Es gibt wenige Sportarten, die durch ihre Eleganz bestechen. Wasserspringen ist mit Sicherheit eine davon - vor allem, wenn Greg Louganis auf dem Brett stand. Bis heute ist seine Eleganz und Grazie unerreicht. Aber nicht nur die Zuschauer genossen die Sekunden, in denen sich Louganis ganz allein und vollkommen ruhig auf dem 10-Meter-Turm auf den Sprung vorbereitete, auch er liebte diese Einsamkeit, die Abgeschiedenheit, dieses sich nur auf sich selbst konzentrieren. Das Wasserspringen war sein Rückzug auf sich selbst, die Quelle seines Selbstbewusstseins. Denn Louganis hatte es nie leicht gehabt und er trug auch selbst dazu bei, dass er es nicht leicht hatte. Schon seine Geburt am 29. Januar 1960 war ein nicht nur freudiges Ereignis. Seine Eltern waren die spannende Kombination aus einem samoaischstämmigen Vater und einer schwedischstämmigen Mutter. Allerdings waren die beiden bei der Geburt ihres Sohnes gerade 15 Jahre alt, daher entschlossen sie sich, ihr Baby im Alter von neun Monaten zur Adoption freizugeben. Sein Adoptivvater Peter Louganis war ein rauer Mann. Seine Frau beschrieb ihn als Mann, der schon als zorniger alter Mann geboren worden war. Sowohl in der Schule als auch daheim fühlte sich Greg ausgeschlossen und ungeliebt. Seine Klassenkameraden hänselten ihn, weil er farbig war und unter Legasthenie litt. Außerdem wählte er unmännliche Wahlfächer wie Akrobatik, Tanzen und Turnen. Was er dort lernte, erprobte er daheim am elterlichen Pool vom Sprungbrett, was seinen Vater schließlich dazu bewog, ihn in einen Kurs für Wasserspringen zu schicken. Sein frühes Training in Tanz und Akrobatik sollte das Geheimnis seiner Eleganz werden. Und schon bei seinem ersten größeren Wettkampf erstaunte Louganis alle. Bei der amerikanischen Junioren Olympiade 1971 in Colorado Springs bewerteten die Preisrichter einen Sprung des Elfjährigen mit 10,0 Punkten.
Aber die aufgewühlte Seele des Jungen beruhigte das nicht. Mit zwölf Jahren unternahm er einen Selbstmordversuch, mit 13 schlug er seine Adoptivmutter, er trank und nahm Drogen, er war dabei, ein großes Talent zu vernichten. Glücklicherweise fand er zum Sport zurück, das Training gab ihm Halt. Mit 15 Jahren zog er schließlich zu seinem Trainer, Dr. Samuel Lee, der ihm ein väterlicher Freund wurde. Der zweifache Olympiasieger Lee stellte einen strengen Trainingsplan für Louganis auf. Er ließ ihn hart arbeiten. 1976 erntete Louganis die ersten Früchte dieser Mühen. Bei den Olympischen Spielen in Montreal gewann Louganis Silber vom Zehn-Meter-Turm, er musste sich nur dem großen italienischen Springer Klaus Dibiasi geschlagen geben. Auch wenn es Dibiasi noch nicht wusste, er hatte soeben seine Ablösung erlebt. Aber Louganis war wieder nicht zufrieden, er fühlte sich als Versager und floh erneut in den Alkohol.
Schließlich wollte er auch räumlich Distanz zwischen sich und seine Jugend bringen, er nahm ein Stipendium der Universität Miami an und zog ans andere Ende der USA. 1978 wurde er vom Zehn-Meter-Brett Weltmeister, diesem Titel sollten vier weitere folgen. 1979 gewann er bei den Pan-Amerika-Spielen auch vom Drei-Meter-Brett Gold, er war der große Favorit für die Olympischen Spiele 1980 in Moskau. Dann machte ihm die Politik einen Strich durch die Rechnung. Der Westen boykottierte die Spiele. Allerdings konnte der Boykott Louganis Siegeszug im internationalen Sport nicht stoppen, sondern nur verzögern. Die kommenden vier Jahre nutze Louganis, um sich weiter zu verbessern. Er zog zurück nach Kalifornien, damit näherte er sich geographisch seinem späteren Trainer Ron O'Brien an, der im angesehenen Schwimmverein Mission Viejo arbeitete.
