COVID-19-Pandemie fördert Scheidungen in China

2020-05-06 15:00:30

Die COVID-19-Pandemie zwingt Familien zu Hause zu bleiben. Das bedeutet mehr Zeit mit den Kindern, den Eltern oder dem Partner. Diese Nähe kann Beziehungen verbessern, sie aber auch auseinandertreiben.

Die auf Familienangelegenheiten spezialisierte Rechtsanwältin Ma Sainan erklärt: „Die Zeit, die man zusammen verbringt, ist nicht immer gleichbedeutend mit Intimität. Entfernung erzeugt manchmal Schönheit. Angesichts des schnellen Tempos des modernen Lebens müssen die Menschen verschiedene Rollen spielen, beispielsweise Angestellter, Sohn und Ehemann. Aber die Quarantäne hält die Familienangehörigen für sehr lange Zeit zusammen und diese Veränderung kann manchmal Unbehagen mit sich bringen.“

Von Februar bis April 2020 ist die Zahl der Scheidungen, bei denen Mas Anwaltsbüro die Vollmacht erhielt, im Vergleich zum Vorjahr deutlich gestiegen. In Metropolen wie Shanghai und Guangzhou sind Termine für Scheidungen bei den zuständigen Behörden täglich ausgebucht.

Die COVID-19-Pandemie hat vielen Menschen die Gelegenheit gegeben und sie sogar gezwungen, ihre Beziehungen neu zu überdenken: Familie, Freunde, Kollegen und die Ehe.

Bereits Anfang März tauchten in den sozialen Medien Berichte darüber auf, dass Ehepaare in China den Test der monatelangen Quarantäne oder der Trennung nicht bestanden haben – Berichte, die sowohl bei Verheirateten als auch bei Alleinstehenden Zweifel und einen Hauch von Enttäuschung hervorriefen.

Chinas Scheidungsrate ist bereits von 2003 bis 2019 16 Jahre in Folge gestiegen. Im Vergleich dazu ist die Heiratsrate im Jahr 2018 in China auf ein Rekordtief von 7,2 Prozent gesunken.

Es gibt jedoch auch Ausnahmen und ermutigende Statistiken: In der Stadt Linyi in der ostchinesischen Provinz Shandong wurden im März im Vergleich zum Vorjahr 997 Scheidungen weniger gemeldet, ein Rückgang um 30 Prozent. Zwar gingen noch immer viele Scheidungsanträge ein, etwa die Hälfte davon wurde jedoch von jungen Paaren aus Wut eingereicht und später zurückgezogen, nachdem sie sich wieder beruhigt und versöhnt hatten.

Li Jun, ein Anwalt für Familienrecht der Pekinger Anwaltskanzlei D&W, sagt, junge Paare neigten dazu, sich wegen eines kleinen Streits in die Scheidung zu stürzen. Viele von ihnen entschieden sich aber nach kurzer Zeit dazu, erneut zu heiraten. Li zufolge sind junge Menschen, insbesondere die Ein-Kind-Generation, der Ehe gegenüber aufgeschlossener und haben auch weniger Hemmungen, sich scheiden zu lassen.

Li wird seit Anfang März aus allen möglichen Gründen zu Beratungsgesprächen gebeten: Wer macht den Haushalt oder wer hilft dem Kind beim Lernen? Es geht aber auch oft um ernsthafte Probleme wie Streit mit den Schwiegereltern, finanzieller Druck und auch häusliche Gewalt.

Prof. Lin Xiuyun von der Pädagogischen Universität Peking ist seit 15 Jahren als Familientherapeutin tätig. Sie sagt, es gebe jedoch keinen wissenschaftlichen Beweis dafür, dass die COVID-19-Pandemie oder die durch sie hervorgerufene psychologische Veränderung stark genug sei, um gewaltfreie Menschen gewalttätig zu machen.

Zur Bedeutung der Ehe erklärt Prof. Lin, eine glückliche Ehe sei niemals „eins plus eins gleich zwei“, sondern „0,5 plus 0,5 gleich eins“. Doch warum 0,5 statt eins? Lin meint, kein Mensch sei perfekt. Nur durch Toleranz und Rückhalt könne eine Ehe funktionieren. Bevor man heirate, müsse man bereit sein, einen Teil seines alten Selbst zu opfern, um Platz für das neue zu schaffen.

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