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Ulrike Meyfarth
   2008-05-05 15:36:01    Seite Drucken    cri

Fragt man in Deutschland nach einer positiven Erinnerung an die Spiele von 1972 in München, dann sind sich alle einig. Das positive emotionale Hoch dieser Spiele war ihr Sieg, die große Überraschung, für die ein selbst vollkommen überraschtes junges Mädchen sorgte, der Sieg von Ulrike Meyfarth.

Dabei war es eigentlich nur Glück gewesen, dass sie überhaupt zu den Olympischen Spielen nach München mitfahren durfte. Schließlich fanden die Spiele auf heimischen Boden statt und die 16-jährige Schülerin, die mit 15 Jahren bei den deutschen Meisterschaften 1971 Zweite geworden war, sollte die Chance haben, internationale Erfahrung zu sammeln, große Wettkämpfe kennen zu lernen. Mit ihrem dritten Platz in der Qualifikation für die Spiele 1972 hatte sie sich empfohlen, hatte sie ihr Talent erneut unter Beweis gestellt. Sie sollte in München dabei sein.

Ihre persönliche Bestleitung lag bei 1,85 Meter, der Weltrekord bei 2,02 Meter, also Welten entfernt. Ulrike Meyfarth war so jung, so unbefangen, so unbelastet. In einem Interview mit der FAZ versuchte sie sich fast 30 Jahre später an München zu erinnern. Es seien viele sich überlagernde Bilder, sagte sie, sie habe einfach gerne Sport getrieben. Es sei für sie in der schwierigen Pubertät ein Rückzugsgebiet gewesen. Denn sie, die 1,86 Meter große, schlaksige Ulrike sei von den Jungs gehänselt worden, andere Mädchen flirteten längst, sie wäre in dieser Welt nicht zu Hause gewesen. Sie mochte ihren Körper nicht, die Jungs schienen ihn auch nicht zu mögen, nur im Sport war das etwas anders. Aber gerade ihr schlaksiger, langer Körper prädestinierte Meyfarth, die erst wenige Jahre zuvor aufgekommene neue Sprungtechnik des Fosbury Flop ausgesprochen erfolgreich einzusetzen. Dem unsicheren Teenager Meyfarth war das aber damals egal, mit ihrem Körper söhnte sie das trotzdem nicht aus.

In München hätte sie einfach nur das Gefühl gehabt, gut dabei zu sein. Sie habe nicht gedacht „ich will jetzt, ich muss jetzt, oder ich muss mich ganz dolle anstrengen", sagte sie. Es sei einfach gelaufen. Und es sei der letzte Wettkampf gewesen, der so gelaufen sei. Der erste eigentlich und zugleich der letzte.

Und wie es lief. Meyfarth übersprang jede aufgelegte Höhe mühelos, sie war immer noch dabei, neben den großen Favoritinnen, der Weltrekordhalterin Ilona Gusenbauer aus Österreich und der Bulgarin Joardanka Blagojeva. Meyfarth selbst sagt, es sei ihr wie ein Film vorgekommen, in den sie zunehmend zur Hauptdarstellerin geworden und zugleich Zuschauerin geblieben sei. Sie könne sich erst an den Moment erinnern, an dem ihr Name auf der Anzeigentafel erschienen sei, erst ganz unten und dann sei er immer weiter nach oben gerutscht. Erst dann hätten auch die Zuschauer von ihr Notiz genommen. Plötzlich sprangen sie bei jedem ihrer Sprünge von den Stühlen auf, jubelten und schrien. Inzwischen lag die Latte bei ihrer persönlichen Bestleistung, Meyfarth meisterte die Höhe und war weiter dabei. Die Latte lag bei 1,90 Meter und Gusenbauer, Blagojeva und Meyfarth waren immer noch dabei. Meyfarth riss die Latte einmal, das Publikum pfiff sie aus, daran kann sie

