An der Eröffnungsfeier der Beijinger Paralympics beeindruckte der blinde Pianist Jin Yuanhui die Zuschauer auf der ganzen Welt mit dem rührenden Musikstück "Vier Jahreszeiten". Doch wie sehen eigentlich die vier Jahreszeiten in der Vorstellung des blinden Pianisten aus?
An einem weißen Klavier sitzt ein Blinder und spielt nach Herzenslust. Der 24-jährige Pianist heißt Jin Yuanhui. Bereits im Alter von zwei Jahren begann er, elektronisches Klavier zu spielen. Es sollte der erste Schritt auf einer langen musikalischen Reise werden. Die Musik übte auf ihn von Kindesbeinen an einen ganz besonderen Einfluss aus, sagt Jin Yuanhui:
"56 Tage nach meiner Geburt entdeckten meine Eltern, dass ich nichts sehen konnte. Sobald ich als Kind Musik hörte, hörte ich immer sofort auf zu weinen und zu toben."
Die beruhigende Wirkung der Musik veranlasste Jin Yuanhui, das Klavierspiel zu erlernen. Der größte Teil seines Lebens ist von der Musik geprägt. Im Alter von vier Jahren stand er erstmals auf der Bühne. Mit sechs wurde er zum jüngsten Mitglied des Chinesischen Behinderten-Ensembles. Im Jahr 1997 machte die Zentrale Musikhochschule Chinas eine Ausnahme und nahm den talentierten blinden Musiker auf. Sein Abitur schloss er mit ausgezeichneten Noten ab. Als Behinderter musste Jin Yuanhui in seiner musikalischen Laufbahn aber auch viele Hindernisse überwinden. Eine große Schwierigkeit stellt für ihn die fehlende Vorstellung der Wirklichkeit dar. Aufgrund seiner Blindheit besitzt Jin Yuanhui nur eine abstrakte Vorstellung von dem, was um ihn herum geschieht. Eine Szene aus dem Leben mit seinen Gefühlen zu verknüpfen und musikalisch auszudrücken, ist für ihn daher eine große Herausforderung:
"Was mir am schwersten fällt, ist das Innerliche, die Gefühle. Es fällt mir zum Beispiel schwer, eine Szene und die damit verbundenen Gefühle musikalisch auszudrücken. Das Klavier ist viel mehr als bloß eine Maschine. Wenn man Klavier spielt, spielt man nicht nur nach den Noten, sondern man muss auch seine Gefühle integrieren. Das ist nicht so einfach für mich."
Um diese Schwierigkeit zu überwinden, haben die Lehrer Jin Yuanhui beigebracht, die Außenwelt durch seine intakten Sinneskanäle - insbesondere sein Hörvermögen - wahrzunehmen:
"Letztendlich musste ich viel hören, um herauszufinden, wie die großen Meister spielen. Ich versuche auch, die Kleinigkeiten im Leben zu beachten. Beispielsweise kann ich in meiner Freizeit den Duft der Blumen riechen, die Natur oder das Geräusch der Autos draußen hören. Manchmal höre ich mir auch etwas Literarisches an, wie zum Beispiel die Werke von Shakespeare. Ich versuche durch meine Ohren, die Nase und das Herz alles wahrzunehmen."
Durch diese Methode hat sich der blinde Jin Yuanhui allmählich seine eigene Vorstellung der Welt geschaffen, was ihm in seiner musikalischen Karriere sehr geholfen hat. Jin Yuanhui ist mittlerweile bereits ein Veteran im Chinesischen Behinderten-Ensemble. Er hat auch schon viele europäische und asiatische Länder bereist.
An der Eröffnungszeremonie der Beijinger Paralympics spielte Jin Yuanhui das "Fantasy Impromptu" von Chopin. Der Name des Programms hieß "Vier Jahreszeiten". Die vier Jahreszeiten seien für einen Blinden etwas sehr Abstraktes, erklärt Jin Yuanhui. Die Musik habe die vier Jahreszeiten in seinem Herzen aber farbenprächtig werden lassen:
"Für mich sind die Jahreszeiten sehr abstrakt. Im Frühling blühen die Blüten und das Wetter ist warm. Im Sommer ist es zwar sehr heiß, aber diese Jahreszeit verleiht auch ein schönes Gefühl. Im Herbst färben sich die Blätter gold und das Wetter wird kühler. Im Winter schneit es die schönen Schneeflocken."
Genau dank diesem abstrakten Vorstellungsvermögen ist Jin Yuanhui die Vorführung an der Eröffnungszeremonie der Paralympics so gut gelungen. Im Nationalstadion "Vogelnest" herrschte tobender und lang anhaltender Beifall. Die alte Mutter, die von der berühmten chinesischen Schauspielerin Tian Hua gespielt wurde, erhob sich von ihrer Sitzbank neben dem Klavier und nahm Jin Yuanhui von hinten in die Arme. Diese Szene haben die beiden an den Proben nie eingeübt.
Die Eröffnungsfeier der Beijinger Paralympics wurde zu einem sensationellen Erfolg. Jin Yuanhui hat der Erfolg jedoch nicht verändert. Er fühlt sich innerlich noch genau so ruhig wie vor den Paralympics. Musikalisch möchte sich der blinde Pianist in Zukunft noch in einem anderen Bereich entfalten:
"Das Klavierspiel ist inzwischen nicht mehr meine einzige Arbeit in unserem Ensemble. Ich beschäftige mich auch mit der Komposition. Wenn ich in Zukunft die Gelegenheit erhalte, möchte ich mich vermehrt mit dem Komponieren beschäftigen und von den großen Meistern lernen, wie man ein Musikstück besser mit Instrumenten - insbesondere mit Saiteninstrumenten - unterlegen kann. Das ist mein Wunsch."