In der vergangenen Woche haben wir uns mitten im Herreneinzelfinale im Degenfechten bei den Olympischen Spielen von Melbourne 1956 verabschiedet. In jenem historischen Moment, als nach dem Finale drei Italiener gleich auf lagen und man schon zu vorgerückter Stunde ins Stechen musste. Und auch das erste Stechen zwischen Carlo Pavesi, Giuseppe Defino und Edoardo Mangiarotti hatte keine Entscheidung herbeiführen können, es war beinahe Mitternacht und die zweite Runde des Stechens musste beginnen. Und hier steigen wir wieder ein, in den Kampf der italienischen Fechtgiganten. Dieses zweite Stechen brachte endlich die Entscheidung. Alle waren inzwischen sehr müde, Mangiarotti war zwar nur unwesentlich älter als die anderen beiden, aber er war wie gesagt nicht in Topform ins Turnier gestartet, hatte schon eine lange Karriere hinter sich, er schien am meisten gegen sie schweren Beine zu kämpfen und verlor schließlich beide Kämpfe. Am Ende setzte sich Pavesi durch, er holte Gold, Silber ging damit an Delfino. Was die Zuschauer damals noch nicht ahnen konnten?war, dass sie soeben in diesem atemberaubend spannenden Finale die Goldmedaillengewinner im Degeneinzel der Spiele 1952, 1956 und 1960 gegeneinander antreten sehen hatten. Denn Delfino sicherte sich das goldene Edelmetall bei den Heimspielen in Rom 1960.
Und obgleich Mangiarotti sich so hart durch diesen Fechtwettkampf hatte schleppen müssen, ans Aufhören dachte er noch lange nicht. Bei den Heimspielen 1960 wollte er wieder auf der Planche stehen und er stand. 24 Jahre nach seinem Olympia-Debüt war aus dem jüngsten Mitglied der italienischen Nationalmannschaft mit nun mehr 41 Jahren das Älteste geworden. Das hinderte ihn aber nicht daran, seiner eindrucksvollen Karriere noch zwei weitere olympische Medaillen hinzuzufügen, wenngleich auch nicht mehr im Einzelwettkampf. Mit der Degenmannschaft gewann er allerdings noch einmal Gold, mit dem Florettteam noch einmal Silber. Damit hatte er in 24 Jahren bei den Olympischen Spielen 13 Medaillen geholt, fünfmal Gold mit der Mannschaft, viermal Silber mit dem Team, einmal Gold im Einzel, einmal Silber im Einzel und zweimal Bronze im Einzel. Bis heute rangiert er auf der ewigen Bestenliste der Olympischen Spiele unter den ersten 15. 40 Mal konnte sich Edoardo Mangiarotti in seiner Karriere bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen einen Platz auf dem Treppchen sichern, nach den Spielen von Rom konnte er 1961 daher beruhigt seine aktive Laufbahn als Fechter beenden. 1977 ehrte ihn das Internationale Olympische Komitee mit der Verleihung des Olympischen Ordens in Bronze.
Wie sein Bruder schon Jahre zuvor wandte sich Edoardo nun der Arbeit in der väterlichen Fechtschule zu.
Die beiden Brüder wollten die außergewöhnliche Fechttechnik, die ihr Vater Anfang des 20. Jahrhunderts als Fechtmeister am Hofe des letzten italienischen Königs entwickelt hatte, in ihrer Schule weitergeben. Diese "moderne Schule des italienischen Schwerts" wurde auch vom italienischen Fechterverband jahrelang als Grundlage für die Ausbildung der Fechter der erfolgreichen italienischen Nationalmannschaften verwendet. Um allerdings die Lehrlizenz für diese Technik zu erhalten, bedarf es großen Durchhaltevermögens und eines harten Trainings. 1977 nahm Edoardo, der vom Vatikan inzwischen den Titel Ritter des großen Kreuzes verliehen bekommen hatte, zum letzten Mal einen Schüler unter seine Fittiche. Er entschied sich für den Fechtmeister Stuart Philipp Kaufmann, der in den USA bereits eine Fechtschule betrieb. In einem halben Jahr harten Trainings erlernte Kaufmann die Geheimnisse und Feinheiten der Fechttechnik, die Dario und Edoardo Mangiarotti über Jahrzehnte hinweg so überlegen gemacht hatte. 1978 wurde Kaufmann der einzige Fechtmeister in der westlichen Welt, der die Lizenz erhielt, die Mangiarotti-Technik zu lehren. Im Jahr 2003 stellte sich Kaufmann einer weiteren Herausforderung. Er meldete sich zur Prüfung zum Maestro di Scherma, zum Fechtmeister, vor der angesehenen Italienischen Akademie der Waffen in Neapel an. Er bestand als zweiter Amerikaner in der Geschichte der Akademie. Daraufhin verliehen die Mangiarotti-Brüder ihrem gelehrigen Schüler eine Auszeichnung für seine Verdienste. Dieses Dokument berechtigt ihn nicht nur Schüler zu unterrichten, sondern auch Fechtmeister auszubilden und Lizenzen für Fechtmeister der Mangiarotti-Technik zu vergeben. So hatten die beiden italienischen Brüder dafür gesorgt, dass die Technik ihres Vaters nicht nur auf dem europäischen Kontinent an die kommenden Generationen von Fechtern weitergegeben wird, sondern auch in den USA. Maestro Kaufmann erwies sich des Vertrauens würdig, in Zusammenarbeit mit dem Präsidenten der berühmten italienischen Akademie veröffentlichte er im Juli 2004 das erste englischsprachige Lehrbuch zur Vorbereitung auf die Prüfung an der Akademie in Neapel.
Zum Abschluss machen wir nun noch einen kleinen Abstecher in die Familiengeschichte der Mangiarottis. Denn in der Familie Mangiarotti schien es mit der Vererbung des Talents hervorragend zu klappen. Auch Edoardos Tochter Carola wurde nämlich eine hervorragende Fechterin. Mit der italienischen Nationalmannschaft nahm sie 1976, 1980 und 1984 an den Olympischen Spielen teil. 1980 belegte das Team Rang fünf, 1984 Rang vier. Heute gehört sie zur Leitung der traditionsreichen Fechtschule ihrer Familie.