sich auch über 30 Jahre später noch erinnern. Sie habe damals gedacht, "was wollt ihr undankbares Volk eigentlich, es geht doch noch weiter", sagt sie. Und es ging weiter. Aufsehen erregend und spannend. Blagojeva hat noch einen Versuch über 1,90 Meter, sie springt und die Latte wackelt und wackelt, minutenlang. Blagojeva ist schon auf dem Weg, sich die Trainingshose überzuziehen, als die Latte schließlich fällt. Auch Gusenbauer schafft die 1,90 Meter nicht. Ulrike Meyfarth läuft an, neun Schritte, eine halbe Drehung, ein großer Satz, sie ist drüber und ... die Latte bleibt liegen. Sie hat es geschafft, sie hat ihre persönliche Bestleistung um fünf Zentimeter verbessert und hat auf heimischem Boden Olympisches Gold gewonnen, sie ist das Goldkind von München und begreift es zunächst kaum. Das meiste über diesen Sprung habe man ihr erzählt, sagt sie. Aufgrund der Fernsehaufzeichnung weiß sie, dass es genau 19:05 war, als sie zu Gold sprang. Das Stadion tobte und irgendjemand sagte zu ihr, Du bist Olympiasiegerin. Meyfarth meint sich erinnern zu können, dass sie fragte, ob sie noch höher springen müsse, um wirklich die Siegerin zu sein. Sie lässt die Latte auf 1,92 Meter legen, auch wenn sie damit den Weltrekord nur egalisieren kann, aber, noch ein Zentimeter, das wäre für sie einfach zu viel des Guten gewesen, sie war keine Spielerin, sondern eine junge Athletin, die es jetzt wissen wollte, die vielleicht auch das Rampenlicht genoss, in diesen Minuten der vollkommenen Überraschung, die bei ihr immer noch nicht richtig angekommen war. Und sie überspringt auch die 1, 92 Meter, damit hat sie ihre bisherige persönliche Bestleistung um sieben Zentimeter gesteigert. Sie holt Olympisches Gold vor der Bulgarin Blagojeva und der Österreicherin Gusenbauer. Langsam erreicht das Hochgefühl auch den Teenager, auf der Zielgeraden kämpft sich endlich ihr Vater durch die Massen, umarmt und drückt sie. Dann geht der Trubel schon weiter, sie wird ein bisschen hergerichtet für die Siegerehrung und schon geht es wieder hinaus ins Rampenlicht. Sie ist plötzlich gefragt, das Fernsehen, das Radio, alle wollen die jüngste Olympiasiegerin in einem Einzelwettbewerb aller Zeiten sehen. Bundeskanzler Willy Brandt gratuliert mit roten Rosen, der Teenager wird vollkommen überrollt vom Geschehen. 30 Jahre später sagt Meyfarth, sie habe vor kurzem eine Aufzeichnung von damals gesehen und sei erschrocken gewesen, wie kindlich, wie ungeschickt, wie piepsig sie damals gewirkt habe. Sie erinnert sich, dass sie abends einfach in ihr Zimmer gegangen sei, sie sei viel zu brav gewesen, um die Sau rauszulassen. Sie habe versucht zu schlafen, aber das sei ihr auch nicht gelungen. Sie war so unvorbereitet in diese Spiele gegangen, so unbedarft. Das war vermutlich im Wettkampf ihr Glück gewesen, aber es war auch die größte Bürde ihrer Karriere.

Allerdings blieb nach jenem vierten September 1972 wenig Zeit darüber nachzudenken, denn in der Nacht zum fünften September drangen palästinensische Terroristen ins Olympische Dorf ein, sie griffen das israelische Team an, entführten einige Athleten, am Ende kamen 17 Menschen ums Leben.

Beim Frühstück erfuhren die anderen Athleten davon, keiner konnte und wollte es glauben. Die Spiele wurden fortgesetzt, aber nichts war mehr wie zuvor. Ulrike Meyfarth hatte sich einige Stunden über ihren Erfolg freuen können, dann war es nur noch eine gedämpfte Freude. Und in den Jahren danach würde sich dieses Gefühl weiter wandeln.

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