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Micheline Ostermeyer
   2007-08-20 16:55:09    Seite Drucken    cri

Sie ist wirklich eine Grand Dame des Sports, schon in ihrer aktiven Zeit nannte man sie die sportliche Künstlerin - die Rede ist von Micheline Ostermeyer. Diesen Titel bekam die Französin Micheline Ostermeyer, weil sie außer als Athletin auch noch als Konzertpianisten Erfolge feierte. Heute, in einer Zeit, in der selbst ein extrem talentierter Sportler nur Anschluss an die Weltspitze halten kann, wenn er sich ausschließlich auf den Sport konzentriert, und da meist auch nur auf eine Disziplin, ist eine Karriere wie die der Micheline Ostermeyer fast unvorstellbar. Dabei ist es gerade diese Vielseitigkeit, die Sportler wie sie so faszinierend macht. Denn es ist und war zu jeder Zeit schwer, in mehr als einem Bereich zur Weltspitze zu gehören.

Die Musikalität lag Ostermeyer sicherlich im Blut, sie wurde am 23. Dezember 1922 in Rang-du-Fliers als Nichte des Komponisten Lucien Paroche und als Tochter einer Schauspielerin geboren. Ihr berühmter Onkel Victor Hugo sorgte aber mit Sicherheit für eine weitere Portion künstlerischen Talents. Als Micheline noch ein kleines Kind war, zog sie mit ihrer Familie nach Tunesien. Hier lernte sie, einer Familientradition folgend, Klavier zu spielen. Allerdings lernte sie so schnell und so gut, dass sie bald darauf wieder nach Frankreich zurückgeschickt wurde. Sie hatte die Chance, am angesehenen Konservatorium in Paris unterrichtet zu werden. Mit dem Beginn des zweiten Weltkriegs kehrte Micheline aber nach Tunesien zurück. Nun entdeckte sie, dank ihres sehr sportlichen Vaters, ihre zweite große Leidenschaft, den Sport. Und auch hier war sie mit einem außergewöhnlichen Talent gesegnet. Zunächst spielte Micheline Basketball. Aufgrund ihrer Größe von 1,80 Meter und ihrer enormen Sprungkraft war sie für diese Sportart prädestiniert. Aber ihre Vielfältigkeit konnte sie in diesem Mannschaftssport nicht ausreichend ausleben, daher entschied sie sich, zur Leichtathletik zu wechseln. Was sie allerdings nicht davon abhielt, auch als Basketballerin Erfolge zu feiern, sie wurde mit ihrer Mannschaft Nordafrika-Meisterin. Zurück in Europa setzte sie nach dem Zweiten Weltkrieg ihre musikalische Ausbildung am Konservatorium fort und nahm gleichzeitig erstmals an Leichtathletik-Wettkämpfen teil. 1945 wurde sie französische Meisterin im Hochsprung und im Kugelstoßen, in beiden Fällen stellte sie den französischen Rekord ein. Diese Titel sollte sie in den kommenden Jahren immer wieder verteidigen. Insgesamt gewann Micheline Ostermeyer 13 französische Meistertitel in sieben verschiedenen Disziplinen. Dabei war sie über die 60 und die 80 Meter Laufstrecke eben so erfolgreich wie im Hürdenlauf, auch mit der 4 x 100 Meter Staffel gehörte sie zu Frankreichs Besten. Wie erwähnt gewann sie im Hochsprung und im Kugelstoßen, aber auch beim Diskuswurf und sogar im Fünfkampf. In ihrer aktiven Laufbahn brach sie 19 französische Rekorde, einen über 80 Meter Hürden, einen im Hochsprung, zehn im Kugelstoßen, vier im Diskuswurf und drei im Fünfkampf. 1946 feierte Micheline auch ihre ersten internationalen Erfolge, bei den Europameisterschaften 1946 in Oslo holte sie Silber über die 100 Meter und im Kugelstoßen. Nach wie vor studierte sie am Konservatorium in Paris Klavier. 1948 stand die Abschlussprüfung am Konservatorium bevor, daher trat der Sport erstmal in den Hintergrund. Micheline trainierte wenig, wurde aber dennoch französische Meisterin über 60 Meter und dritte im Diskuswurf. Das motivierte sie so, dass sie sich quasi in letzter Minute doch noch entschied, ihre Qualifikation für die Olympischen Spiele in London wahrzunehmen. Nur drei Monate zuvor hatte sie mit Auszeichnung das Pariser Konservatorium beendet, nun sollten ihre filigranen Pianistenhände kugelstoßen und Diskus werfen. Micheline selbst sah darin keinen Widerspruch. Zur Überraschung vieler, die nach ihrer Trainingspause nicht mit ihr gerechnet hatten, präsentierte sie sich in London in Bestform. Ihre erste Disziplin war der Diskuswurf. Vor dem finalen Durchgang lag Micheline auf Rang drei. In ihrem letzten Versuch schleuderte sie den Diskus 41, 92 Meter weit und gewann mit 75 Zentimetern Vorsprung vor Cordiale Gentile aus Italien die olympische Goldmedaille. Sie wurde damit die erste Olympiasiegerin Frankreichs. Vier Tage später holte sie sich aber gleich die nächste Goldmedaille. Im Kugelstoßen erzielte sie 13.75 Meter, ihre Konkurrentinnen überbot sie damit um 66 Zentimeter. Ihre letzte Disziplin war der Hochsprung. Hier trat sie gegen die beiden Hochsprungspezialistinnen Alice Coachman aus den USA und Dorothy Tyler aus Großbritannien an. Die vielseitige Micheline übersprang eine Höhe von 1,61 Meter und sicherte sich die Bronzemedaille. Damit war die Konzertpianistin Micheline Ostermeyer nach Fanny Blankers-Koen die erfolgreichste Athletin der Olympischen Spiele 1948 in London. Ihre olympischen Erfolge feierte sie im französischen Quartier auf ganz besondere Art, sie veranstaltete spontan einen Beethoven Liederabend.

Bei den Europameisterschaften 1950 in Brüssel gewann Micheline Ostermeyer noch einmal zwei Bronzemedaillen, über die 80 Meter Hürden und im Kugelstoßen. Danach widmete sie sich voll und ganz ihrer musikalischen Karriere. Denn nicht alle in der Kunstszene hatten ihre Sportlichkeit begrüßt. Sie selbst sagte einmal, sie hätte jahrelang nicht gewagt, Liszt zu spielen, weil sie sich dafür zu sportlich fühlte. Für sie sei die Kombination aus Sport und Musik allerdings trotz allem genau das Richtige gewesen. Der Sport, sagte sie, habe ihr beigebracht, abzuschalten und sich zu entspannen. Durch ihr Klavierspiel habe sie einen starken Bizeps, einen Sinn für Bewegung und Rhythmus bekommen. Das erklärt vielleicht auch, warum diese vielseitige und hochbegabte Frau pro Tag fünf Stunden Klavier gespielt hat, dem Sport dagegen aber nur fünf Stunden pro Woche gewidmet hat.

Micheline Ostermeyer starb am 17. Oktober 2001 in Bois-Guillaume, Frankreich.

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