1982 schrieb Louganis Geschichte, als er bei der Weltmeisterschaft als erster Athlet von allen sieben Preisrichtern zehn Punkte erhielt. National sollte er bis 1987 nie wieder geschlagen werden. In dieser Hochphase seiner Karriere entschloss er sich endgültig gegen Zigaretten und Alkohol, er war bereit, die internationale Sportszene zu erobern.
Bei den Olympischen Spielen in Los Angeles 1984 schaffte Louganis das, was seit 1928 keiner mehr geschafft hatte, er holte Gold vom Drei-Meter-Brett und vom Zehn-Meter-Turm. Erstmals erreichte ein Athlet in beiden Disziplinen mehr als 700 Punkte. Bis heute sind seine 710.91 Punkte für den Wettkampf vom Turm unerreicht.
Seinen Auftritt bei den Spielen 1988 wird die Welt nie vergessen. Millionen von Menschen im Stadion und an den Fernsehbildschirmen hielten den Atem an, in den bangen Sekunden nach einem schweren Fehler von Louganis. Aber keiner ahnte, was Louganis in diesen Tagen und Stunden für ein persönliches Drama durchlebte. Bei seinem neunten Sprung in der Qualifikationsrunde vom Drei-Meter-Brett verschätzte sich Louganis, als er zu einem zweieinhalbfachen Rückwärtssalto ansetzte. Er war zu nahm am Brett und schlug daher mit dem Hinterkopf auf der Kante des Brettes auf. Als er mit einer vergleichsweise kleinen Platzwunde am Kopf aus dem Becken stieg, atmen die Menschen im Stadion in einem kollektiven Seufzer der Erleichterung wieder aus. Die Wunde wurde provisorisch geklammert und 35 Minuten später kehrte Louganis in den Wettkampf zurück. Er qualifizierte sich fürs Finale und mit einer ordentlich genähten Wunde verteidigte er am nächsten Tag seinen Titel erfolgreich. Eine Woche später siegte er auch vom Zehn-Meter-Turm, er schaffte es, das Double zu verteidigen. Vor ihm hatte das nur Pat McCormick geschafft. Und wäre da nicht dieser Boykott gewesen, hätte Louganis seine Medaillensammlung bestimmt noch erweitert, darüber sind sich die Experten einig.
Louganis durchlebte in Seoul trotz aller Erfolge einer der schlimmsten Phasen seines Lebens. Wenige Wochen zuvor hatte er erfahren, dass er HIV-positiv war. Alle waren damals im Umgang mit dieser Krankheit noch sehr unerfahren, und eine Bekanntgabe seiner Infektion hätte ihn vermutlich umgehend isoliert, darum entschied er sich zu schweigen. Sein Arzt riet ihm dazu, an den Olympischen Spielen teilzunehmen. Louganis musste nach einem strengen Plan Medikamente nehmen und lebte in der konstanten Angst, dass sein dafür gestellter Wecker seine Teammitglieder aufwecken würde. Angesprochen auf seine Tablettensammlung erklärte er, er behandle seine entzündete Schulter. Seine Verletzung beim Sprung vom Drei-Meter-Brett war schließlich der endgültige Alptraum, weil Louganis sich große Sorgen machte, dass er seinen Trainer, den behandelnden Arzt oder die anderen Sportler infiziert haben könnte. Seine Sorgen erwiesen sich später als unbegründet. Bei der Siegerehrung für den Wettkampf vom Zehn-Meter-Turm brach Louganis in Tränen aus und zwar nicht, wie die Medien vermuteten, weil er in einem hartumkämpften Finale gewonnen hatte. Sein Trainer hatte Louganis umarmt und gesagt: „Keiner wird je wissen, was wir durchgestanden haben." Das war zuviel für Louganis.
Nach den Olympischen Spielen beendete der beste Wasserspringer aller Zeiten seine sportliche Laufbahn. 1994 bekannte er sich zu seiner Homosexualität und erklärte öffentlich, dass er HIV-positiv sei.
Heute schreibt er Bücher und engagiert sich in der Therapie für Alkohol- und Drogenabhängige.
Seine Lebensgeschichte hat sein Verhältnis zu seinem sportlichen Erfolg verändert. Er sagt, er wolle nicht, dass man sich an ihn als den besten Wasserspringer aller Zeiten erinnere. Er hoffe, dass er lange genug lebe, um zu erleben, dass seine Rekorde gebrochen werden.