Die COVID-19-Pandemie ist nicht nur eine weltweit gesundheitliche, sondern auch eine wirtschaftliche Krise. Die damit einhergehende Produktionseinstellung, Kapitalmangel und hohe Arbeitslosigkeit machen fast allen Branchen in Europa schwer zu schaffen. Dennoch befänden sich mehrere Infrastrukturprojekte, die chinesische Unternehmen seit Jahren in Europa tätigen, während der Pandemie nach wie vor im Bau, teilte Gao Xiaochuan, Mitglied des Forschungszentrum für Mittel-und Osteuropa an der Ostchinesischen Pädagogischen Universität, in einem Gespräch mit Journalisten der China Media Group mit.
Nach Angaben von Gao konzentrieren sich derartige Infrastrukturprojekte aufgrund der Einschränkungen der EU bislang vorwiegend auf Nicht-EU-Staaten wie Serbien. Als Beispiele nannte er vor allem die Autobahn E763 und ein großes Kraftwerk in Serbien, die Donau-Brücke an der Stadt Belgrad, ein Wärmekraftwerk in Bosnien-Herzegowina und ein Staudammprojekt im polnischen Breslau. Bei der 300 Kilometer langen E763 handele es sich um die erste Autobahnstrecke, die China in Europa je gebaut habe. Hinzu kamen eine Eisenbahnstrecke zwischen Serbien und Ungarn, eine Autobahnstrecke in Montenegro und die Peljesac-Brücke in Kroatien, die allesamt während der Pandemie nicht eingestellt worden waren, so Gao.
Während chinesische Bauunternehmen vor allem in Osteuropa tätig sind, sind wichtige Industrieländer wie Großbritannien, Deutschland und Frankreich Gao Xiaochuan zufolge Standorte der chinesischen Finanzinvestitionen.
Ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, an dem chinesische Investitionsprojekte in Europa in vollem Gange waren, brach die COVID-19-Pandemie aus. Dank der tatkräftigen Unterstützung der serbischen Regierung konnte das genannte Bauprojekt der Eisenbahnstecke zwischen Serbien und Ungarn nach Angaben von Gao während der Pandemie jedoch weiter laufen. Im April haben die Export-Import Bank of China und das ungarische Finanzministerium eine Vereinbarung über zusätzliche Kredite unterzeichnet, die eine rechtzeitige Vollendung des Eisenbahnprojekts garantieren sollen. Auch die Peljesac-Brücke, die eine adriatische Bucht in Kroatien überspannen soll, sei während der Pandemie ebenfalls pausenlos weitergebaut worden. Im Großen und Ganzen habe sich die Pandemie relativ gering auf die chinesischen Bauprojekte in Osteuropa ausgewirkt, teilte Gao Xiaochuan mit.
Nach Schätzungen von Gao Xiaochuan wird Europa im Zuge der COVID-19-Pandemie unausweichlich von einer Pleitewelle kleiner und mittelständischer Unternehmen hart getroffen, die kurzfristig die Finanzinstitutionen schwer belasten werde, vor allem in Form von faulen Krediten. Dies bedeute eine hohe Anfälligkeit der chinesischen Investmentbanken, die bislang noch keine tiefe Wurzel in Europa hätten. In diesem Zusammenhang rechnet Gao Xiaochuan mit einem schrittweisen Abbau der Finanzinvestitionen Chinas auf dem europäischen Markt.
Ebenfalls schwer angeschlagen wurden überdies chinesische Unternehmen, die in Europa, vor allem in osteuropäischen Ländern Produktionsstandorte pflegen. Wegen des drastischen Rückgangs der Bestellungen wird der Haushaltselektronik-Hersteller Hisense beispielsweise eigenen Angaben zufolge insgesamt 2.200 Stellen streichen, darunter 1.200 in seinem Produktionswerk in Slowenien, und die restlichen 1.000 in den Werken in Serbien, in der Tschechischen Republik und in der Slowakei. Dennoch zeigte sich Gao Xiaochuan davon überzeugt, dass das europäische Wirtschaftswachstum nach dem kontinuierlichen Abebben der Pandemie schnell an Fahrt gewinnen werde. Davon könnten die dort tätigen chinesischen Investoren profitieren. Nach dem Ende der Pandemie besteht nach seiner Auffassung für die chinesisch-europäische Kooperation eine noch größere Entwicklungsperspektive. Zur Begründung hieß es, dass im Kampf gegen die Ausbreitung der neuartigen Lungenkrankheit sowohl China als auch zahrleiche europäische Länder großes technologisches Potential aufgewiesen hätten. Neue Technologien, darunter Künstliche Intelligenz, Big Data, Nanotechnologie und 5G-Telekommunikation, konnten in China und Europa allgemein anerkannt und zum Teil an der medizinischen Front flächendeckend eingesetzt werden.
Nach Auffassung von Gao Xiaochun sollen China und Europa auch in der Zukunft ihre ideologischen Meinungsverschiedenheiten beiseite legen und ihre Kooperationen erweitern bzw. verstärken. Schließlich seien die wirtschaftliche Erholung und das Wachstum nach dem Ende der Pandemie eine notwendige Voraussetzung für die sozioökonomische Entwicklung in Europa. Chinesische Unternehmen, insbesondere diejenigen, die sich auf den Infrastrukturbau spezialisiert haben, könnten die Geschäftschance ergreifen. In dieser Hinsicht sollten die Infrastrukturprojekte chinesischer Unternehmen künfig mit Sicherheit nicht nur auf Osteuropa beschränkt bleiben.
Gao sagte, beim Kampf gegen die COVID-19-Pandemie sei die Informationsvielfalt der internationalen Kontakte beträchtlich bereichert worden. Dies könnte chinessiche Investmentbanken in die Lage versetzen, die Wachstumspunkte auf dem europäischen Markt noch präziser zu erkennen und durch Innovation neue Finanzprodukte und -modelle hervorzubringen. Als neue Investitionsbereiche nannte Gao in erster Linie die öffentliche Gesundheit, Telekommunikation und neue Materialien.