnten sie auch nicht ausgehen.
Yang Guolin ging aber im Jahr 2007 aus den Bergen heraus, um nach der Möglichkeit eines besseren Lebens zu suchen, und fand in einem Weinberg eine Arbeit. „Ich bin der Erste, der aus dem Dorf jobben gegangen ist und später mit dem verdienten Geld ein Ziegelhaus gebaut hat. 2013 war mein Haus fertig und zum besten Haus im Dorf geworden. Allmählich glaubten viele im Dorf, dass man durch jobben draußen wirklich Geld verdienen kann“, sagte Yang. Mit Yang als Vorbild sind immer mehr Menschen im Dorf jobben gegangen. 2014 begann im Dorf eine Hochsaison des Aufbaus von neuen Häusern, getrieben von dem im gleichen Jahr gestarteten Regierungsprojekt zur finanziellen Unterstützung des Neubaus und Umbaus der alten Häuser. Da die erste Gruppe der Jobbengehenden im Dorf ihr Geld zumeist durch die Beteiligung an dem Baumwollanbau in Xinjiang verdient hat, werden die neu gebauten Häuser im Dorf auch „Baumwollhäuser“ genannt.
Während das Arbeiten draußen den Einwohnern in dem verschlossenen und einst armen Dorf eine neue Lebensweise bringt, bringt es zugleich auch Probleme mit sich. Da junge Menschen im Dorf oft das ganze Jahr lang draußen arbeiten müssen, ist das Dorf fast "ausgehöhlt" worden. Die Arbeitskraft ist weg, verblieben sind nur die Alten und die Kinder. Um dieses Problem zu lösen, muss es möglich gemacht werden, dass man, ohne weggehen zu müssen, auch im Dorf Geld verdienen kann.
Wie soll man das schaffen? Der Kreis Pingbian, zu dem das Dorf gehört, ist ein gebirgiger Ort. 2010 hat der Kreis begonnen, Entwicklungschancen anhand seiner traditionellen Landwirtschaft zu suchen. 2014 beschloss der Kreis, den Anbau einiger Fruchtarten im ganzen Kreis zu fördern, um Arbeitsstellen zu schaffen. Das Dorf Yongsheng mit seiner Höhenlage ist geeignet für den Anbau von Wollmispeln.
Yang Guolin kann sich noch erinnern, wie zurückhaltend die Dorfbewohner gegenüber der Idee waren. „Damals finanzierte die Regierung den Kauf von Setzlingen und half drei Jahre lang beim Anpflanzen, bis die Bäume Früchte tragen können. Das heißt, die Dorfbewohner müssen sich um nichts kümmern, und brauchen nur drei Jahre auf die Ernte zu warten. Selbst dann waren damals nicht viele Menschen bereit anzubauen.“ Wang Guangping gehört zu denjenigen, die zögern, die Mollmispel zu pflanzen, da seine Familie seit Jahren außerhalb des Dorfes arbeitet und er sah weder die Vorteile des Fruchtanbaus, noch hatte er Zeit, sich um es zu kümmern.
Als Parteisekretär des Dorfs hat sich Yang Guolin viel Mühe gegeben, um seine Landsleute zu überzeugen. Letztlich hat Wang Guangping auf zwölf Hektar Wollmispeln angebaut. 2019 trugen die Bäume erstmals Früchte. 2020 wurden die Wollmispel-Erträge der gesamten Anbaufläche für mehr als 80.000 Yuan RMB verkauft. Nachdem die Dorfbewohner die Vorteile des Anbaus von Wollmispeln gesehen hatten, wollen auch immer mehr Menschen an der Pflanzung des Obstbaums teilnehmen. „Es gibt jetzt mehr als 200 Haushalte, die Wollmispeln anbauen“, sagte Yang Guolin, „Wer will sein Zuhause verlassen, wenn er zu Hause Geld verdienen kann“.
Die Industrie des Dorfes entwickle sich, aber die Qualifikation der Dorfbewohner müsse noch verbessert werden, sagte Yang Guolin. Nachdem die Bäume Früchte getragen hatten, hat die Regierung das Land den Dorfbewohnern zur Bewirtschaftung zurückgegeben, aber vielen Menschen fehlten die Technologie und das Bewusstsein für die Bewirtschaftung. Vom Maisanbau, der völlig wetterabhängig ist, bis zum Obstbaumanbau, der eine sorgfältige Bewirtschaftung erfordert, haben die Dorfbewohner viel zu lernen. Jedes Jahr lädt der Kreis Agrartechniker ein, den Dorfbewohnern beizubringen, wie sie jeden Aspekt des Wachstums der Obstbäume auf den Feldern besser bewältigen können.
Diese Ernte und der Preis von Wollmispeln waren von Ende 2019 bis Anfang 2020 gut. Auf der Schotterstraße des Dorfs parkten eine Reihe von LKWs, um das Obst zu transportieren. "Jetzt ist die Straße immer noch nicht gut. Die LKW-Fahrer müssen sich beim Ein- und Ausfahren viel Mühe geben“, sagte der Dorfbewohner Wang Shuyuan.
Nach Ansicht von Yang Guolin sind die Straßen des Dorfes zwar noch verbesserungsbedürftig, aber viel besser im Vergleich zu vor zehn Jahren. Die unbefestigten Straßen waren früher bei Regen schlammig. Nun sind die Verhärtung der Straßendecke und die Verlegung von Schotterstraßen im Dorf fast vollständig abgeschlossen. „Das direkteste Gefühl ist, dass es mehr Autos im Dorf gibt. In der Vergangenheit gab es insgesamt nur etwa fünf Motorräder im Dorf. Von 2014 bis 2016 war es der schnellste Anstieg der Zahl an Motorrädern, fast jede Familie hat ein Motorrad. Zwischen 2018 bis 2019 war es der schnellste Anstieg der Autozahlen, jetzt gibt es fast 20 Autos im Dorf“, sagte Yang.
Am Abend des 10. Juli fand im Hof des Yongsheng-Dorfkomitees eine Aufführung statt. Yang Guolin hat ein Gedicht auf Miao-Sprache improvisiert: „Wohlergehen ist nichts, worauf man warten kann. Man kann nicht wohlhabend sein, wenn man an der Wand sitzt und sich nur sonnt, man muss rausgehen und es tun ...“