Heiter und warm, so ist das Klima im Dezember in Hongkong. Das gute Wetter ist aber nicht wie sonst ein Garant für gute Geschäfte. Im Geschäftsviertel Causeway Bay sind nicht mehr wie früher die riesigen Menschenmengen zu sehen. Die meisten Besucher in Disneyland und im Ocean Park unterhalten sich mit lokalem Akzent.
In den vergangenen Monaten blieben auch an anderen Orten die Touristen aus. Reiseführer Wen bestätigt: „Niemand kommt jetzt gerne nach Hongkong.“ Vom Juni an hat er fast keine Reisegruppe empfangen und lebt von Teilzeitjobs und seiner Ersparnis. Herr Wen begann seine Karriere als Reiseführer im Jahr 1992. In den vergangenen 27 Jahren habe er die Finanzkrise 1998 und die SARS-Epidemie (Schweres akutes Atemwegssyndrom) 2003 überlebt, sagt er. Mit einem bitteren Lächeln fügt er hinzu: „Ob ich es diesmal auch überleben kann, bin ich mir nicht sicher.“
Von den andauernden Protesten und Gewalttaten in Hongkong sind Branchen wie Tourismus, Gastronomie und Einzelhandel besonders betroffen. Die Auswirkungen zeigen sich in folgenden wirtschaftlichen Daten: Die Zahl der nach Hongkong reisenden Touristen im Oktober ist im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahrs um 43,7 Prozent zurückgegangen. Nach einer vorläufigen Einschätzung ist der Umsatz des Einzelhandels im gleichen Monat um 24,3 Prozent gesunken und hat damit einen historischen Tiefstand erreicht. Der gesamte Ertrag der Gastronomiebranche im dritten Quartal ist um 13,6 Prozent gesunken. Es handelt sich um den schlechtesten Wert seit dem großen Ausbruch von SARS im Jahr 2003.
Paul Chan, Finanzchef der Sonderverwaltungszone, hat kürzlich prognostiziert, als Auswirkung der über Monate andauernden Gewalt sei in diesem Jahr erstmals seit 2009 eine Schrumpfung der Wirtschaft zu erwarten. Zudem müsse die Hongkonger Regierung im Finanzjahr 2019 bis 2020 mit einem Finanzdefizit rechnen.
Im Wirtschaftswinter ist Herr Wen nicht der Einzige, der besorgt ist. Zumindest die Besitzer der Restaurants in Causeway Bay plagen ähnliche Ängste. So hat ein beliebtes Feuertopf-Restaurant am Time Square fast die Hälfte seiner Abendgäste seit Beginn der Gewalt verloren.
Yiu Si-Wing, Mitglied des Hongkonger Legislativrates, erklärt, dass die Dienstleistungsbranche einen Anteil von mehr als 90 Prozent an allen Branchen Hongkongs ausmache. Die verschiedenen Branchen seien eng miteinander verbunden. Wenn die Situation sich nicht verbessert, würden am Ende alle Hongkonger darunter leiden. Wenn das Geschäft der Dienstleistungsbranche weiter schlecht läuft, gehen als Folge Arbeitsplätze verloren. Yiu sagt: „Die Arbeitslosenquote ist in der letzten Zeit von 2,9 auf 3,1 Prozent gestiegen. Künftig könnte es noch schlimmer werden.“